Vampirnovelle. Frank Hebben

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Название Vampirnovelle
Автор произведения Frank Hebben
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783957771254



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sagt sie, dicht an meinem Ohr. Sie tanzt. Sicher? Sah der nicht ganz anders aus?

      +

      Wir sitzen an der Theke, vorne geben sie diese Freigetränke aus: Erdbeerslush mit zu viel Eis. Was willst du hier?, frage ich.

      Ein Bier, sagt De Gruyter.

      Die Barfrau stellt das Glas hin.

      Und?

      Und was?, fragt er, nippt am Schaum. Das eisgraue Wolfshaar an den Schläfen, seine gelben Augen. Die Rolex. Er hat den Mantel abgelegt, neben sich auf dem Polsterstuhl.

      Ich proste ihm zu. Bist also in der Stadt? Wieso?

      Er kramt in seiner Tasche: Ich höre Patronen klimpern, glaube ich, oder Meißel – irgendwo die Haftcreme in der Tube für seine Kieferprothese, die er nachts in ein Glas legt. Seine Schuld. Und das Weihwasser als Spray. Man geht mit der Zeit. Er holt die Kippenschachtel raus, steckt sich eine an. Keine Bange, heute passiert euch nichts.

      Hier darf man nicht rauchen …

      So?

      Okay, wen jagst du?

      Nicht euch.

      Alles klar, sage ich und stehe auf. Schönen Abend noch.

      Er tippt sich an die Stirn. Nacht.

      +

      Uns nickt der Türsteher zu, als wir, Arm in Arm, über die Stufen der Kirche wanken – wir drei, laufen ziellos durch die Stadt: betrunken, hungrig. Keine Beute gerissen. Verzicht.

      Wisst ihr …

      Ja? Ruth an irgendeiner Haltestelle, studiert den Busplan, die Nase dicht am Leuchtkasten. Da fährt gar nichts mehr.

      Hm, ja.

      Was wolltest du sagen?, fragt Johann, der sich hinsetzt: ein orangefarbener Plastiksitz. Er faltet die Hände wie zum Gebet.

      Ach nichts.

      Er sieht mich an. Sag schon.

      Bin … einfach froh, dass ihr da seid. Ich spüre die Droge in mir, leise und warm.

      Hört, hört, ruft er in die Nacht hinaus. Endlich gibt er’s zu.

      Kitschalarm!, verdirbt Ruth den Moment, und ich stecke die Fäuste in die Taschen.

      Du musst es ja wissen, meine ich.

      Was soll das denn heißen?

      Das mit der Kirche war doch deine Idee …

      Ja, und‽

      ZWEI

      Ruth schläft im offenen Sarg, ich liege auf ihrem Lieblingssofa, das mit den Löwenpranken aus Messing, dem grünen Samtbezug – und starre zur Decke hoch. Stuck. Ein Altbau, hinten ihr Atelier. Auf der anderen Couch schnarcht Johann friedlich vor sich hin. Das Straßenlaternenlicht fällt aufs Parkett, sobald ein Windzug den Vorhang bewegt; das Fenster auf Kipp, die Bäume rauschen, die U-Bahn. Bin schlaflos. Muss an das Mädchen denken. Habe ich aufgepasst? Dann der erste Sonnenstrahl:

      Ich ziehe die Decke über den Kopf.

      +

      Vom Entzug kleben mir Schweißflecken unter den Armen: mein Hemd, maßgeschneidert, von Gucci oder von der Stange, vergessen, riecht nach Zigaretten, Alkohol. Nach Sex. Die Krawatte abgebunden, über einen Stuhl gehängt, aber wo? Stehe ratlos im Raum …

      Duft von Kaffee.

      Ich ziehe den Perlenvorhang beiseite.

      Moin, begrüßt mich Johann in der rustikalen Küche, wie immer als Erster hellwach, wie aus dem Ei gepellt. Ich grunze ein Hallo; er schiebt mir die Tasse rüber, meine Tasse: die mit dem Firmenlogo, und zeigt mit dem Daumen auf die dampfende Kanne. Bedien dich, sagt er, während er im Boulevardblatt raschelt, seine Lesebrille zurechtrückt: der Sportteil, immer nur der Sportteil, dass er mitreden kann auf den Docks, wo er und seine Männer schuften; seit jeher Hafenarbeiter, schwitzende Landratten, die von exotischen Ländern träumen und doch nur die Fracht reinschleppen, rausschleppen – er, seit über hundert Jahren. Heute mit Kränen, mit Computern, und morgen übernehmen Roboter und KIs die Herrschaft.

      Brot und Spiele, murre ich.

      Alles okay?

      Weiß nicht … Das Mädchen hängt mir nach.

      Eine blutjunge Schönheit?, grinst er verschmitzt, ohne von den Bildchen aufzuschauen.

      Das ist es nicht.

      Was dann?

      Ich setze mich zu ihm an den Tisch, schütte mir Kaffee ein; nehme und beiße in ein Croissant, das nach Pappe schmeckt, mit einem Hauch von Schweineschmalz und Vanillin. Ich kaue freudlos auf der Masse in meinem Mund. Vergiss es.

      +

      Ich zupfe den Rest der Zeitung aus seinen Fingern und überfliege die Schlagzeilen, die Artikel über Mord und Totschlag und ein paar Skandale, hier und dort. Korruption. Kein Attentat heute.

      Und?, fragt er.

      Das Übliche, brumme ich. Ein Promi hat seinen Arsch in die Kamera gestreckt, und ein Diktator dreht gerade durch in –

      Ja, ja. Sag mir Bescheid, wenn’s wieder Krieg gibt.

      Ich falte die Blätter zusammen. Ist dir alles so egal, was?

      Dir etwa nicht?

      +

      Mau! Ihr mürrischer Kater mit dem räudigen Fell – selbst uralt, weil er Blut wie Milch aus dem Napf schleckt, springt auf den Frühstückstisch und stolziert an mir vorbei, dieses Mistvieh, um von einem Messer die Marmelade oder Butter abzuschlecken oder ein paar Krümel vom Teller; und ich zische ihn an, mit gebleckten Reißzähnen; er zischt zurück, bevor er sich umdreht und aus der Küche stolziert wie ein Rockstar:

      Mozart.

      +

      Hello Boys, gähnt sie verschlafen: dieses zuckersüße Lächeln, für das ich sie heiraten oder erdrosseln könnte. Ungeduscht, ihr Duft, ihr Duft. Sie trägt den ollen Pyjama mit den Fledermäusen, unter dem Stoff sind ihre Nippel steif, und ihr Bauchnabel schaut raus, als sie vom Regal ein Glas runternimmt. Ich hasse sie!

      Was denn?, fragt Ruth.

      Nichts, stöhne ich. Und doch sieht sie müde aus, die vielen Jahre schimmern durch: diese Bauernmagd von 1648.

      Moin, sagt Johann.

      Musst du nicht ins Büro?, fragt sie mich.

      Welcher Tag ist heute?

      Samstag?

      Eben.

      Als ob ihr eine Gelegenheit auslassen würdet, mehr Geld zu machen, ihr kleinen, fleißigen Bienchen … Sie zwinkert mir zu, und ich verdrehe die Augen. Also, was habe ich verpasst?

      Bin irgendwie vom Tisch aufgestanden, starre sie an – bis ich begreife, dass gar nicht ich gemeint war.

      Ruth, am Kühlschrank, gießt sich den O-Saft ins Glas wie im Werbevideo, ehe sie mich ansieht. Hast du was angestellt, Marty?

      Martin, korrigiere ich; sehe, wie Tropfen am Glas kondensieren, am Rand runterlaufen, fühle die Kälte.

      Ja?, hakt sie nach.

      Habe vielleicht –

      Oh nein, seufzt Johann, nicht schon wieder.

      +

      Vorhänge filtern das Licht, nur ein Strich auf dem Boden, den sie meidet wie eine Pfütze – Ruth läuft im Atelier auf und ab, noch das Glas in der Hand. Dort stehen ihre schönen, alten Bilder aus verschiedenen Epochen, die sie alle miterlebt hat: die Blüten in schwindsüchtigen Farben auf einer Leinwand; eine Plastik aus Ton, eine aus Bronze, dann abstrakter: eckige Formen und Kanten, ein Puzzle aus Flächen, die ein Gesicht bilden, dann surreal – dann wie Comics oder so; schließlich Neonreklame, mit intelligent dummen Sinnsprüchen, die