Spurensuche, Lebensorte, Lebenswege. Группа авторов

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Название Spurensuche, Lebensorte, Lebenswege
Автор произведения Группа авторов
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783960083375



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„Bitte, ich warte jeden Tag auf dich!“ Sie nickt: „Ich komme.“ Sein Blick ist ungläubig. Sie: „Wirklich.“ Schweren Herzens gehen sie auseinander. Es ist, als ob sie ahnt, dass sie sich nie wieder treffen werden. Sie grübelt. „Wer weiß, was da passiert mit uns?“ Zu gerne hätte sie es gewusst. Das Unerklärliche ist so geheimnisvoll und magisch, fast gefährlich. Sie denkt an ihn und kämpft mit sich. „Etwas zieht mich an, und etwas hält mich zurück.“

      Sie versucht ihre Gedanken zu verdrängen, doch so einfach ist das nicht. Währenddessen wird die Zeit vom Alltag verschluckt. Doch immer wieder muss sie an ihn denken. Eines Tages geht sie mit ihrer Schwester spazieren. Ihr Weg führt an einer kleinen Gärtnerei vorbei. Ein buntes Blumenfeld begrüßt sie. Es ist Mittagszeit und ruhig. Nirgends ist ein Mensch zu sehen. Doch sie laufen unbeirrt weiter. Dieses Mal werden keine Blumen gestohlen. Die Zeit der Erdbeeren ist auch vorbei. Hier waren sie größer und schmeckten viel süßer, als die im Garten der Mutter. Besonders im Dunkeln, bei Mondschein, lohnte sich das Naschen. Nur Mutter durfte davon nichts wissen.

      Am Ende der Gärtnerei dehnten sich die gut bestellten Felder aus. Bald würde die Ernte eingebracht: das überreife Getreide, der Mais, bestens gewachsen. Das gibt gutes Futter für das Vieh. Vorwitzige Kornblumen lugen hier und da versteckt am Feldrain heraus. Heute aber bleiben sie unberührt. Schließlich haben die Mädchen den Eingang der Kasernen erreicht. Beide sind jetzt aufgeregt, denn sie wissen nicht recht, wie sie sich verhalten sollen. „Da gibt es einen kleinen Laden, lass uns dort Bonbons kaufen.“ Doch bis dahin kommen sie nicht. Neugierig werden die beiden Mädchen gemustert. Lauter junge Burschen tummeln sich auf einem Sportplatz und spielen Fußball. Mutig fragt das Mädchen: „Wo ist Viktor?“

      Einer von ihnen ruft: „Ich bin Viktor.“ – Ja, es gibt viele, die so heißen. Doch die Mädchen kennen nur den Vornamen. Sie werden zur Kommandantur geschickt. Dort ist man verwundert und nicht gerade erfreut. Mädchen sind hier verboten. Beschämt verlassen sie das Gelände. Viktor ist längst in seiner russischen Heimat.

      Aber vergessen konnte sie ihn nie mehr.

      Aufrüstung und Kriegsgeschrei

      Fliegeralarm und Bombennächte

      Schutt und Asche

      Fabriken Straßen Häuser

      Seelenlos

      Frühling nahte

      die Befreiung

      neue Kraft erwuchs

      bald bauten

      die Bewohner

      das Zerstörte wieder auf

      belebten Lücken

      Ich wurde geboren

      in deinem Schoß

      fühlte mich wohl bei dir

      du gabst mir was ich brauchte

      ich wuchs auf

      ging in den Kindergarten

      später zur Schule

      lernte viel und hatte Arbeit

      lebte mit dir bis ich

      dich eines Tages verließ

      für Jahre

      Doch dann trieb mich

      Heimweh zurück zu dir

      zu der Stadt, die ich liebe

      (veröffentlicht in „Poesiealbum Neu”, 2/2015)

      Es war ein sonniger Tag. Ich blickte verträumt zum Fenster des Klassenzimmers hinaus. Die Schulglocke läutete. Plötzlich wurde ich munter. Endlich ist der langweilige Unterricht zu Ende.

      Eigentlich gefiel mir unser Chemielehrer. Er trug einen schicken Anzug, dazu einen passenden Schlips und schwarze Schuhe. Groß und schlank, lockiges Haar, braune Augen. Ein Mann zum Verlieben. Wenn ich ihn anhimmelte, spürte ich aber, er mochte mich nicht. Oft sah er mich mit kaltem Blick an, dass ich erschrak.

      „Warum diese Eiseskälte?“ Ich suchte eine Antwort. Bald fand ich sie. Er verachtete mich, weil ich im Unterricht nie aufpasste, träumte und auch keine Formeln gelernt hatte. Er kannte kein Erbarmen. Die Noten im Klassenbuch zeugten davon.

      Sehr gut war ich in den Fächern, die ich wirklich mochte und sogar liebte. Da brauchte ich nicht mal zu lernen, das flog mir nur so zu.

      Als ich Peter durch Anita kennen lernte, träumte ich nicht mehr von meinem Chemielehrer. Eines Tages stellte sie ihn mir vor. Ich durfte mal auf seinem neuen Motorrad mitfahren. Eine Maschine, die ich noch nie gesehen hatte, eine rote Java mit ganz viel Chrom. War das ein herrliches Gefühl, das erste Mal auf einem Motorrad zu fliegen. Anfangs hatte ich große Angst herunterzufallen und wusste nicht, wo ich mich festhalten sollte. Da meinte Peter während der Fahrt: „Fasse nur ruhig um meine Hüften.“ Zaghaft griff ich zu. Jedoch wagte ich es, bald fester zuzupacken, so hatte ich besseren Halt. Ich spürte seine Wärme, sie tat mir gut.

      Meine Freundin Anita hatte schon viele Verehrer. Sie war ein halbes Jahr älter und wirkte schon erwachsener. Ihre Art, wie sie lief, ihr hübsches Gesicht, die strahlend blauen Augen und das lockige blonde Haar, das alles ließ aufblicken. Sogar meine Mutter sagte eines Tages: „Mensch, ist das ein hübsches Weib geworden.“

      Wir waren nun schon einige Jahre befreundet. Trotzdem, nicht ganz neidlos, nahm ich diese Worte zur Kenntnis und ärgerte mich über mich selbst. Kam ich mir doch wie ein schwarzer Rabe vor. Klein, sonnengebräunte Haut, dunkles Haar, dunkle Augen und von niemand beachtet. Auch meine Schwester, die eher nach Vater ging, war sehr hübsch, man hatte sie in der Stadt entdeckt, sodass sie sogar in Modezeitschriften abgebildet wurde. Ich fand mich hässlich und hielt mich ständig versteckt, nie trat ich in den Vordergrund. Am wohlsten fühlte ich mich, wenn ich die Unordnung meiner Geschwister beseitigte, Betten machte und im Haushalt Mutter entlasten konnte. Sie schickte mich einkaufen und allerhand Wege erledigen, waren doch beide Eltern voll berufstätig.

      Meistens aber versteckte ich mich mit Büchern und las Tag und Nacht. Da fühlte ich mich wohl.

      Eines Abends klingelte es an unserer Tür. Da stand Peter. Ich sah ihn fragend an und staunte nicht schlecht. Er trug eine Uniform und sah passabel aus. Er war jetzt Unteroffizier und wollte mit mir ausgehen. Er fragte: „Hast Du nicht Lust, mit mir Eis essen zu fahren? Wir können dann noch im Park spazieren gehen und ich zeige Dir die Glühwürmchen?“ Ich zögerte. Eis essen tat ich für mein Leben gerne, oft und so viel, dass mir danach der Kopf vor Schmerzen zu platzen drohte. Von leuchtenden Würmern hatte ich noch nie gehört. Ich dachte, er wollte mich veräppeln. Ich schüttelte den Kopf.

      „Ach, frage doch lieber Anita.“ Er bettelte. „Bitte, ich warte.“ Schließlich sagte ich zu ihm: „Na gut, ich hole bloß was.“ Ich rannte ins Haus, nahm Geld aus Mutters Geldbörse und flitzte um die Ecke in unseren kleinen Krämerladen. Im Nu war ich wieder zurück. Sofort stieg ich zu ihm aufs Motorrad und schon brauste er los. Nach wenigen Minuten befanden wir uns vor einer Eisdiele.

      Er spendierte mir eine große Tüte Eis. Genüsslich schloss ich die Augen beim Verzehr.

      Als er fertig mit Eis essen war, drückte ich ihm eine Schachtel Zigaretten in die Hand. „ Für die Fahrt und das Eis.“

      Er lachte. „Da brauchst du mir doch nichts dafür zu geben.“ Ich sagte: „Doch, als Dank.“

      Dann spazierte er mit mir eine Straße entlang in Richtung Park. Es dämmerte. Wir gingen Hand in Hand. Ich war mächtig stolz. Ich hatte einen Freund. Im Park roch es nach gemähtem Gras, Blumen dufteten und ich vernahm das Flüstern der Bäume. Plötzlich hielten wir inne. Wir sahen wirklich Glühwürmchen.