Mit dem Fahrrad vom Atlantik bis ans Schwarze Meer. Mady Host

Читать онлайн.
Название Mit dem Fahrrad vom Atlantik bis ans Schwarze Meer
Автор произведения Mady Host
Жанр Книги о Путешествиях
Серия
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783947944798



Скачать книгу

uns – auch mal ein schöner Wildcampingplatz lockt.“

      Ich nicke und glaube den beiden jedes ihrer Worte, als ich auf den Auslöser meiner Kamera drücke und ihre strahlenden Gesichter einfange.

      Im Laufe des Abends stellen wir fest, dass wir einige Reiseerfahrungen wie Pilgertouren teilen. Die beiden haben genauso wie ich die Distanzen ihrer Radwanderungen kontinuierlich gesteigert. Mit dem aktuellen Vorhaben von 4000/5000 Kilometern soll es auch ihre bisher längste Tour auf zwei Rädern werden.

      Nachdem wir uns aufgrund beginnenden Regens voneinander verabschiedet haben, sitze ich in meinem Zelt, die Beine stecken im Schlafsack und ich lächele, weil ich glücklich bin über meine neuen Bekannten. Wir ticken gleich, finden es schön, unbeschwert und aus eigener Kraft zu reisen, sind der Meinung, dass Träume angepackt werden müssen und empfinden Dankbarkeit für das Leben, welches man uns teils geschenkt, was wir uns aber auch selbst geschaffen haben. Nur in einer Sache sind wir nicht einer Meinung, etwas, das allerdings dafür sorgt, dass sich mein Glück heute sogar noch steigert: Sie mögen Vollmilchschokolade nicht sonderlich gern, sodass ich mein Gastgeschenk wieder mit in mein Zelt genommen habe, wo ich nun Stück für Stück die ganze Tafel allein aufesse. Das ist definitiv die gute Seite der Medaille …

      Meine französischen Eltern

      Für mich steht ein weiteres Familien-Highlight an, denn der Bruder meiner bereits verstorbenen Großmutter mütterlicherseits gründete nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Frankreich eine Familie. Ihre Angehörigen bekomme ich sporadisch zu Gesicht, zuletzt 2014 während meiner Interrailtour. Heute werden wir uns endlich wiedersehen, was mich mit großer Vorfreude erfüllt und in den Monaten vor der Reise beachtliche Triebfeder fürs Französischpauken war, denn die drei Familienmitglieder, die ich sehen werde, sprechen ausschließlich ihre Muttersprache. Einziger Wermutstropfen: Ich muss befürchten, meine neuen Radlerfreunde Claudine und Didier zu verlieren, weil ich nur knapp 25 Kilometer bis nach Chalon-sur-Saône zurücklege. Die beiden werden – wie ich sonst auch – ihre achtzig bis einhundert Kilometer rollen.

      Trotz der kurzen Zeit im Sattel gelingt es mir heute, einen Rekord zu erreichen: Ich knacke die Eintausend-Kilometermarke, und das bei bestem Sonnenschein.

      Der Beiname der Stadt, in der ich am frühen Mittag ankomme, kündigt schon an, dass der Fluss, die Saône, künftig mein Begleiter durch die historische Region von Burgund sein wird. Doch ans Weiterfahren will ich noch nicht denken, als ich mich auf den Weg zum Bahnhof mache, auf dessen Parkplatz die Nachkommen beziehungsweise Ehepartner meines Großonkels ihr Auto abstellen. Wir herzen und drücken uns ausgelassen, setzen uns dann in ein nahegelegenes Café. Trotz der Seltenheit unserer Treffen spüre ich sogleich eine angenehme Nähe zu ihnen und es kommt mir vor, als würden wir uns viel öfter sehen, als es die Realität hergibt. Wir verbringen die nächsten zwei, drei Stunden miteinander, reden über Alltag und Familie, schwelgen in Erinnerungen an die Besuche in den 1990er-Jahren. Ich muss ausführlich von meiner Reise und den Daheimgebliebenen berichten, besonders am Wohlergehen meines über neunzigjährigen Opas sind sie interessiert.

      Es wäre so schön, wenn wir noch einmal alle zusammenkämen, egal, ob in Deutschland oder Frankreich, sind wir uns einig. Vielleicht liegt es an uns, der nachfolgenden Generation, das zu organisieren? Eines der Kinder habe auch ein großes Interesse, den deutschen Teil der Familie kennenzulernen, höre ich und muss lächeln, als ich an den kleinen Jungen denke, der er war, als ich mit meinen Eltern Frankreich besuchte. Damals erschien unser Altersunterschied von fünf oder sechs Jahren gigantisch, heute spielt es wohl kaum eine Rolle, dass wir Ende zwanzig und Mitte dreißig sind …

      Meine echte französische Familie

      Puh, ich bin ganz schön erschöpft von dieser Intensiveinheit im Sprachenlernen, als wir uns nach einem gemeinsamen Foto zur Abendzeit voneinander verabschieden. Die Freude über das Wiedersehen mit Menschen, die ich so selten treffe und doch als so vertraut empfinde, ist aber größer als die Müdigkeit.

      So laufe ich noch einige Zeit beschwingt durch die Gassen dieses einladenden Ortes, beobachte Menschen, die vor Cafés und Restaurants sitzen. In der zweitgrößten Stadt in Burgund lockt vor allem die Kathedrale St. Vincent am gleichnamigen Platz mich und meine Kamera an. Die Altstadt rund um die Kathedrale ist so gut erhalten, dass es mir riesigen Spaß bereitet, an den Fachwerkhäusern entlang zu spazieren. Rast mache ich etwas abseits in einem kleinen Lokal in einer schmalen Gasse. Ich bekomme einen der wenigen Außenplätze ab und lasse mir einen regionalen Rotwein empfehlen. Der Givry trifft meinen Geschmack gut und schenkt mir einige Zeit des stillen genießerischen Seins und Beobachtens vorbeischlendernder Menschen. Als das Glas geleert ist und ich eigentlich gerade zahlen will, komme ich mit dem Kellner ins Gespräch, der sich als Besitzer des Lokals vorstellt.

      Bummel durch Chalon-sur-Saône

      Ob er glücklich ist?

      „Oui, bien sûr!“, erwidert mein Gesprächspartner überzeugt. Schon seit dreißig Jahren verkauft der Gastronom Wein, die meiste Zeit davon hatte er eine Bar im noch stärker touristisch erschlossenen Bereich dieser Stadt, erst seit einigen Jahren arbeitet er an diesem Standort. Hier gefällt es ihm besser, weil es familiärer zugeht. Immer wieder grüßen ihn die Vorbeikommenden oder bleiben auf einen Schwatz stehen. Ich sehe mir meinen Gesprächspartner genauer an und stelle mir eine Frage, die mich in diesen Tagen schon öfters beschäftigt hat: Wie nur schaffen es die Franzosen, so oft ausgesprochen adrett zu wirken? Der Wirt trägt eine schlichte braune Hose zu schwarzen Turnschuhen und ein dunkles Langarmshirt mit zarten hellen Streifen. Obwohl seine Frisur nicht außergewöhnlich ist, so wirkt dieser Mann chic. Ja, viele Franzosen haben etwas an sich, was ihnen Eleganz verleiht, vielleicht tut die nobel klingende Sprache ihr Übriges. Von den sorgsam geschminkten anmutigen Frauen ganz zu schweigen …

      Der Weinkenner setzt sich mit einem Glas Rebensaft vor sein Lokal und lächelt sanft in meine Kamera. „Ja, die Arbeit macht mich glücklich“, bestätigt er, was ich bereits vermutete. Es sei vor allem der Kontakt zu Menschen in Freizeitstimmung, der ihn erfülle. „Es ist schön, sie lachen zu hören“, ergänzt er. Als würde er seinen Aussagen Nachdruck verleihen wollen, spendiert er mir einen zweiten Wein, nicht ohne sich vorher zu erkundigen, ob er mir auch geschmeckt habe.

      Bekannte des Wirtes, die uns beobachteten, fragen nach meiner Reise und zeigen sich äußerst interessiert. Ich berichte, erhalte Anerkennung und noch die ein- oder andere Nachfrage. Ein wenig weinselig halte ich heute fest: Ja, jedes freundlich gewechselte Wort, jeder kleine Dialog zwischen Menschen, die einander interessant finden, hat das Potenzial für einen Glücksmoment.

      Mit roten Wangen radele ich zum Campingplatz zurück.

      Der glückliche Weinlokalbetreiber

      Auf meinem Weg in das gut einhundert Kilometer entfernte Dole fliege ich förmlich, obwohl ich an feuerrot leuchtenden Mohnfeldern vorbeikomme, dessen Samen ja bekanntlich müde macht. Mein straffes Tempo steigert sich sogar noch, als ich zu sieben jungen Radlern, die sich die „Green Riders“ nennen, aufschließe. Insgesamt ist die Gruppe mehr als 20 Radler stark und unternimmt die Reise ans Schwarze Meer in Form eines öffentlichen Trips. Das heißt jeder, der möchte, kann sich ihnen anschließen. An ihren Ruhetagen leisten sie ehrenamtliche Arbeit auf Farmen, helfen bei Reparaturen oder der Ernte. Die Idee des ökologischen Reisens geht auf Rob Greenfield zurück, der einst von New York City nach Seattle, auf der anderen Seite der Staaten, radelte. Der amerikanische Abenteurer, Umweltaktivist und Unternehmer hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, für eine gesunde Erde einzutreten. Verschiedene öffentlichkeitswirksame Projekte, mit denen er auf Lebensmittel-, Strom- und Wasserverschwendung aufmerksam macht, kennzeichnen seine Arbeit. Um zum Beispiel für den Wert von Wasser zu sensibilisieren, verzichtete er ein Jahr lang aufs Duschen und nutzte für die Körperpflege lediglich natürliche Wasserquellen wie