Finderglück. Johannes Saltzwedel

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Название Finderglück
Автор произведения Johannes Saltzwedel
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783866742086



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schon, da kein Erfahrungsweg auf ihn zu oder von ihm fort führt. Der unausgesetzte abrupte Wechsel solcher in Daten erfaßter Zustände drängt, indem er die Aufmerksamkeit durch reine Unterschiedsfülle auslastet, ihren Gehalt zurück, bis nur noch ein flackerndes Hintergrundrauschen in der Wahrnehmung übrigbleibt.

      Die Apostel ästhetischer Epiphanie, von Cézanne bis Doderer, konnten den Moment des Umschlagens der Einzelheiten in lichtvolle Sinngestalt allein vor dem Horizont sequentiell-narrativen Fortschreitens zum Ziel ihres Werks erheben, einem selten und mit Anstrengung errungenen Ziel. Müheloses, pausenloses Umschalten von Datenquantum zu Datenquantum hingegen wirkt nivellierend; es ist aurafeindlich – und ironiefrei ohnehin. Besonders leicht ließe sich dies übrigens an der sogenannten Archäologie Michel Foucaults zeigen, einer Doktrin, die hierzulande ihren akademischen Einfluß noch keineswegs verloren hat: Scheinbar den Quellen verpflichtet, expliziert man einen ›Diskurs‹, den man dann anderen ›Diskursen‹ wie in einem Maschinenpark entgegenstellen kann; sprachliche Verfaßtheit als solche aber und erst recht der Übergang von einem zum anderen Diskurs bleiben Mysterien, die nur noch mit dem dunklen Faktor der Macht benannt werden können. Wenn aber unfaßbare dämonische Mächte das historische Werden im Vergehen regieren, dann stehen für die Erkenntnis bestenfalls Eindeutigkeiten gegen Eindeutigkeiten: Das in seiner Wandelbarkeit zu Erkennende, Geschichte wie Gesellschaft, zerfällt zu Momentaufnahmen der Fatalität. Als hätte diese schicke Methodik, die unter der Hand das historische Denken abschafft, erzeugt, was sie zu beschreiben angetreten war, so trist mutet zuweilen die Entropie der unzähligen Diskurse an, die mittlerweile nicht nur akademisch ergründet, sondern auch lebensweltlich praktiziert werden.

      Beispiele für das alltägliche Nebeneinander der Diskurse gibt es genügend, zumal auf dem Sektor elektronischer Medien. Zwar wird es gern an hochreflektierten Formen erörtert wie den vor Bedeutungskanälen schier berstenden und doch dramatisch-emotional stillgestellten Filmschaukästen Peter Greenaways. Schon ganz alltägliche Umstände jedoch sind lehrreich genug. Mit dem Aufkommen von Bildschirmarbeitsplätzen beispielsweise war ein wichtiger Schritt weg von der sequentiellen, nach der Einfalt der Schreibhierarchie geordneten Verwaltung getan. Sofortige Verfügbarkeit schien dem Sachbearbeiter in manchen Momenten Zauberkräfte zu verleihen. Doch mit der Machbarkeit kam die technische Entfremdung vom Gegenstand. Fiel das Computersystem aus, blieb nur der Ruf nach dem Fachmann, während die Arbeitsleistung der Terminalnutzer zwischenzeitlich auf den Binärwert Null fiel. Seit von 1981 an der PC geläufig wurde, sind wir über diese frustrierend diskreten Zustandsgrößen hinaus mit einer Fülle weiterer Grundeigenschaften digital zerlegter Wahrnehmung vertraut geworden: Zeichen auf dem Bildschirm brauchen keineswegs einer inneren Realität zu entsprechen, ebensowenig dem, was hernach ein Drucker zu Papier bringt; es empfiehlt sich, vom Tätigkeits- und Gedankenfluß des öfteren ein Zwischenbild in Form der Sicherheitskopie zu hinterlegen, denn bei einem »Absturz« könnten ungesicherte Daten, gar Gedankenblitze, spurlos verschwinden. An die plötzliche Verfügbarkeit von Informationen über eine Datenbank wie an das plötzliche Ende solcher Verfügbarkeit – etwa weil die Zugangssoftware nicht mehr mit dem neuen Betriebssystem des Computers harmoniert – hat man sich binnen weniger Jahre bis zur Gleichgültigkeit gewöhnt; ebenso daran, daß die Elektronik einen im Moment des Manipulierens absorbiert, zwischendurch jedoch gelangweilt läßt – weswegen bei Computerspielen die zu meisternden Abenteuer als Trommelfeuer hereinbrechen.

      Diesen Äußerlichkeiten entspricht ein Wandel im Verhältnis zu geistigen Inhalten. Daß Ideen immer selbstverständlicher wie temporär funktionale Zustandsgrößen aufgefaßt werden, braucht nicht erst ein Kunsthistoriker zu demonstrieren. Galt früher der Wechsel von Theorien als mühsam gebahnter, ja durch Gewissensnöte freigekämpfter Weg, so muß heute kein Intellektueller seine Bahn im edlen Streit ums Richtige und Gute rechtfertigen, da es niemandem mehr auf- oder gar mißfällt, daß er schlagartig seine Voraussetzungen gewechselt hat. Selbst kanonische Bild- und Sprachformeln können angesichts dieser immer nur für den Augenblick stabilen Fixierung ihre äußere Beständigkeit einbüßen. Momentane Wirkung zählt, nicht gesicherte Form. Zu einem Text, also einer Menge per se arbiträrer Zeichen erklärt, damit aller Schwere von Endgültigkeit ledig, geht die äußere Erscheinung auf Distanz vom eigentlichen Ausdrucksgehalt. Sie wird ein jederzeit verbesserbares Make-up, ein Film, der Umschnitte verkraften muß. Sinn dagegen hält sich fortan hinter vielen möglichen Versionen skizzenhafter Ausfertigung verborgen. Zwangsläufig löst er sich so von dramaturgisch-sequentieller Eindeutigkeit und wandert ab in die kleineren Bestandteile, die jeder für sich, aber nie über sich hinaus Geltung beanspruchen können. Textbausteine für Geschäftsbriefe wie auch die Modularisierung ganzer Firmenstrukturen sind nur erste Spuren dieser Denkhaltung. Die Separation in momentane Machbarkeiten wird weitergehen – wohin, bleibt offen. Sicher freilich ist, daß ein Werkzeug den Umgang mit mentalem Gut wesentlich in die Richtung einer pluralistischen und punktualistischen Ästhetik treibt: das Betriebssystem Windows und seine elektronischen Verwandten.

      Wer Windows nutzt, kann dank Multitasking prinzipiell so viele Programme starten, wie der Hauptspeicher seines Computers bewältigt; er kann sich praktisch verzögerungsfrei gleichzeitig als Briefschreiber, Buchhalter, Konstruktionszeichner und Golfspieler betätigen. Nahezu jede Art beruflicher und privater Rolle ist parallel verfügbar. Eifrig studieren Soziologen die künstlichen Welten sogenannter MUDs (Multiple User Dungeons, vornehmer Domains), sozialer Phantasiereiche im globalen Datenverbund, die sich aus Anfängen in Kampfspielform zu regelrechten Gruppenexperimenten entwickelt haben, ja sogar schon gelegentlich Ausbildungszwecke erfüllen. Zumindest jemand, der solche Rollenwelten ins Leben ruft, kann die Mitspieler und ihr Schicksal jederzeit überwachen. Selbstbestimmung gestattet der Datenraum stets nur mittelbar, dafür jedoch unbegrenzt – um den Preis, daß noch die absorbierendste Betätigung in der elektronischen Kulissenwelt lediglich das Manipulieren von Bytes bedeutet und der Ausführende das auch weiß. Wie hoch dieser Preis für den Begriff von menschlicher Identität tatsächlich ist, zeigt neben vielem anderem das beharrliche Fortleben einer Kognitionswissenschaft, in der durch Rückschluß menschliche Einsicht und Schöpferkraft allen Ernstes analog zur Häufung und Umwälzung diskreter Daten gedeutet werden. In solcher a priori endlichen Welt aus immer schon potentiell bekannter, da irgendwo gespeicherter Information kann nur die möglichst rasche Verknüpfung möglichst entlegener Daten Originalität beanspruchen, womit man noch vor das frühaufklärerische Denkmodell vom ›Witz‹ als Inventionskraft zurückgefallen ist. Die Münchhausen-Ideologie der radikalen Konstruktivisten vollendet diesen abgeschlossenen Bau zu klinischer Reinheit.

      Aber das datentechnisch fundierte Denkmuster beliebig umschaltbarer Zustandsbilder hält nicht bloß einige Spielsüchtige und Theoretiker gebannt. In nahezu allen aktuellen Erkenntnisfragen setzt die öffentliche Argumentation »Grundwerte« als diskrete Größen voraus, die, Parametern vergleichbar, primär wertfrei statuiert und umgeordnet werden können. Ob es um die Ozonschicht geht oder um den Arbeitsmarkt: Alles hängt von den Prämissen ab, und die scheinen dem geläufigen Dezisionsdenken zunächst und im Prinzip frei wählbar. Auch daß jeder Eingriff das unüberschaubare Ganze betreffen muß, daß Kalkulierbarkeit folglich nie mehr als eine schöne Hoffnung bleiben kann, gilt unter den Klein-Demiurgen aller Couleur längst als technologische Binsenweisheit. Wirkung bleibt mittelbar, darum kommt es so sehr auf die Wahl der Grundelemente an – eine Spätversion des axiomatischen Optimismus vom Anfang des Jahrhunderts, die vergessen läßt, daß ihre unbekümmerte Resignation aufs Vielfältige ein Schema digitaler, als Nebeneinander imaginierter Wertigkeiten geradezu voraussetzt.

      So möchten beispielsweise ungezählte Schreibende und Redende durch politisch korrekten Sprachgebrauch dazu beitragen, angebliche Diskriminierungsnachteile auszugleichen. Ob die bewußte Entscheidung fürs schriftliche und mündliche Tabu tatsächlich im angestrebten Sinne wirkt, würden zwar höchstens einige Aktivisten beschwören; alle übrigen hoffen mit systemischer Ungewißheitsmarge. Doch selbst ihren Gegnern wird kaum je bewußt, daß schon die Annahme, sich im Ausdruck frei entscheiden zu können, auf der Verengung kultureller Zeichenhaftigkeit zu diskreten Größen beruht. Wer aus unbewußter Überzeugung die Geschlechterpolarität als feste Werte wie Null und Eins, oder weniger freudianisch als A und B, beschreibt, benötigt etwa für die darin zunächst nicht vorgesehenen Übergänge plötzlich eine komplizierte Mehrwertigkeit, die auszutüfteln so viel Zeit kostet, daß das Ergebnis mit entsprechend scholastischem Stolz verkündet wird. Das