Название | Was uns frei macht |
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Автор произведения | Matthias Beck |
Жанр | Религия: прочее |
Серия | |
Издательство | Религия: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783990405062 |
Dieser „Stimme“14 des göttlichen Geistes zu folgen ist keine Fremdbestimmung, sondern Hinführung zur Selbstbestimmung. Der Mensch kann sich erst vom anderen Größeren her selbst finden. Er soll sich immer wieder neu übersteigen, transzendieren. Das führt aus christlicher Sicht zur Fülle des Lebens, zum Glück, zur Vollendung, zum Fruchtbringen, zur Entfaltung. Eine „gute“ religiöse Erziehung sollte dieser Entfaltung des Menschen dienen, allerdings immer mit dem Hinweis auf die Benachteiligten, Armen, Kranken, Gefangenen, denen auch geholfen werden muss. Diese Entfaltung geht nie geradlinig vonstatten, sondern immer auch durch die Gebrochenheit, Endlichkeit, Schuldverstrickung und das Leiden hindurch. Das ist das Kreuz der Welt. Daher sind auch Leid und Tränen unvermeidlich. Aufs Ganze gesehen sollte aber die Fülle des Lebens entstehen. „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10).
Zur Frage von Müssen, Sollen und Wollen
Eines sei noch für alle Überlegungen eingefügt: Es kommen in diesem Buch immer wieder Begriffe vor, wie „du sollst“, „du musst“, „du darfst“, „du willst“, „Gott will“. Das klingt nach Zwang, aber es soll um Freiheit gehen – um einen Zusammenfall der Gegensätze. Nikolaus von Kues verwendet dafür den Begriff der coincidentia oppositorum:15 In Gott fallen die Gegensätze zusammen. Für den hier vorliegenden Kontext heißt das zum Beispiel: Das Wollen und das Müssen fallen in bestimmten Bereichen zusammen. Wenn du leben willst, musst du essen und trinken. Wenn du die Autofahrt überleben willst, musst du in der Kurve die Geschwindigkeit reduzieren. Wenn du als Musiker deine Talente entfalten willst, musst du üben. Wenn du einmal frei einen Beruf ergreifen willst, musst du lesen und schreiben lernen. Die Beispiele kann man fortsetzen. In einer Bemerkung über Nikolaus von Kues heißt es: „Aus seiner Sicht sind die Gegensätze in Gott eingefaltet (Hervorhebung d. Verf.), in der Welt ausgefaltet (Hervorhebung d. Verf.).“16 Für dieses Buch gilt: Jedes Sollen oder Müssen ist ein Müssen in Freiheit. Der Mensch kann es auch lassen. Wenn er aber die Freiheit erlangen will, muss er manches tun: „Wer sich nicht selbst befiehlt, bleibt immer ein Knecht“17, heißt es bei Goethe. Aber es ist ein Müssen oder Sollen, das von innen herandrängt, weil es dem Wesen des Menschen entspricht, und kein von außen aufoktroyiertes Müssen oder Sollen. Ideal wäre es, wenn aus dem Sollen langsam ein Wollen würde.
Und noch etwas anderes: Es wird sehr viel von Entfaltung und erfülltem Leben gesprochen. Aber es gibt leider auch den geschundenen und unterdrückten Menschen, den Armen und den Analphabeten, es gibt das große Leid und das Kreuz in der Welt. Es gibt Menschen, die äußerlich nie in ihrem Leben zur Entfaltung kommen. Dies wirft all die Fragen auf, die mit dem Theodizee-Problem zusammenhängen: Wie kann der gute und allmächtige Gott dieses große Leid in der Welt zulassen? Wenn er es verhindern könnte und es nicht tut, wäre er nicht gut, und wenn er es nicht verhindern kann, ist er nicht allmächtig. Auch dies hat letztlich mit der Freiheit des Menschen zu tun. Gott will den Menschen frei, und das beinhaltet das Risiko, dass der Mensch sich von Gott abwendet. So geschah es im Paradies und so geschieht es immer wieder. Dies ist eine der Ursachen für das große Leid in der Welt. Zu all diesen Fragen will dieses Buch keine Stellung nehmen, sie wurden an anderer Stelle bearbeitet.18
Du darfst und du sollst
Ein neues Leben beginnt. Ein Mensch tritt ins Sein. Er ist da. Schrittweise versteht er, was Dasein bedeutet. Ungefragt wurde er von den Eltern in dieses Dasein gebracht, „in die Welt geworfen“ (Heidegger). Jetzt ist er da. Er darf sein und soll sein. Es geht um das Dürfen und Sollen des Daseins: Du bist da, und es ist gut, dass du da bist. Idealerweise bist du von den Eltern gewünscht, gewollt und willkommen auf dieser Welt, von Gott her unbedingt bejaht. Und nun darfst du schrittweise der werden, der du bist, du sollst es sogar. Es gibt also ein zweifaches Sollen: Das erste Sollen ist ein Geschenk: Du darfst sein und sollst sein, du bist willkommen. Das zweite Sollen ist ein Sollen als Aufgabe: Du sollst und kannst mithelfen, dass sich das entfalten kann, was in dir angelegt ist. Hier kommen freie Entscheidungen ins Spiel. Der Mensch kann einschwingen in die Entfaltung seines Daseins, er kann sich aber auch verweigern.
Die alte Philosophie hat das Dürfen als ein Sollen formuliert, als Auftrag und Imperativ: „Werde, der du bist“ und „Erkenne dich selbst“.19 Jeder soll der werden, der er schon ist, er soll sich selbst erkennen. Eine eigenartige Formulierung: Jemand ist schon da und soll noch werden, sich entfalten. Dieses Werden der Entfaltung ist eine Bewegung aus der Wirklichkeit in die Möglichkeit und aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit.20 Es gibt die Wirklichkeit des schon Verwirklichten und die Wirklichkeit des noch Möglichen. Das ist Werden.21 Dieses Werden geht zum Teil von selbst, es muss aber auch mitgestaltet werden.
Das Sein ist schön, gut und wahr. Das kann schon das Kind im Gegenüber zur Mutter und zum Vater „erkennen“. Durch das Lächeln der Eltern hindurch erkennt das Kind das gesamte Sein in seiner Einheit, Gutheit, Wahrheit und Schönheit: Im Lächeln der Mutter sieht das Kind die mütterliche Liebe und wird durch sie „ins Bewußtsein gerufen.“22 Im weiteren Verlauf dieser Begegnung eröffnet sich dem Kind laut Hans Urs von Balthasar „der Horizont des gesamten unendlichen Seins und zeigt ihm vier Dinge: 1. Daß es ‚eins‘ ist in der Liebe mit seiner Mutter, obwohl ihr gegenübergestellt, also daß alles Sein ‚eins‘ ist. 2. Daß diese Liebe ‚gut‘ ist: also alles Sein gut ist. 3. Daß diese Liebe ‚wahr‘ ist, also alles Sein ‚wahr‘ ist. 4. Daß diese Liebe ‚Freude‘ weckt, also alles Sein ‚schön‘ ist.“23 So wäre es ideal. Leider werden Kinder auch abgelehnt und haben es somit sehr schwer, zu erkennen, dass das Leben wahr, gut und schön ist.
Es geht im Leben um die Entfaltung dessen, was schon angelegt ist. Ein Blatt entfaltet sich im Frühjahr. Am Baum entfalten sich die Blätter, im Herbst blüht er und bringt Frucht. Ein Mensch wird gezeugt und der Embryo entfaltet sich zum erwachsenen Menschen. Dabei geht es zunächst um die körperliche Entfaltung, dann um die seelische und geistige. Die körperliche Entfaltung geschieht weithin von selbst (bei entsprechender Nahrung), an der seelischen und geistigen kann und muss der Mensch mitwirken. Auch der Kosmos entfaltet sich und dehnt sich aus. Im Urknall ist das Ganze gleichsam eingefaltet und verdichtet, dann entfaltet es sich bis heute. Selbst im Göttlichen spricht das Christentum von der Drei-Faltigkeit Gottes. Diese „Faltigkeit“ ist aber keine Entfaltung im Sinne eines innerweltlichen Werdensprozesses, sondern das göttliche Sein ist schon immer entfaltet. Das Werden ist das Phänomen des Endlichen und Relativen. Dieses Werden hat eine Zielrichtung: Aus dem Samen wird der große Baum, aus der Zygote24 ein erwachsener Mensch.
Du sollst Frucht bringen
Man stelle sich den Samen eines Apfelbaumes vor. Er wird in den Boden eingesetzt und wächst heran. Wenn alles gut geht, wird er zum Baum und wird größer. Er wächst von selbst. Nach einiger Zeit trägt er Früchte. Sie ernähren den Menschen. Der Baum bringt von selbst die Frucht hervor, aber er muss auch gut gepflegt werden, braucht Wasser, Licht und Nahrung. Wie steht es mit dem Menschen? Soll er auch Frucht bringen? Geht das auch von selbst? Oder muss er da mitwirken?
Das Leben beginnt ganz klein. Ein Spermium befruchtet eine Eizelle. Neues Leben tritt ins Sein. Der Embryo wächst heran. Ab dem dritten Monat wird er Fetus genannt. Der Fetus wird geboren, die Nabelschnur durchtrennt. Die Trennung von Mutter und Kind beginnt. Aus der Einheit in Verschiedenheit von Mutter und Kind wird das Gegenüber zweier Individuen. Sie schauen sich an. Sie haben ein Antlitz,25 ein Gesicht. Sie kommunizieren jetzt als Gegenüber, wie sie dies schon im Mutterleib in anderer Weise getan haben. Das Kind braucht Zuwendung. Kinder, die nur ernährt werden, sterben. Man muss mit ihnen sprechen, sie berühren, anschauen, anlächeln. Zunächst geht diese Kommunikation nonverbal vonstatten, später mit Worten. Der Mensch ist auf Kommunikation und Beziehung