Mörderische Bilanz. Christopher Stahl

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Название Mörderische Bilanz
Автор произведения Christopher Stahl
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783482728716



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verstimmte es mich, als wieder einmal mit Chuzpe elementare ethische Werte auf dem Altar der Selbstgefälligkeit geopfert und damit der Selbstbedienungs- und Ellenbogenmentalität Auftrieb gegeben wurde.

      Ein Rechtsanwalt, der aufgrund seiner Anzeige denSkandal ins Rollen gebracht hatte kam zu Wort: „Nach einem sehr emotional geführten und teuren Abwehrkampf gegen die Übernahme, gab man innerhalb von Stunden diesen Widerstand auf. Gleichzeitig wurden alleine an Herrn Esser über 60 Millionen Mark Abfindung gezahlt. Ich denke, da drängt sich doch jedem der Verdacht auf, dass hier eine Käuflichkeit vorgelegen haben könnte.”

      Ein wegen Bestechlichkeit angeklagte Manager aus dem Mannesmannvorstand verteidigte seine Handlungen mit der Anmerkung: „Ich stehe zu dem, was ich gemacht habe. Ich finde das gut. In der Schweiz hat jemand gerade einen vergleichbaren Bonus bekommen.”

      Wie sollte ich meinen Mandanten bei derartigen Selbstverständnissen Verhaltensnormen im Umgang mit der Steuergesetzgebung, den Banken und den vielen anderen Partnern im unternehmerischen Prozess klar machen, die in ihrem eigenen Interesse notwendig waren. Zum Beispiel, dass sie nicht nur alle ihre Einnahmen ordnungsgemäß zu deklarieren, sondern auch ihre Rechnungen formgerecht zu stellen hatten und zudem tausend weitere zeitintensive Vorgaben beachten sollten, die sie davon abhielten, überhaupt erst einmal einen Umsatz zu tätigen.

      Dennoch wich meine Verstimmung sehr schnell dem einlullenden Fatalismus, den die Leipziger Popgruppe „Die Prinzen” in einem ihrer Songs so treffend beschrieben: „Das alles ist Deutschland, das alles sind wir.” Außerdem wurde mein Unmut zusehends überlagert von der Erinnerung an eine Fahrt vor einem halben Jahr, mit dem gleichen Ziel und aus ähnlichem Anlass.

      Peter Simonis, ein Berufskollege aus Alzey, hatte anonyme Drohungen erhalten und war dann auch tatsächlich auf entwürdigende Art und Weise umgebracht worden. Erst nach einem weiteren Mord konnten wir die Schuldi­gen ermitteln: Sabine Ulmer, eine bei ihm angestellte Rechtsanwältin, die, wie es sich im Lauf der Recherchen herausgestellt hatte, zudem seine nichteheliche Tochter war. Das hatte er selbst allerdings erst im Moment seines gewaltsamen Todes erfahren. Ein weiterer Mitarbeiter Simonis‘, der außerdem der Halbbruder der Ulmer war, wurde als Komplize verhaftet. Beide warteten nun auf ihren Prozess, er in der Untersuchungshaft, und sie hatte man aufgrund ihres labilen psychischen Zustandes in dem gesicherten Bereich der Landesnervenklinik in Alzey untergebracht.

      Dass man mich bei dieser Geschichte kaltblütig umlegen wollte, hatte ich zwar nicht verdrängt, aber auch immer noch nicht richtig verarbeitet. Wenn, so wie jetzt auf der Fahrt zu Heribert Koman, die alten Bilder wieder vor meinem inneren Auge auftauchten, reagierte mein Körper mit mehr als nur einem leichten Frösteln. Meine Kehle wurde trocken und im Mund hatte ich einen widerlichen, metallenen Geschmack. Adrenalin ließ meinen Blutdruck steigen, als ob die Bedrohung immer noch real wäre.

      Ich hatte mehrmals überlegt, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, aber dann hatte ich stets davon Abstand genommen. Ich meinte, aufgrund der bei mir gegebenen, besonderen Umstände drauf verzichten zu können. Im Gegensatz zu vielen anderen, die eine ähnliche Situation hatten durchleben müssen, war nämlich mein persönliches Umfeld – damit meine ich Sonja und Heribert – ebenfalls unmittelbar in das Geschehen eingebunden. Das heißt, ich konnte mit Menschen darüber sprechen, die mich verstanden. So fühlte ich mich nicht alleine gelassen und Abkapseln und Verdrängung ergaben sich erst gar nicht für mich.

      Ich stellte mein Auto auf dem Parkplatz vor der Polizeiinspektion Alzey ab und begab mich in das zweite Obergeschoss. Ich kam durch einen langen, schlauchartigen Flur. Die Wände waren in einem merkwürdig anmutenden Grau-Grün gestrichen und ich fragte mich, ob ein farbenblinder oder ein griesgrämig veranlagter Mensch diese geschmacklose Abtönung ausgesucht hatte. Vielleicht hatte man die Farbe aber auch im Schnäppchenmarkt erworben, nach dem Motto: Geiz ist geil.

      Am Ende dieses deprimierenden Flures hatte Heribert sein Büro. „Heribert Koman, Kriminalhauptkommissar” verkündete das glänzend-frische Namensschild rechts neben dem grau lackierten Türrahmen. Als ich ihn das letzte Mal besucht hatte, gab es nur eine Zimmernummer. Ich klopfte an, trat dann aber ohne eine weitere Aufforderung abzuwarten ein, schließlich hatte Heribert mich herzitiert.

      Sein Schreibtisch war mit Aktenstößen überhäuft, aus denen wie zum unbotmäßigen Trotz ein hochmoderner Flachbildschirm wie der berühmte Fels aus der Brandung ragte. Dahinter saß der Kriminalhauptkommissar; neben ihm stützte sich, leicht über ihn gebeugt, eine äußerst reizvolle weibliche Erscheinung auf dem Tisch ab. Ich schätzte sie auf etwa 40 Jahre. Sie hatte halblanges, kastanienbraunes Haar und trug einen farblich kontrastierenden, sportlichen Hosenanzug in einem kräftigen Blau. Er schien wie für sie gemacht und sie wusste ihn – im Gegensatz zu manch anderen in der Öffentlichkeit stehenden Frauen – zu tragen.

      Als die beiden mich bemerkten, flogen ihre Köpfe, die sie zuvor wohl zur gemeinsamen Begutachtung eines Dokumentes zusammengesteckt hatten, auseinander. Sie kamen mir vor wie Kinder, die man bei etwas Verbotenem ertappt hatte. Ich musste unwillkürlich grinsen.

      Heriberts Kollegin oder Mitarbeiterin (dafür hielt ich sie) fing sich als erste, richtete sich auf und lächelte mich an. „Sie müssen Darius Schäfer sein”, stellte sie voller Überzeugung fest und fügte sogleich als Begründung für Ihre Erkenntnis eine Kurzanalyse hinzu. „Mit dem Düsenjäger durch die Kinderstube, kein Fettnäpfchen auslassend und trotz seiner sichtbar über 50 Lenze auf die Wirkung des kindlichen Charmes vertrauend.” Dann blickte sie erst Heribert und dann wieder mich herausfordernd an, bevor sie uns mit einem „Habe ich Recht?!” die Möglichkeit zu einer Reaktion einräumte.

      Wir fühlten uns beide gleichermaßen angesprochen und reagierten daher auch gleichzeitig. Was allerdings dabei herauskam, war die Überlagerung von Heriberts untauglichem Versuch, mich in ein günstigeres Licht zu rücken, und meine gestammelte Entschuldigung – wofür auch immer. Heribert tat dann aber das einzig Richtige: Er stellte uns gegenseitig vor.

      „Dagmar, das ist, wie du richtig vermutet hast, Steuerberater und Hobbykriminalist Darius Schäfer. Und das, Darius, ist eine Kollegin aus Mainz, Dagmar Keller.”

      „Das mit dem Hobbykriminalisten”, wandte ich mit plötzlich belegter Stimme ein und räusperte mich, „also, das muss man natürlich, äh, ja, differenziert sehen.” Statt einmal im richtigen Moment die Klappe zu halten, bemühte ich mich um eine Aufklärung, die meinen unglücklichen Einstand bei Heriberts Kollegin etwas korrigieren sollte.

      „Das, na ja, das war nämlich jedes Mal mehr einer Tugend als einer Not gehorchend. Nein, natürlich umgekehrt, Sie wissen schon, was ich meine.”

      Unter ähnlich peinlichen Bedingungen hatte ich Sonja damals bei dem Hoffest eines Weingutes im Nachbarort kennen gelernt. Und genau wie damals kam ich mir einmalmehr vor, wie ein stammelnder Primaner. Zur Komplettierung des Bildes hätten jetzt nur noch die spätpubertäre Akne und die Schamesröte gefehlt. Das ging mir immer so, wenn mich eine Frau besonders beeindruckte. Ich konnte dann nur noch auf ihr stillschweigendes Einverständnis hoffen, diese für mich hochnotpeinliche Situation zu übergehen.

      Aber natürlich nicht bei einer Frau, wie Dagmar Keller. In ihrer undiplomatischen Offenheit glich sie meiner Sonja, als hätte man sie geklont. Sie sagte nämlich … überhaupt nichts. Aber wie sie nichts sagte, indem sie mich schweigend und anscheinend hochkonzentriert bei meiner selbstquälerischen Mitteilung betrachtete, ja geradezu mit den Augen sezierte, war eines seitenstarken Romans von Dostojewski würdig. Ich sah förmlich den Titel auf meine Stirn geschrieben: Der Idiot. In solchen Situationen fragte ich mich immer wieder, was mich eigentlich an solch selbstbewussten und schlagfertigen Frauen so sehr faszinierte.

      „Bevor du nun weiter blödelst …”, Heribert unterbrach sich kurz und bedeutete mir mit einer einladenden Geste, auf dem noch freien der beiden Besucherstühle Platz zu nehmen. Auf den anderen war inzwischen Frau Keller geglitten.

      Heribert lehnte sich zurück, faltete die Hände im Nacken zusammen und reckte sich kurz, bevor er seinen unterbrochenen Satz wieder aufnahm. „Also, um die Sache abzukürzen, Dagmar Keller ist eine langjährige Kollegin. Früher war sie ebenfalls bei der Kripo, hat sich aber vor …”

      „Vor