Streben nach der Erkenntnis. Klaus Eulenberger

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Название Streben nach der Erkenntnis
Автор произведения Klaus Eulenberger
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783957449665



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aber immerhin) auf, dass sie doch ab und an einmal die Augen verdrehten und ich hörte leises, stöhnendes Geflüster. „Ach, die schon wieder. Muss das sein?“ Ging aber die Tür auf und der- oder diejenige trat ein, gab es stets ein freudiges Begrüßungsgezwitscher von Mutti oder Vati oder beiden. Meist füllte sich der Taubenschlag ganz rasch und vor allem Mama flitzte dann geschäftig hin und her. „Moment mal, wir haben doch den schönen Hagebuttenwein in Arbeit. Der müsste fast ausgegoren sein. Einverstanden? Wir probieren den einfach einmal. Das wird ein Spaß!“ Die Gästetauben klatschten begeistert Beifall – schließlich wurden sie mit etwas köstlich Trinkbarem bewirtet. Am häufigsten flatterten die zwei Schäfer-Tauben herein, dies waren der Schäfer, Bernd und seine Frau Leni. Während er mit ruhigem Flügelschlag in das Taubenzentrum einflog, war das bei seiner Frau ganz anders. Wahnsinnig hochfrequente Flügelschläge und dazu ständiges Geplapper, sprich Gezwitscher, kündigten ihr Kommen an. War sie da, erstarben alle anderen Gespräche, da sie sich sofort in den Mittelpunkt stellte und jede bisherige Rede übertönte und im Keim erstickte. Ein ganz behäbiger Tauberich kam langsam und mit müden Flügelschlägen daher. Das war der Opel, Hugo, seines Zeichens Förster und eingefleischter Junggeselle. Ursula war auch dabei, fehlte allerdings häufig – weshalb wohl? Richtig, sie hatte natürlich wieder eine Erfassung oder irgendeine andere Zuarbeit im Gemeindeamt für das Kreisamt zu leisten. Ohne meiner Mutti wehtun zu wollen, sah es manchmal so aus, als wenn diese die Einzige sei, die im Gemeindeamt Leistung erbrachte. So war aber der Taubenschlag noch nicht komplett. Es fehlten noch der Schuldirektor Jesus, Jonas mit seiner Frau und der Hartmann, Hagen, der Biolehrer, mit seiner Gerdi. Diese vier kamen auch normal dahergeflogen. Der einzige Vitale im Kommunizieren und Plappern, manchmal auch aufgeregt zwitschernd, war der Jesus, Jonas. Das nützte ihm aber nichts, denn er kam ja sowieso bei dem Tatütata und Gezwitscher der Schäfer, Leni nicht zum Auftreffen. Damals war ich als kleiner Steppke bei diesen Treffen der lebenshungrigen und -lustigen Leute des Taubenschlags mehr im Wege, denn dass die Taubengesellschaft sich für mich interessiert hätte. Natürlich wurde ich häufig angesprochen, so zum Beispiel vom Schäfer, Bernd. „Ach, hier ist ja der Absenker von Eulens, die kleine Eule. Wie geht es dir denn, Klaus? Kommst du gut in der Schule klar, oder musst du dich über den Hartmann, Hagen und den Jesus, Jonas immer sehr ärgern? Ich könnte mir das an deiner Stelle sehr lebhaft vorstellen, denn die Lehrer sind ja für die Schüler immer eine Last. Ohne die könnte es in der Schule zehnmal besser sein!“ Die beiden Lehrer zogen die Stirn in Falten. „Schade, dass du nicht mehr als Schüler bei uns bist. Dich würden wir schon in die Mangel nehmen, du fauler Sack. Als Hausaufgaben würden wir dir aufgeben, tausend Mal zu schreiben: Ich darf nicht böse und schlecht über meine Lehrer Hartmann, Hagen und Jesus, Jonas sprechen! Sollte dies noch einmal vorkommen, so werde ich jeden Tag die Schuhe meiner Lehrer wunderbar sauber putzen!“

      Dann war aber meist schon die Aufmerksamkeit für mich erloschen und ich zog mich aus dem Taubenschlag mit seinem Gezwitscher und mir auf die Nerven gehendem Geplapper zurück. Meist setzte ich mich dann in eine Ecke und las. Da unsere Wohnung aber zu klein war, als dass ich mich in eine absolut ruhige Ecke hätte zurückziehen können, hatte ich immer die Störgeräusche, die aus dem Taubenschlag zu mir drangen, zu verkraften. Das passte mir auf gar keinen Fall und ich sprach auch mal mit meinen Eltern darüber. „Mama und Papa, müsst ihr denn immer so viele Leute zu uns bitten und bewirten? Hinterher seid ihr doch immer ganz müde und müsst noch lange aufwaschen und abtrocknen. Außerdem habe ich häufig Schularbeiten zu machen und da stört mich das Gekreische von eurer Gesellschaft. Vor allem die Leni macht dermaßen Hektik und schreit herum, als wenn sie allein wäre. Ich hab schon mitbekommen, dass sie sich mit ihrem Mann nicht gut versteht, frage mich aber, ob sie das so hektisch und lauthals nun allen andern erzählen muss. Wenn sie ihren Mann dann in großer Runde so angeht, wird das gegenseitige Verstehen sicher auch nicht besser!“ Meine Eltern hatten aufmerksam und erstaunt zugehört. „Das sind ja wertvolle Erkenntnisse und Schlussfolgerungen, Klaus, die wir dir gar nicht zugetraut hätten. Du hast sicher vollkommen Recht, wenn du sagst, dass das Anschreien ihres Mannes kaum Besserung bringt. Das ist auch unsere Meinung und wir sind erfreut über dein umfassendes Denken und dies mit ganzen neun Jahren. Komm her, Klausmann, ich möchte dir ein Küsschen geben.“ Natürlich weiß ich heute, dass meine Eltern und all die anderen die schlimme Zeit und die Entbehrungen der Kriegszeit vergessen wollten und deshalb viel feierten. Sie wollten ganz einfach nachholen und leben. Bei einer dieser Unterhaltungsfehden im Taubenschlag wurde vereinbart, dass die gesamte Truppe am übernächsten Tag zu uns zum Essen kommt. Meine Mutti hatte eine wunderbare Spargelsuppe, wunderbare Steaks vom Fleischer Leistner, Kartoffelmus und grüne Bohnen in Aussicht gestellt. Und die Schäfer, Leni sagte euphorisch: „Ich bringe ein herrliches Dessert mit, Gretel. Ei das wird fein! Hinterher rauchen wir noch von meinen Zigaretten. Ich habe ganz neue und zwar Orient – die sind zwar schweineteuer, schmecken aber wunderbar, einfach schnaffke. Die gibt es erst seit kurzem im Verkauf. Da freust du dich doch vor allen Dingen, Herbert?“ Herbert nickte begeistert. Der vorgesehene Tag war ein Sonnabend, das Essen für abends geplant. Nun rotierten meine Eltern ganz schön, um alles Notwendige zu besorgen, aber auch ich kam nicht ungeschoren davon. Dabei hörte ich das erste Mal, dass sie etwas bedenklich über die große Summe Geldes sprachen, die das gesamte Spektakel verschlingen würde. „Weißt du, Herbert, wir machen wieder einmal eine solche Großveranstaltung, wo sich zum Beispiel der Hugo, der uns noch nie eingeladen hat, wieder nur durchfrisst und den Dreck von seinen Stiefeln, den er seit einer Woche im Wald angesammelt hat, bei uns genüsslich auf dem Teppich verteilt. Außerdem kostet das Ganze immens viel, was wir uns eigentlich gar nicht leisten können.“

      „Na ja, meine gute Gretel, du hast schon Recht, aber denke einmal daran, welche Entbehrungen wir in der Kriegszeit hatten und außerdem – wenn ich manchmal an meine Kameraden denke, die dieses Inferno nicht lebend bzw. nicht in voller Gesundheit überstanden haben, werde ich ganz traurig und bedrückt. Wir können ja froh sein, dass ich überhaupt einigermaßen gesund aus diesem fürchterlichen Krieg zurückgekommen bin. Stell dir nur mal vor, ich wäre bei Stalingrad eingesetzt worden. Das Leid dort war unermesslich groß. Von 300.000 deutschen Soldaten wurden 90.000 gefangen genommen und von diesen kamen vor einem halben Jahr nur 9000 zurück.“

      „Bei Gott, mein liebes Herbert’l, ich denke genauso wie du. Ich bin so glücklich, dass ich dich wiederhabe und denke einmal an unseren Klausmann – wie wichtig das ist, dass er seinen Vati zurück hat.“ Auf alle Fälle musste ich wieder einmal zum Simonbäcker und zum Fleischer Leistner, was Gott sei Dank ja gleich nebenan war. Inzwischen hatte ich eine große Errungenschaft und zwar ein 28er Fahrrad mit Vollgummibereifung. Mein Vater hatte dieses Rad irgendwoher besorgt – es fehlte aber die Bereifung. Nun kam aber ein Glücksumstand dazu. Vater war ja bekanntlich Einkäufer. Offensichtlich war aber selbst für ihn in der günstigen Situation, an der Quelle zu sitzen, dies in der damaligen Zeit recht schwierig. Eine Gummibereifung mit Schlauch war einfach nicht zu besorgen und Vater war glücklich, mir diese Vollgummilösung präsentieren zu können. Er kam mit dem strahlendsten Lächeln der Welt mit seiner ILO nach Hause und hatte vier Meter von diesem Hartgummi als Ring um Hals und Schultern zu hängen. Wir schnitten das dann auf die exakte Länge, wobei wir unheimliche Probleme mit dem Trennvorgang hatten. Ich erinnere mich noch gut an die vielen fruchtlosen Versuche, wo ich das Gummiding mit den Händen halten musste, dieses aber nicht recht zu Wege brachte, da bei dem versuchten Schnittvorgang immer viel zu viel seitliche Kräfte auftraten, die mir den Gummi aus den Händen rissen. „Klaus, verdammt nochmal, halte doch nun endlich mal den Gummiring fest! Man merkt eben doch, dass du noch ein ziemlich kleiner Junge bist. Dir fehlen halt noch die großen Muskelpakete!“ Angesäuert schaute ich auf Vati. „Verfügst du über die großen Muskeln, Vater?“ Er hielt inne, hob energisch den Kopf und ich sah schon, wie sich die Zornesader anfing zu formen. Nun sah er in mein zartes Kindergesicht, welches deutlich zeigte, dass ich mich sehr angestrengt und bemüht hatte. Ihm wurde sofort klar, dass er falsch lag und dass ich schon alle meine Kraft eingesetzt hatte. Ich bin überzeugt, dass seine enorme Liebe und Anhänglichkeit zu mir sofort das in die Zornesader fließende Blut zurückbeorderte. Er lachte freundlich und lieb zu mir. „Ist schon gut, Kumpel. Hast ja dein Möglichstes getan. Warte ab, wir schaffen das! Ich gehe mal zum Herrn Woitanowsky, der hat doch einen Schraubstock.“ So wurde dann der Protagonist fest in diese eiserne Zwangsjacke eingespannt (ich musste nicht mehr halten) und mit einer Eisensäge exakt zertrennt. Dann mussten die Enden noch mit Eisendraht