Mörderische Bilanz. Christopher Stahl

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Название Mörderische Bilanz
Автор произведения Christopher Stahl
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783482728716



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der Mordfälle deines Freundes Horst Scheurer und deines Kollegen Peter Simonis im Kollegenkreis kolportiert werden. Da ist Neid im Spiel, der mit dem Mäntelchen der massiven Verstöße gegen unsere internen Regeln zugedeckt wird. Was meinst du, was ich mir deswegen schon alles habe anhören müssen. Und dir ans Zeug zu flicken wäre für einige ein wahres Festival.”

      Ich sah ihn ungläubig an. Fast beschwörend redete er daher auf mich ein. „Vermutlich ist es ja wirklich einer dieser verhängnisvollen Zufälle, aber als Kriminalist muss ich in verschiedene Richtungen denken. Vielleicht”, mutmaßte er, „bist du jemanden auf die Füße getreten und diese Person, oder auch ein Personenkreis, will dich diskreditieren. Man will dich persönlich und beruflich fertig machen!”

      Ich sah ihn fragend an. „Auch wenn es der größte Schwachsinn ist? Kein Mensch bringt am anderen Ende der Welt einen Menschen um, nur um einem dritten an diesem Ende der Welt ans Zeug zu flicken!”

      „Und wenn einer nun zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen will?”, hielt Heribert dagegen.

      „Aber dann würde das Ganze doch nur Sinn machen, wenn es eine Verbindung zwischen Hauprich und mir gäbe. Aber ich kenne den Mann gar nicht! Bin ihm nie begegnet, ich weiß nicht einmal, ob ich einen Mandanten habe oder hatte, der vor Urzeiten zu seinem Mandantenstamm gehörte.”

      „Das könntest du aber herausfinden.”

      „Das kann ich versuchen. Trotzdem, deine Schlussfolgerungen, lieber Heribert, kommen mir nun wirklich etwas paranoid vor. Verzeih bitte diesen Ausdruck, aber mir fällt momentan nichts Besseres ein.”

      „Was du als Verfolgungswahn abtust, nenne ich Wachsamkeit, meinetwegen auch Argwohn.”

      Ich merkte, dass Heribert von meiner Reaktion über seine Sorge um mich gekränkt war, und nahm daher ihm zuliebe den Gedanken an eine Rache gegen mich auf.

      „Da fällt mir spontan nur eine Person ein, der ich einerseits die nötige kriminelle Energie, die Skrupellosigkeit und andererseits den Verstand zutraue, etwas derartigesauszuhecken und auch durchzuführen. Ein Mensch, der mich tatsächlich abgrundtief hassen muss …”

      „Sabine Ulmer!”, sagten wir gleichzeitig.

      „Die kann es aber nicht sein. Sie ist weiterhin hier in Alzey in der Landesnervenklinik. In der Forensischen Psychiatrie sind die Sicherungsmaßnahmen so streng, dass sie keinen Kontakt zur Außenwelt hat. Höchstens ihre Mutter kann sie kurz besuchen, sonst niemand. Ärzte, Pflegepersonal, ihr Anwalt, wir und ihre Mutter, das sind die einzigen Personen, mit denen sie Kontakt hat”, erklärte Heribert.

      „Und woher sollte sie Hauprich kennen? Die Ulmer hatte ja noch nicht mal Abitur, als der nach La Palma ging!”

      „Tja …”, sagte Heribert ratlos und verfiel ins Nachdenken.

      „Hast du sie denn noch einmal vernommen?”, unterbrach ich seine Grübeleien.

      „Nein, das macht jetzt Bert Heusinger, der zuständige Staatsanwalt. Letzte Woche haben wir kurz miteinander gesprochen. Da ging es auch um Sabine Ulmer. Er schilderte mir, dass sie sehr kooperativ ist und offensichtlich langsam erkennt, dass ihre vermeintliche Rache bitteres Unrecht war. Es sieht so aus, als würde sie ihre Taten bereuen. Vor allem macht ihr auch der Mord an Tilo Sommer zu schaffen.”

      „Kann das nicht auch ihre Verteidigungsstrategie sein?”, fragte ich misstrauisch.

      „Das glaube ich nicht. Heusinger ist erfahren genug, um sich von solchen dramaturgischen Tricks nicht hinters Licht führen zu lassen. Man hat ihr eine feste Betreuerin zugeteilt, eine Erika Sembach, die Heusinger in meiner Anwesenheit über Sabine Ulmer befragt hat. Sie ist Psychologin und hat einen sehr souveränen Eindruck auf michgemacht. Sie hat uns bestätigt, dass Sabine Ulmer sich mit Selbstmordgedanken trägt, weil sie an ihrer Schuld zu zerbrechen droht. Aber trotzdem, auch wenn ich mir absolut sicher bin, dass sie aus der Klinik heraus nichts an derartigen Dingen unternehmen kann, weder über Dritte, geschweige denn selbst, werde ich das noch einmal genau überprüfen lassen. Alleine schon aus Prinzip.”

      „Es wäre auch zu schön gewesen, wenn die Ulmer die gesuchte Person gewesen wäre”, klagte ich. „Mir fällt sonst wirklich niemand ein, der mich dermaßen verabscheut. Aber”, kam mir plötzlich eine Idee, „vielleicht liegst du ja völlig falsch und es geht überhaupt nicht um mich. Vielleicht will man ja über eine Kampagne gegen mich den Hauptkommissar Koman fertig machen. Man schlägt den Esel, obwohl der Reiter gemeint ist, weißt du. Hast du denn einen Kollegen, dem du das zutrauen würdest?”

      „Einen? Da fallen mir einige ein. Eigentlich jeder, der Probleme mit Gradlinigkeit, Offenheit und meiner oft unkonventionellen Vorgehensweise hat. Allen voran mein früherer Chef, Karsten Wehmut. Du weißt, dass ich im Fall Simonis nicht nur seine Ermittlungsschlamperein, sondern vor allem seine Mauscheleien aufgedeckt habe und er daraufhin in den Verwaltungsbereich versetzt worden ist.”

      „Aber andererseits … wie sollte das denn einer machen, auch noch von La Palma aus, was für eine abwegige Idee”, gab ich irritiert zu bedenken.

      „Wir sind beide nicht der Typ, der abwartet, bis ihm jemand das Messer in den Rücken stößt, wenn er erkennt, dass dieser jemand ausholt.”

      Ich nickte, obwohl mich dieses – aus meiner Sicht überzogene – Beispiel immer noch nicht überzeugte. Anderer­seits hatte ich während der letzten Monate mehrmals die Erfahrung machen müssen, dass Fiktion und Realität eine geradezu gespenstige Symbiose eingehen können und aus vermeintlich abstrusen Gedankenspielen tödlicher Ernst werden kann.

      Auch im Laufe meiner Berufsjahre hatte ich gelernt, dass selbst eine noch so ausschweifende Fantasie nicht dazu ausreicht, menschliche Abgründe auch nur annährend auszuloten. Es gibt, so meine Erfahrung, nichts, was es nicht gibt. Und dennoch – widerwillig schüttelte ich den Kopf.

      Heribert entging meine Skepsis nicht und präsentierte mir daher einen Vorschlag zur Güte: „Was hältst du denn davon, wenn wir diese Sache zum Anlass nehmen, das zu tun, was wir ohnehin vorhatten. Du wolltest mir La Palma zeigen, wie es der normale Tourist nicht zu sehen bekommt. Und dabei nutzen wir meine Kontakte zu Inspector Muñoz und versuchen, den Ungereimtheiten vor Ort auf die Spur zu kommen. Außerdem würde ich Heribert gerne einmal wiedersehen.”

      „Welche Ungereimtheiten?”, fragte ich.

      „Vier Minuten und 33 Sekunden gegen 25 Sekunden.”

      Ich gab mich geschlagen und überlegte bereits, wie ich Sonja eine halbwegs akzeptable Begründung liefern und mit ihrer zu erwartenden Ironie umgehen könnte.

      Heribert unterbrach jedoch meinen Gedankengang. „Es bleiben halt zu viele Fragen offen, an deren Beantwortung dir doch auch gelegen sein muss. Woher sollte dich Conrad Hauprich gekannt haben? Weshalb könnte er dich angerufen haben? War sein Tod geplant oder das Ergebnis einer Eskalation? Tja, und dann die erwähnte Diskrepanz zwischen deinen Angaben über die Dauer des Telefongesprächs und die Aufzeichnungen im Telefonspeicher.”

      „Vielleicht lässt sich das technisch manipulieren?” Irgendwie rebellierte ich immer noch.

      „Durchaus möglich”, stimmte Heribert zu, „aber das würde doch erst recht auf eine geplante Aktion hindeuten. Und wenn wir dabei Heribert Muñoz noch bei der Suche nach dem Mörder von Conrad Hauprich unterstützen können …?”

      „Also, auf nach La Palma”, sagte ich und versuchte meiner Stimme einen beherzten Ausdruck zu verleihen. „Wann kannst du?”

      „Jederzeit. Mit Dieter Erb habe ich das schon geklärt. Er ist einverstanden damit, dass ich das erst einmal als Kompensation meiner Überstunden mache, damit der Anstrich des Privatvergnügens gegeben ist, falls es notwendig sein sollte. Du erinnerst dich noch an ihn?”

      „Das ist ja wohl mehr eine rhetorische Frage.”

      Der inzwischen zum Polizeidirektor avancierte, ehemalige BKA-Beamte war nicht nur der Vorgesetzte von Heribert, sondern auch freundschaftlich mit ihm verbunden. Seinen Dienstsitz hatte er in Worms. Er war maßgeblich daran beteiligt gewesen, dass mein letzter kriminalistischer