Название | Menschen im Krieg – Gone to Soldiers |
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Автор произведения | Marge Piercy |
Жанр | Книги о войне |
Серия | |
Издательство | Книги о войне |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783867548724 |
Sie hatte Beklemmungen wegen heute Abend, weil ein drittes Mal fast eine Festlegung war und weil sie unsicher war, ob sie ausgehen durfte. Mame hatte ihre üblichen Runden durch die Altkleiderläden gemacht, und viele Sachen mussten ausgebessert werden. Obwohl Ruthie bei Sam’s Rabatt bekam, konnten sie sich nicht viele neue Kleidungsstücke leisten. Am Nachmittag hatte sie eigentlich Naomi zeigen wollen, wie man einen Schneemann baut, aber Nieselregen hatte den Schnee weggeschmolzen. Dafür hatten sie sich Illustrierte angeschaut. Ruthie fand, sie nahm sich immer zu wenig Zeit, um Naomis Englisch zu verbessern.
Sie hätte gern gesehen, wenn Duvey das übernommen hätte, aber der war wenig zu Hause, sobald er sich mal aus dem Bett bequemt hatte. Er trieb sich wieder mit seiner alten Gang herum. Sie war sich nicht ganz sicher, was die wieder ausfraßen – sie wusste, dass Duvey Pariser in der Brieftasche hatte und zu schwarzen Prostituierten im Paradise-Valley-Bezirk ging. Nach den Wochenenden war der Rasen im Park mit Kondomen übersät wie geplatzte Luftballons, die Leib ihr als Argumente zu seinen Gunsten gezeigt hatte.
Duvey hatte auch ein Messer, das weit mehr eine Waffe war als ein Anglermesser, außerdem, wann ging er schon angeln? Eine von Ruthies Sonntagsarbeiten war es, alle Schlafzimmer zu putzen. Mame hatte immer schreckliche Angst, Duvey könnte in den Großen Seen ertrinken. Ruthie machte sich mehr Sorgen über die Untiefen von Detroit. Sie sah das Straßenleben und die Kleinkriminalität im Viertel als eine Reihe von klebrigen Fallen, ihnen allen gestellt, um sie in der Armut festzuhalten.
Duvey spielte Karten um Geld (oder besser gegen Geld, dachte Ruthie manchmal, da er so unweigerlich verlor). Trotzdem gab Duvey Mame immer ein Bündel Geldscheine, wenn er von den Erzfrachtern heimkam, bevor er seine Heuer unter die Leute brachte. Mame trug das Geld auf die Bank und hob davon ab, wenn die unausweichlichen kleinen Kümmernisse herniedergingen wie Sommerhagel, viele kleine Steinchen, aber jedes tat weh, wenn es traf.
Ihr mittlerer Bruder Arty hatte geheiratet, als er knapp so alt war wie Ruthie jetzt, neunzehn. Er fand nur Gelegenheitsarbeiten als Laufbursche, und so wohnte er mit Sharon bei der Familie. Nachdem Mrs. Rabinowitz von oben ins Städtische Siechenheim gekommen war, hatte Mame beim Hauswirt erreicht, dass Arty und Sharon nach oben ziehen konnten. Die Wohnung stank nach dem Dreck von Jahrzehnten, und Sharon, Mame und Ruthie hatten eine ganze Woche gebraucht, um sie sauber zu kriegen. Sharon war im siebten Monat mit Marilyn schwanger gewesen. Danach hatte Sharon noch Clark bekommen.
Wenn Duvey sich mit Mädchen sehen ließ, dann nur mit aufgedonnerten, wasserstoffblonden Schicksen. Wenn er zu Hause war, trieb er sich gewöhnlich mit der Gang herum, ging in Bars, hörte Jazz, spielte die ganze Nacht Poker und Siebzehnundvier und verlor Geld dabei. Er hatte Ruthie das Kartenspielen beigebracht, aber sobald sie es konnte, schlug sie ihn stets. Sie hatte Naomi die Kinderspiele gezeigt, Mau-Mau, damit sie mit den anderen Kindern spielen konnte. Kinder konnten so gemein sein zu jemandem, der ein bisschen anders war. Sie litt manchmal für Naomi. Sie hätte ihr die Kanten ihres Detroiter Viertels am liebsten ausgepolstert. Naomi war ein aufgewecktes kleines Ding, aber naiv. Französische Juden brauchten wohl länger in ihrer Entwicklung. Sie war viel nachdenklicher als ein amerikanisches Kind in ihrem Alter, aber viel unbedarfter, viel weniger in der Lage, sich zu behaupten. Wahrscheinlich war ihre Familie orthodoxer gewesen.
Im Haus ihrer Freundin Sophie stand am Sabbat alles still. Sie saßen im Dunkeln, und die Mädchen durften nicht mal lesen oder nähen oder Radio hören. Selbst als die Siegals wegen Bobe noch koschere Küche hielten, hatte es nie diese Tyrannei der Untätigkeit gegeben. In Ruthies Vorstellung musste das den Sabbat von etwas Besonderem zu etwas Gefürchtetem machen.
Bobe wollte in der Küche alles recht haben; sie meinte es ernst, wenn sie eine Speise trejf nannte. Für sie waren unkoschere Speisen unrein, physisch unsauber und verdorben wie ein Teller voll Dreck oder verwesendem Fisch. Ansonsten, fand Ruthie immer, waren Bobe und Mame es recht locker angegangen. Tate kümmerte das wenig. Er war Sozialist und Freidenker, und in seinen Augen waren die Reste von jüdischem Kultus im Familienleben etwas für die Frauen und die Kinder, anheimelnd, aber nicht das, worauf es ankam.
Bobe und Mame hielten jüdischen Kultus und jüdische Sitten beide für wichtig, aber anpassungsbedürftig, ein neues Leben in einem neuen Land; in der Befolgung gingen sie recht pragmatisch vor. Ruthie vermutete, dass sie selbst es auch einmal so halten würde. Sie hatte Bobe innig lieb gehabt und das Zimmer mit ihr geteilt, bis Bobe an Magenkrebs starb.
Bobe war seit Ruthies achtem Lebensjahr ihre ganz besondere Aufgabe gewesen. Wenn Bobe krank war, pflegte Ruthie sie, auch wenn das bedeutete, nicht zur Schule zu gehen. Das konnte sie doch jederzeit aufholen, und sie schaffte es auch stets. Als Arty davon redete, einen Sohn haben zu wollen, hatte Bobe zu ihr gesagt: »Wenn ein Junge geboren wird, dann machen die Männer viel davon her. Sie haben den briß, und sie beten, und es wird gefeiert. Aber wenn ein Mädchen geboren wird, dann ist die Mutter in ihrem Herzen doppelt froh. Denn sie wird in ihrer Tochter neu geboren, und vielleicht geht es diesmal besser.«
Bobe erblindete allmählich an grauem Star. Ein Arzt im Krankenhaus sagte, das konnte operiert werden, aber wer hatte das Geld für Operationen? In Polen hatte sie feine Stickereien an Blusen und Tüchern gefertigt. Bobe nähte unaufhörlich für die Familie, auch wenn sie es hauptsächlich nach Gefühl machte und sich manchmal in den Farben vertat – dann wagte niemand, es ihr zu sagen, um sie nicht zu beschämen. Sie war empfindlich, was die Schärfe ihrer Augen anbetraf, gab immer vor, mehr zu sehen, als sie tatsächlich sah. Den ganzen Tag lang hörte sie sich mit Mame die Seifenopern im Radio an. »Ma Perkins«, »Unser Mädel Sonntag«, »Die Romanze der Helen Trent«: Konnte ein Mädchen aus einer Bergbaustadt im Westen als Ehefrau eines der reichsten englischen Lords ihr Glück finden? Gab es noch romantische Liebe nach fünfunddreißig? Würde Stella Dallas sich je von ihrer missratenen Tochter Lolly-Baby lossagen? Seit Bobes Tod hatte Mame so was nie mehr gehört. Ruthie wusste nicht genau, warum – weil sie dann Bobe vermisste oder weil sie es eigentlich nie hatte leiden können. Als sie fragte, tat Mame die Frage mit einem Achselzucken ab. »Bin ich Mrs. Rockefeller? Hab ich Zeit, mit dem Ohr am Radio zu sitzen? Wer sorgt dafür, dass wir einigermaßen hinkommen, wenn nicht ich?«
Ruthie stand jetzt am Fenster ihres Zimmers, das auf die um halb fünf schon dunkle Hintergasse ging. Eine spillerige Katze kauerte unter einer Kiste. Ruthie wandte sich ab, um nicht zu sehen, wie sie da draußen im Regen fror. Automatisch streckte sie die Hand nach Boston Blackie aus, früher Bobes Katze und jetzt ihre. Boston Blackie war ein großer, schwarzweißer Kater, der fast vierzehn Pfund wog, das meiste davon Knochen und Muskeln. Sein linkes Ohr war ausgefranst, und sein Schwanz hatte am Ende einen Knick. Tate sagte, da war ein Wirbel gebrochen. Als Bobe ihn ins Haus genommen hatte, war er froh gewesen, die Straßenkämpfe und das Streben nach Geschlechtsverkehr aufgeben und sich zur Ruhe setzen zu können. »Er ist ein Philosoph«, sagte Bobe immer. »Den ganzen Tag denkt er über G-tt und die Welt nach. Einen Mann, so dankbar wie dieser Kater, kannst du lange suchen. Gib ihm Hühnermagen, und er dankt es dir mit Schnurren und Schmiegen. Streichle ihm den Kopf, und er kniet vor dir nieder. Lass ihn in dein Bett, und er benimmt sich wie ein feiner Herr.«
Naomi saß über den Schreibtisch gebeugt und machte ihre Hausaufgaben in Rechtschreibung. Eigentlich war es kein Schreibtisch, sondern das Unterteil einer Frisierkommode. Der Spiegel war entzweigegangen, und einer Schublade fehlte ein Griff, also hatte ein Mensch mit mehr Geld als Verstand sie auf die Straße gestellt, wo