Herta Tiemann-Gaastra (1917 – 1983). Detlef Gaastra

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Название Herta Tiemann-Gaastra (1917 – 1983)
Автор произведения Detlef Gaastra
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783961456895



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die Straße an der Koblenzer Straße, kreuzte die Bahnlinie der Köln-Mindener Eisenbahn oberirdisch und führte fast gerade bis zur Stadtgrenze am Wellensiek. Dort ändert sie ihren Namen in Bielefelder Straße. Sie war eine befestigte Landstraße und kein Weg wie der parallel verlaufende „Bürgerweg“, der dem angrenzenden Park den Namen „Bürgerpark“ verlieh. Heute trägt diese verkehrsreiche Straße den Namen des Oberbürgermeisters Stapenhorst.

      Das älteste Haus ist vermutlich das Haus Nr. 57, ein sogenanntes Ackerbürgerhaus und in den späteren Jahren Wohnhaus und Werkstatt eines Schneidermeisters. Dann gab es an der Straße in unmittelbarer Nähe zum Bürgerpark noch zwei kleine Bauerngehöfte. Ein einzelnes Bauernhaus und einen Hof mit dazugehörigem Kotten. Der Kotten stand der Straßenbegradigung im Wege und wurde abgerissen. Das Haupthaus existiert noch als Teil des Gemeindehauses der Altstädter Nicolaigemeinde. Von den letzten Eigentümern, den Geschwistern Willi und Frieda Ummelmann, wurde der Kirchengemeinde ein Stück Land an der Ecke Werther/ Lina-Oetker-Straße zur Errichtung einer Filial-Kirche überlassen, wenn sie den Hof nicht mehr bewirtschaften würden. Als das Gemeindehaus in der Grünstraße dem Ostwestfalendamm geopfert wurde, entstand ein Gemeindezentrum mit Kirchenraum.

      Das Wachsen des Eisenbahnverkehrs machte Veränderungen in der Verkehrsführung notwendig. Die Bahnlinie führte mittels einer Eisenbrücke über die von der Recke-Straße und die Wertherstraße bekam einen Fußgängertunnel. Damit begann die Straße an der Bahnlinie. Dem restlichen Stummel bis zur Koblenzer Straße wurde der Rang einer Straße aberkannt und er wurde in „Albrecht-Delius-Weg“ umbenannt. An diesem Weg steht ein Landhaus im Gotischen Stil, die „Villa-Bozi“. Die Gebrüder Bozi spielten eine große Rolle bei der Industrialisierung Bielefelds und legten den Grundstein zu der „Leinenstadt“ durch die Gründung der dampfbetriebenen „Spinnerei Vorwärts“. Das Fabrikgebäude wurde im englischen Tudorstil errichtet. So wie auch die später erbauten Fabrikschlösser der „Ravensberger Spinnerei AG“ an der Heeper Straße und der „Mechanischen Weberei AG“ an der Teutoburger Straße. Etwas abseits der Straße lag in einem parkähnlichen Anwesen auch ein „Tudorschloss“, die Villa des Seidenfabrikanten Delius. Das eindrucksvolle Haus wurde leider ein Opfer der Bombardierung Bielefelds. Direkt gegenüber der Bozi-Villa erbaute sich der Apotheker Dr. August Oetker ein größeres Haus. Damals steckte das Backpulverimperium noch in den Kinderschuhen. Mit dem Wachsen seiner Fabrik entstand auch ein schlossähnliches Wohnhaus am gegenüberliegenden Hang des Bielefelder Passes. Direkt am Bahnübergang entstand die großbürgerliche Villa des Leinenhändlers Klasing, dem späteren Kunsthaus und Stadtarchiv. Klasing hat dem Leinenhandel bei Zeiten den Rücken gekehrt und mit Herrn Vellhagen einen Buchverlag gegründet, Vellhagen & Klasing. Später wurde aus ihm ein führender Schulbuchverlag. In dem Verlag erschienen auch die „Monatshefte“ und „Künstlerbiografien“. Bielefeld machte sich um die Deutsche Volksbildung verdient. Ein weiterer Leinenhändler, Carl Bertelsmann, dessen Wurzeln in Bielefeld liegen, stieg in das Verlagsgeschäft ein und war in Gütersloh im Kielwasser der „Ravensberger Erweckungsbewegung“ Herausgeber pietistischer Kirchenliteratur. Zu diesem Ensemble gehörten auch zwei Häuser an der Obernstraße, die heutige Handwerkskammer und auf der gegenüberliegenden Straßenseite die „Tiemann-Villa“, die beim Bau der Kunsthalle abgerissen wurde weil sie die Sicht auf das neue Kunsthaus beeinträchtigte. Kommerzienrat Tiemann gehört auch in den Kreis der Gründerväter der Bielefelder Industrie, hat aber nichts mit der Familie meiner Mutter zu tun.

      Die gesamte Gruppe, die die industrielle Entwicklung der Stadt geprägt hat, wohnte am Anfang der Wertherstraße. Dadurch wurde die Entwicklung von einer Landstraße zu einer bevorzugten Wohngegend vorgezeichnet. Diese erste Phase der Bebauung endete an der Bismarckstraße. In diesem Abschnitt (und den Nebenstraßen) finden wir die gesamte Palette der historischen Baustile in einer Mixtur des Eklektizismus. Erinnerungen an Romanische Bauten, Villen der Renaissance, Französische Palais, Anleihen bei der Weserrenaissance und Barockpaläste. Dieses Stilgemenge setzt sich in den Seitenstraßen fort. In der Grünstraße finden wir die Delius-Villa im Stil Palladios und einen barocken Reitstall. Es gab an der Wertherstraße auch zwei Häuser die aus dem Rahmen fielen, sogenannte Schiefer-Häuser.

      Das waren Bauten aus Holz und Fachwerk, die mit dünnen Schieferplatten gegen Feuchtigkeit belegt waren. Schiefer ist ein Material, das im Raum Ostwestfalen nicht vorkam und darum selten verwendet wurde. In den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde die Idee wieder aufgegriffen und Häuser wurden mit Eternit-Platten versehen. Das war preiswerter als eine Fassadensanierung. Es stellte sich aber bald heraus, dass durch fehlende Luftzirkulation und eindringender Feuchtigkeit der Verfall der Häuser beschleunigt wurde. Auch die Wertherstraße konnte in der Höhe der Weststraße mit einer solchen Bausünde aufwarten. Das Haus ist inzwischen einem Neubau gewichen. Mit den Namen der Seitenstraßen wurde der Preußischen Geschichte gehuldigt, dem Großen Kurfürsten, dem Reichsgründer Bismarck, den Heerführern Moltke und Roon. Mit der Fehrbelliner Straße wurde dem ersten Sieg Brandenburg-Preußens gedacht und mit der Ellerstraße einem Kommandanten der Sparrenburg. Nicht nur Militärisches sollte sich in den Straßennamen wiederfinden, sondern auch preußische Geistesgrößen.

       Hof und Kotten der Geschwister Ummelmann – Heute Gemeindehaus

      Dafür standen die Kant- und Humboldtstraße. Aus dem Rahmen fielen die Lamping- und Lina-Oetker-Straße. Lina Oetker wurde gedankt für die Stiftung der Musikhalle, die den Namen des gefallenen Sohnes trägt. Lamping machte sich um das Musikleben in Bielefeld verdient und setzte wichtige Akzente. Der von den Nazis aus dem Amt vertriebene Preußische Innenminister Carl Severing hatte sich in der Straße ein bescheidenes Wohnhaus errichtet. In einer Nazi-Hetzschrift gegen Severing wurde die Oetkerhalle als sein Wohnhaus abgebildet.

      Je weiter wir uns vom Stadtkern entfernen, desto moderner und zeittypischer werden die Häuser. Wir finden Anklänge an den Bauhausstil und Nachkriegsbauten mit auffallend spitzen Dächern. Ein solches Haus steht auch in der Lina-Oetker-Straße (Nr. 17). Dieses Haus wurde 1953 von einem kinderlosen Ehepaar errichtet. Die Bauordnung zur Zeit der Wohnraumbewirtschaftung erlaubte pro Person nur eine vorgeschriebene Wohnfläche. Flächen unter Dachschrägen wurden erst ab einer Höhe von 1,50 Meter berechnet. Bauherren, die sich in dieser Zeit ein Haus bauten konnten waren nicht daran interessiert Mieter aufzunehmen. Das Nebenhaus (Nr. 15) ist viel größer. Darin wohnte eine Familie mit zwei Kindern und einer Großmutter. Bis kurz hinter der Einmündung der Stapenhorststraße finden wir eine Anzahl solcher Häuser. Das zeigt, wie attraktiv die Straße für ein, inzwischen wieder wohlhabendes Klientel blieb.

      Die Wertherstraße war nicht nur eine Wohnstraße, sondern zahlreiche Geschäfte versorgten die Bewohner mit den Waren des täglichen Bedarfs. An der Ecke Grünstraße befand sich eine Gärtnerei mit einem hölzernen Verkaufspavillon für Blumen und auf der gegenüber liegenden Straßenseite das Feinkostgeschäft „Klötzer“. Es wurde in den Sechziger Jahren in die Niedernstraße verlegt. Neben der Gaststätte „Vahle“ befand sich eine kleine Bäckerei. An der Straßenkreuzung Roonstraße/Gr. Kurfürstenstraße befanden sich gleich drei Geschäfte. Die Kolonialwarenläden Bockermann und Kottemann, sowie die Fleischerei Ridder. Neben dem Lebensmittelgeschäft Kottemann lag der in zwei Generationen geführte Frisörsalon Sandmann. An der Ecke Humboldtstraße das Kolonialwarengeschäft Kolkhorst. Herr Kolkorst erkannte schon früh den Trend der Zeit und wandelte das Einzelhandelsgeschäft in einen Selbstbedienungsladen, genauer gesagt Lädchen mit einer Minikühltruhe, um.

      Meine Mutter wurde für Herrn Kottemann eine Glücksfee, denn sie war seine erste Kundin. Meiner Großmutter fehlte etwas zum Kochen und siw schickte die Tochter zu dem neu von einem jungen Mann mit Kriegsverletzung eröffneten Geschäft. Als wir in die Wertherstraße 59 zogen wurden Lebensmittel überwiegend wegen des größeren Angebotes und des günstigeren Preises in der Obernstraße bei Hill gekauft. Aber es ergab sich, das meiner Mutter doch etwas fehlte und nach Jahrzehnten