Das Elend des Kulturalismus. Rudolf Burger

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Название Das Elend des Kulturalismus
Автор произведения Rudolf Burger
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783866742048



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      RUDOLF BURGER

       Das Elend des Kulturalismus

      Antihumanistische Interventionen

      Reihe zu Klampen

      Essay Herausgegeben von

      Anne Hamilton

      Rudolf Burger,

      Jahrgang 1938, ist Professor emeritus für Philosophie an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Nach Abschluss seines Studiums der Technischen Physik (Promotion 1965) war er u. a. am Battelle-Institut in Frankfurt am Main und im Planungsstab des Bundesministeriums für Forschung und Technologie in Bonn tätig. 1987 wurde er als Professor für Philosophie an die Universität für angewandte Kunst berufen, deren Rektor er von 1995 bis 1999 war. Mit seinen Schriften zur politischen Situation sorgte er mehrmals für landesweite Kontroversen in Österreich. Bei zu Klampen sind bereits erschienen: »Ptolemäische Vermutungen«. (2001), »Re-Theologisierung der Politik?«. (2005) und »Im Namen der Geschichte. Vom Missbrauch der historischen Vernunft«. (2007).

       Inhalt

       Cover

       Titel

       Der Autor

       Zitat

       Was ist Bildung?

       Der Triumph des Liberalismus Ein Nachruf

       Das Elend des Kulturalismus

       Die Sehnsucht nach dem Unendlichen Über das romantische Rezidiv

       Vom Willen zum Erhabenen

       Willensfreiheit als semantischer Effekt

       Nachweise

       Impressum

       Fußnoten

      WER nur Erbauung sucht, wer die irdische Mannigfaltigkeit seines Daseins und des Gedankens in Nebel einzuhüllen und nach dem unbestimmten Genusse dieser unbestimmten Göttlichkeit verlangt, mag zusehen, wo er dies findet; er wird leicht selbst sich etwas vorzuschwärmen und damit sich aufzuspreizen die Mittel finden. Die Philosophie aber muß sich hüten, erbaulich sein zu wollen.

       G. W. F. Hegel

      I.

      WAS immer »Bildung« sein mag – der deutsche Begriff von ihr ist jedenfalls, so lautet die Auskunft gebildeter Leute, in andere Sprachen nicht wirklich übersetzbar. Die Wörter »education«. (engl.) oder »éducation«. (fr.) haben bei weitem nicht jenen Umfang – gebildet ist, wer »allgemein« gebildet ist – und jene Bedeutungsschwere, die der sehr deutsche Begriff »Bildung« als subjektive Inkorporation von »Kultur« seit dem Deutschen Idealismus, seit Johann Gottfried v. Herder, dem ersten Theoretiker und Stichwortgeber eines spezifisch deutschen Bildungsbegriffs, und Wilhelm v. Humboldt, dem großen Reformprogrammatiker der preußischen Universitäten, mit sich schleppt. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts ist der Bildungsbegriff, über den das Bildungsbürgertum sich lange Zeit kulturell definierte, idealistisch imprägniert; und zwar nicht nur durch die Philosophie und die Literatur der deutschen Klassik und Romantik, sondern vor allem durch einen Neuhumanismus, der in der griechisch-römischen Antike sein kulturelles Ideal erblickte und im humanistischen Gymnasium sowie in der neuorganisierten Universität seiner vermeintlich unpraktischen »Bildungsreligion« als notwendiger Grundlage jeder akademischen Fachausbildung eine praktisch folgenreiche Normgeltung verschaffte:

      »Bildung« hieß fortan (und heißt zumindest unterschwellig bis heute) musisch-literarische, im Kern humanistische Bildung, und humanistische Bildung hieß im Idealfall am Studium der klassischen antiken Autoren gewonnene und verinnerlichte Kultur. Naturwissenschaftlich-technische Schulung galt ihr gegenüber als kulturell zweitrangig – man sprach auch von »Kulturschulen« und »Zivilisationsschulen«. Dieses Bildungsideal hat sich durch die lange Zeit hegemoniale Stellung der deutschen Kultur in ganz Kontinentaleuropa verbreitet. Der »Erwerb« einer solchen »Bildung« verschaffte seinem Besitzer einen gesellschaftlichen Distinktionsprofit gegenüber dem »Ungebildeten«, auch wenn dieser vielleicht über mehr praktische Kenntnisse, Geld, Macht und Eleganz verfügt haben sollte. Wäre man boshaft, so könnte man sagen, der Bildungsbürger ist der kontinentaleuropäische Ersatz für den Gentleman in Form des Großmaturanten.

      Die Herauflobung des humanistischen Bildungs- und Kulturbegriffs, die bis heute die inoffizielle Rangordnung der Curricula bestimmt (ein Lateinlehrer gilt gemeinhin immer noch für »gebildeter« als ein Bauingenieur), hat erst jene binären Codierungen und Juxtapositionen ermöglicht, die seit Jahrzehnten jede Schul- und Hochschulreform ideologisch vergiften und als »semantisches Gefängnis« (Bollenbeck) fungieren. Sie haben ihren Ursprung in den beiden Grunddichotomien Bildung (zur Veredelung des Menschen) und Ausbildung (zum Beruf), Kultur versus Zivilisation, die erst mit dem Idealismus und der Romantik virulent geworden sind. Es ist bemerkenswert, daß in Immanuel Kants berühmter Schrift »Was ist Aufklärung?« von 1784 die Begriffe »Bildung« und »Kultur« nicht ein einziges Mal vorkommen. (Und auch nicht, wenn ich nichts übersehen habe, im »Streit der Fakultäten« von 1794.) Der kritische Transzendentalphilosoph Kant schreibt noch ganz im cartesianischen Geist der Tabula rasa, für den Philosophie zunächst und vor allem nicht ein Bildungsunternehmen zur Bereicherung der Kultur, sondern ein Abbruchunternehmen darstellt. Genau das ist ja, wenn man so sagen darf, der erkenntnispolitische Sinn des radikalen cartesianischen Zweifels: nämlich den gesamten scholastisch angehäuften Bildungsmüll abzuwerfen, um auf epistemisch gereinigtem Boden empirisch gesichertes und technisch brauchbares Wissen produzieren zu können; dem gleichen purifizierenden Impuls folgt die antimetaphysische Transzendentalphilosophie Kants, die zugleich den Höhe- und Kippunkt der Verstandesaufklärung darstellt. Geistesgeschichtlich ist die Emphatisierung von »Bildung« und »Kultur« also nicht in der Aufklärung, sondern erst in der neuhumanistischen Reaktion auf die Systemdenker des Deutschen Idealismus, auf Fichte, Schelling und Hegel, zu verorten, wobei die Rolle Hegels wie immer ambivalent ist. Denn bei ihm erscheinen »bilden« und »Bildung« als konstitutive Momente einer weltgeschichtlichen Höherentwicklung des objektiven Geistes, die mit der Arbeit beginnt und in ihr ihre beständige Basis hat. Damit durchbricht Hegel die klassenspezifische Enge des neuhumanistischen Bildungsbegriffs, wird doch die Vorstellung vom »Tätigwerden des Geistes« mitten in der beruflichen Praxis angesiedelt – eine geschichtsphilosophische Gedankenfigur, an die der junge Marx anknüpfen wird.

      Damit hatte der Neuhumanismus, der schon zu Hegels Zeiten die reformpädagogische Bühne beherrschte, freilich nichts im Sinn. Mit ihm und seiner Kritik der Verstandesaufklärung werden die Formeln von der »wahren Bildung« geboren, die sich bis heute wiederholen und in der Polemik gegen »bloß« berufspraktische Ausbildung immer wieder neu anreichern. »Geist« steht dann