Mann, Frau, Affe. Volker Hagedorn

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Название Mann, Frau, Affe
Автор произведения Volker Hagedorn
Жанр Юмористические стихи
Серия
Издательство Юмористические стихи
Год выпуска 0
isbn 9783866741942



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die, die sowas hinkriegen, egal ob im Liegen oder im Stehen, und irgendwie beleidigt Spitzweg die ganze lyrische Zunft.

      Angeblich ist sein Bild ein ironischer Gegenentwurf zu Caspar David Friedrichs »Wanderer über dem Nebelmeer«, wo man einen gut gekleideten Einzelgänger von hinten sieht, der gewaltigen Natur gegenüber. Bei Spitzweg, las ich in einer Exegese, sei hingegen die Natur der Floh, den der Poet gerade zwischen den Fingern zerdrückt. Auweia.

      Leider gab es den Wanderer nicht als Briefmarke, ich nahm stattdessen eine Kollektion von Leuchttürmen, da macht man nichts falsch, außerdem noch zehn Mal Franz Kafka. Seine Zeichnung von dem Typen, der erschöpft überm Tisch zusammengebrochen ist, vermittelt auch in der Korrespondenz mit Redaktionen das richtige Signal auf hohem Niveau.

      Zu Hause ging ich zum Rauchen auf den Balkon. Es regnete, und ich holte einen Schirm. Da stand ich dann, höhenmäßig etwa dem Wanderer über dem Nebelmeer vergleichbar, unter einem Schirm, der an Spitzweg erinnerte. Das wäre doch das passende Bild für unsere Zeit, dachte ich. Weltweit stehen die Schreiber, egal ob Poeten oder Prosaisten oder Kolumnisten oder Kafkaisten, auf ihren Balkons, weil sie, voller Einsicht und guten Willens, an ihren Schreibtischen nicht mehr rauchen. Heroisch klappen sie im Regen die Schirme auf. Verschwunden sind Flöhe und Nebelmeere, der Schirm aber wird geadelt zum Insignium des Konflikts zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischem kreativem Rauchen und sozialem Nichtrauchen.

      Kann das mal jemand malen? Das würde ich gleich von der Rolle kaufen.

      Im Schatten eines Doppelturms

      Ab und zu mache ich auf dem Balkon Fotos von Sonnenuntergängen. Die sehen so aus, als befände man sich in wilder Natur: Am unteren Rand Baumwipfel, ansonsten dramatische Wolken, rot, orange, rosa, violett, diverse Blaus. Es könnte sonstwo sein, Canada etwa, oder Australien. Ich muss dafür nichts wegpixeln. Ich muss nur warten, bis die Sonne überhaupt mal zum Vorschein kommt und Berlin nicht unter der ortstypischen Wolkendecke begraben liegt. Und vor allem darf ich die Kamera nicht zu weit nach links bewegen. Da steht nämlich der Spukturm.

      Der Spukturm ist eigentlich ein Doppelturm, er besteht aus zwei zusammengeklebten Hochhäusern der 70er Jahre. Die Berliner nennen das Ding »Kreisel«. Sie haben hier seltsame Bezeichnungen. Die höchste Bodenwelle der Stadt, ein Trümmerberg, heißt »Insulaner«. Hannoveraner sind da anders. Wenn sie in eine Masch einen See graben, heißt er Maschsee und nicht Bergziege, ein Hochhaus heißt Hochhaus, in begründeten Einzelfällen auch Anzeiger-Hochhaus, aber nicht Gurke oder Auster. Als gelernter Hannoveraner kann ich in Berlin auch rings um den Spukturm keinen Kreisel erkennen, dafür aber die weltweit komplizierteste Art, das Ende einer Autobahn mit zwei Straßen zu verknoten.

      Grob geschätzt 163 Ampeln regeln den zähen Verkehr auf zahllosen Teilabschnitten. Es ist unmöglich, dieses Labyrinth ohne anzuhalten zu überqueren, sogar ein Selbstmordattentäter unter Zeitdruck würde hier unwillkürlich bei Rot warten. Umwürgt von diesem Netz erhebt sich also das »Kreisel« genannte Monument, auf das mein Balkon eine fabelhafte Sicht bietet. Der Doppelturm ist völlig leer und nachts zappenduster bis auf rote Lämpchen an den Kanten zur Orientierung der Flugzeuge, die bis vor Kurzem nach Tempelhof flogen (noch so ein irrer Name! Als wäre da mal die Akropolis gewesen und nicht ein preußischer Exerzierplatz).

      Wegen einer Asbestverseuchung, deren Beseitigung fast 100 Millionen Euro kosten würde, darf in den Turm niemand hinein, fast niemand. Ein Architekt, der drin war, hat mir erzählt, man habe von oben eine berauschende Sicht bis hin zum Insulaner und nach Tempelhof und wohl noch weiter. Eine Berlinerin, die nicht drin war, reagierte indigniert auf meine Bemerkung, der Turm verstelle mir die Sicht nach Südosten. Ich sei hier schließlich in einer Großstadt. Mein toter Lieblingsnachbar hätte dem Spukturm und auch dem irren Labyrinth womöglich etwas abgewonnen. Aber Franz Kafka gefiel der Rathausplatz, wie die Ecke damals hieß, auch so.

      Auf meinen Abendfotos existiert der Spukturm jedenfalls nicht. Die Leute, denen ich sie zeige, fühlen sich von den Sonnenuntergängen über Baumwipfeln allerdings nicht an Australien oder Canada erinnert. Manche sagen, es sähe aus wie über den Feldern und Wäldern nördlich von Hannover.

      Tiere blicken dich an

      Neulich bin ich mal wieder in meiner Lieblingsgegend spazierengegangen, nördlich von Hannover, in den Feldern ums Dorf, in der Dämmerung. Außer mir war nur noch ein Trecker unterwegs, ich wusste auf einmal nicht mehr, wie man Stress buchstabiert. Und dann waren da die Kühe. Zehn Kühe standen hinterm Zaun in einer Reihe unter Bäumen. »Guten Abend«, sagte ich, und weil mir das etwas zu wenig schien für so viele, fügte ich an: »Na, ihr?« Es ist nicht leicht, bei Kühen den richtigen Ton zu treffen, aber sie fanden es wohl okay. Gemeinsam sahen sie mir nach, während ich vorbeispazierte.

      Und diese Stille! Wenn ich jetzt auf den Balkon trete, höre ich Autos brausen und sehe hunderte von Menschen, Straßen, Häuser und Hochhäuser, ein paar Bäume auch, aber hinter denen ist die Stadt noch lange nicht zu Ende. Es ist in Berlin nicht einfach, sich vorzustellen, wie es wohl war, als hier nur ein paar Dörfer in der Landschaft standen. Aus dieser Zeit ist in meinem Stadtteil ein Straßenname geblieben, »Frohnhofstraße«, da muss es einen Hof gegeben haben. Die Straße ist eine Asphaltschlucht, eingeklemmt zwischen S-Bahn-Damm und den Spukturm, dessen obere Etagen bei Nebel verschwinden.

      In so einer Stadt ist eine Kuh seltener als ein Eisbär. Denn Kühe in Halbtrauer, wie Arno Schmidt sie nannte, also das ganz normale europäische Fleckvieh, gibt es nicht mal im Zoo. Wer in Berlin eine Kuh sehen will, begibt sich zur Domäne Dahlem. Das ist ein Ökohof mit U-Bahn-Anschluss, umgeben von Stadt und mit immerhin so viel Feld, dass man eine Viertelstunde braucht, um das Areal abzuschreiten. Am Wochenende gibt es Märkte und Kinderbelustigung, dann kommen viele Familien, und den Kindern werden die Rinder gezeigt. Ein paar Tage nach meinem Landspaziergang fuhr ich dorthin. Ein junger Stier wurde im Kreis geführt, auf dem Kinder reiten durften, und eine Mutter sagte zu ihrem Kind: »Willst du die Kuh nicht mal anfassen?« So werden Bildungslücken von einer Generation an die andere weitergereicht. Während in Walsrode jedes Kind eine Kuh von einem Stier unterscheiden kann, kennen kleine Berliner den Unterschied zwischen U-Bahn und S-Bahn. Aber es gab auch eine richtige Kuh dort auf dem Ökohof. Zehn Städter standen am Gatter und sahen sie an.

      Das Tier stand auf einer kleinen Weide und blickte irritiert auf die Zuschauer. »Guck mal, wie die guckt!«, sagte einer. Ich dachte daran, wie ich allein den zehn Kühen gegenübergestanden hatte. Wie still es gewesen war. Wie herrlich es ist, wenn eine ganze Herde im Galopp über die unermesslichen Weiden der norddeutschen Tiefebene donnert. Ich bin nun mal kein Berliner. Ich hätte mich zur Vorführkuh auf die Weide setzen können, mit einem Schild am Zaun: »Hausrind, 2 Jahre, Niedersachse, 47 Jahre«. Vielleicht hätten sich noch ein paar weitere Zugereiste danebengesetzt.

      Ein Streifen für Ringo

      Natürlich finde ich sie toll. Alle ihre Stücke, von vorn bis hinten, aus diesem magischen Jahrzehnt. Jeder Wurstverkäufer, jeder Waffenhändler, jeder Hund und jede Katze und die meisten anderen finden mittlerweile die Beatles toll, und dass die Musik davon nicht schlechter wird, ist womöglich das krönende Indiz für ihre Qualität. Innerhalb dieser Gemeinde gehöre ich aber womöglich zu einer Minderheit, wenn ich sage, dass ich es vollkommen unötig finde, was neulich der Fremdenverkehrsminister von Großbritannien getan hat. Er hat die Zebrastreifen unter Denkmalschutz gestellt, über die einst die vier Musiker schritten, um sich fürs Cover von »Abbey Road« fotografieren zu lassen.

      Konsequenterweise müsste man dann alle Plätze, Straßen, Häuser, Landschaften, die herausragend in der Weltkunst verewigt wurden, im Originalzustand belassen. Für größere Objekte wie Canalettos Dresden und das Paris Balzacs vor dem Bau des Eiffelturms ist es zu spät, man kann auch nicht Themse und Ärmelkanal für alle Schiffe sperren, die anders aussehen als die von William Turner gemalten, man fände auch kaum noch kompetentes Personal. Sogar das Lönneberga von Michel bzw. Emil, wie er im Original heißt, sieht nach hundert Jahren anders aus, als Astrid Lindgren es kannte. Und welche der von Ottorino Respighi vertonten »Pinien von Rom« rauscht heute noch im Wind?

      Es