Название | Ein Bier, ein Wein, ein Mord |
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Автор произведения | Susanne Mischke |
Жанр | Триллеры |
Серия | |
Издательство | Триллеры |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783866741980 |
Ohne auf den Gegenverkehr zu achten, nahm in diesem Moment der Streifenwagen mit quietschenden Reifen die Tankstelleneinfahrt. Das davonbrausende Motorrad zunächst ignorierend, stoppten die Polizisten unmittelbar vor der Schiebetür, die sich gerade öffnete. Die Kassiererin trat heraus und fuchtelte wild mit den Armen.
Der Streifenwagen nahm erst die Verfolgung auf, nachdem sich die beiden Polizisten überzeugt hatten, dass die Kassiererin keiner Ersten Hilfe bedurfte und wohlauf war. Dadurch gewannen die Flüchtenden wertvolle Sekunden. Ihr Vorsprung war mehr als komfortabel.
Nichtsdestotrotz rasten sie mit höllischer Geschwindigkeit durch die enge Häuserschlucht der Stolzestraße in Richtung Südstadt. Die Frau auf dem Rücksitz schaute sich mehrmals um, konnte jedoch keinen Streifenwagen entdecken. Beruhigend klopfte sie ihrem Vordermann auf die Schulter.
Kurz bevor sie am Kalabusch in die Sallstraße einbogen, passierte es. Eine Katze huschte von links nach rechts über die Fahrbahn. Waren es nun der Schreck, die nasse Fahrbahn oder rutschiges Laub – vielleicht auch alles zusammen – jedenfalls kamen sie durch das plötzliche Bremsmanöver heftig ins Rutschen. Der Fahrer verlor die Kontrolle über sein Motorrad. Trotz deutlich reduzierter Geschwindigkeit kippte die Maschine zur Seite und schlidderte unter ein parkendes Auto.
Zum Glück für das Räuberpaar verlief der Sturz glimpflich. Sie waren sofort wieder auf den Beinen und kümmerten sich um das Motorrad. Die Maschine lief zwar noch, hatte sich jedoch unter der Auspuffanlage des parkenden Autos verkeilt. Trotz größter Anstrengung bekamen sie das Motorrad nicht hervorgezogen.
»Verdammte Scheißkarre!«, fluchte der Mann und trat nach dem Hinterrad.
»Lass es!« Die Frau keuchte. »Wir müssen zu Fuß weiter.«
Im Hintergrund war ein Martinshorn zu hören, dessen Lautstärke rasch zunahm.
Sie ließen vom Motorrad ab und hetzten über die Straße. Geduckt, hinter den parkenden Autos Schutz suchend, liefen sie weiter. In dem Moment, als sie den Nebeneingang vom Kalabusch passierten – den durch den Garten –, kam der Streifenwagen um die Ecke gebogen.
*
Beim Tatort hatte es soeben eine zweite Leiche gegeben. Der Zuhälter war von einer Motorsäge zerstückelt worden. Einige Zuschauer stöhnten auf. Hannes vermutete, dass es jene waren, die auf den Getöteten als Mörder gesetzt hatten. Die waren jetzt außen vor. Er lehnte sich zufrieden zurück und bestellte ein weiteres Weizen. Er war noch im Rennen.
Der Krach auf der Straße direkt vor dem Kalabusch kümmerte niemanden. Als Innenstadtbewohner war man den Lärm von Martinshorn und Feuerwehrsirenen gewohnt.
Dem Pärchen, das gerade die Wirtsstube durch den Seiteneingang betrat, schenkte ebenfalls kaum jemand Beachtung. Hannes war einer der wenigen, der sie bemerkte. Sie waren jung, vielleicht zwanzig, zweiundzwanzig, trugen schwarze Motorradkleidung und ihre Integralhelme unterm Arm. Die Frau hielt zudem einen Rucksack mit der rechten Hand fest umklammert. An einem lausig kalten Novemberabend sind Biker schon ungewöhnlich, befand Hannes, der ein Faible für Motorräder hatte.
Der Mann setzte sich neben ihn auf einen freien Stuhl, während die Frau Richtung Toilette verschwand. Den Helm schob sein neuer Nachbar unter den Stuhl; danach zog er seine Lederjacke aus. Immer wieder wandte er den Kopf zur Tür. So, als ob er noch jemanden erwartete.
Während er weiter dem Tatort zuschaute, registrierte Hannes aus den Augenwinkeln, dass an der Stirn des Motorradfahrers schweißnasse Haarsträhnen klebten. Auffallend war auch, dass die Lederhose des Mannes am rechten Oberschenkel und an der Wade frische Dreckspuren aufwies.
Professor Karl-Friedrich Boerne machte seiner kleinwüchsigen, aber nicht auf den Mund gefallenen Assistentin Alberich gerade wieder einmal grundlos Vorhaltungen – das Publikum im Kalabusch lauschte andächtig –, als zwei Polizisten in Uniform die Gaststätte betraten. Der eine hielt eine Stabtaschenlampe in der Hand, der andere ein knatterndes Funkgerät.
»Ihr seid im falschen Film«, rief ihnen jemand zu. Gelächter war die Folge, einer buhte, »Pssst!«, raunte ein anderer. Der Wirt trat zu den beiden Ordnungshütern und erkundigte sich nach dem Grund ihres Auftauchens.
Derweil war Hannes aufgefallen, dass sich alle Welt nach den Polizisten umgedreht hatte – bis auf eine Ausnahme: sein neuer Nachbar. Dieser starrte wie hypnotisiert auf die TV-Leinwand vor sich und rührte sich nicht.
»Hey, Sie da!«, rief da einer der Polizisten.
Im gleichen Moment bekam Hannes einen Schlag gegen die Schulter und flog vom Stuhl. Der Motorradfahrer war unvermittelt aufgesprungen, hatte ihn und einen weiteren Gast gerammt und war auch schon zur Tür hinaus.
Die beiden Polizisten stürmten hinterher, die Gäste im Kalabusch johlten.
»Na, alles okay?«, fragte der Wirt, nachdem Hannes sich wieder aufgerappelt und auf seinem Stuhl niedergelassen hatte.
»Ja, ja!« Hannes winkte ab. »Ist nichts weiter. – Um was ging’s denn?«
»Tankstellenüberfall«, flüsterte der Wirt. »In der Marienstraße …«
»Pssst!«, zischte jemand. Der Tatort ging in seine finale Phase.
*
Da entdeckte Hannes die Frau. Die Motorradjacke hatte sie abgelegt, auch den Rucksack trug sie nicht mehr bei sich. Ihre zuvor mit einem Schlauchtuch gebändigten rotblonden Haare trug sie nun offen. Sie hatte herrliche Locken. Mit sorgenvoller Miene schaute sie sich in der Gaststätte um.
Hannes’ Herzschlag beschleunigte sich. Nicht wegen der ausnehmend hübschen und feinen Gesichtszüge der jungen Frau. Ihn interessierte vielmehr, wo der Rucksack geblieben war. Und was darin wohl stecken mochte.
Hauptkommissar Frank Thiel begann gerade mit seinem Schlussplädoyer, als sich Hannes erhob, dabei den Unmut seiner Hinterleute hervorrief und – wie von einer fremden Macht getrieben – die Treppe hinauf in Richtung Toiletten verschwand.
Wegen des Finales des Tatorts waren die Klos verwaist. Ohne lange zu fackeln, betrat Hannes die Damentoilette und begann mit der Suche. Das Versteck für Motorradjacke und Rucksack hatte er schnell ausgemacht. Unter dem Waschtisch befand sich ein Hohlraum, der schwer einzusehen war. Hier lag das Gesuchte. Sekunden später wühlten seine Hände in Geldscheinen. Ein irrsinniges Glücksgefühl machte sich in ihm breit.
Plötzlich stand die Frau mit der roten Lockenmähne hinter ihm. Er hatte die Tür gar nicht gehört.
»Gib her!«, sagte sie mit fester Stimme. Ihre Augen funkelten böse. »Das gehört mir.«
Hannes lachte auf. Sie war gut einen Kopf kleiner als er und recht zierlich. »Jetzt nicht mehr«, zischte er. »Sei froh, wenn ich dich nicht verpfeife.«
Kurzerhand schob sie ihr Sweatshirt hoch und zog eine Pistole aus dem Hosenbund. Die Mündung hielt sie Hannes vor die Brust.
»Du mieser Scheißer!«, fauchte sie. »Gib her! Sofort.«
»Okay … okay«, stammelte er. »Machen … machen wir doch halbe/halbe.«
»Her damit!« Sie machte einen Schritt nach vorn und entriss ihm den Rucksack. Automatisch nahm er die Hände hoch.
»Is’ ja schon gut …«, jammerte er.
»Die Hose runter!« Sie fuchtelte bedrohlich mit der Pistole.
»Die Hose?«
»Ja, die Hose. Los schnell!«
Hannes öffnete Gürtelschnalle und Hosenbund seiner Jeans. »Wozu das Ganze?«
»Runter damit!« Sichtlich nervös drehte sie sich zur Tür um. »Nun mach schon.«
Widerwillig schob Hannes seine Hose bis auf die Knöchel. »Ach so, verstehe«, ließ er verlauten. »Du hast Schiss,