Schwarze Krähen - Boten des Todes. Carolina Dorn

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Название Schwarze Krähen - Boten des Todes
Автор произведения Carolina Dorn
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783961455164



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herznahe Vene zu spritzen. So brauchten die Ärzte oder Schwestern nicht immer neue Venensysteme zu legen. Sie hatten ihn entfernt, da sie ihn aufgegeben hatten. Dann wurde sie beinahe geschockt: Oh, du meine Güte. Diese dünnen Beine, schoss es ihr durch den Kopf. Du dumme Kuh, wurde sie gerügt von ihrem inneren ich. Du tust gerade so als hättest du das noch niemals gesehen. Dass Abmagern gehört schließlich zum Krebs. Als sie ihn vorsichtig etwas zur Seite drehte, entdeckte sie einen riesigen Dekubitus (Druckgeschwür durch langes Liegen auf gleicher Stelle) auf beiden Po-Seiten, der sich schon tief in das Gewebe fraß. Außerdem lag er in seinen Exkrementen, dass dem Dekubitus auch nicht sehr förderlich war. Es musste schon längere Zeit geschehen sein, doch die letzte Pflegekraft hielt es scheinbar nicht für nötig ihn zu säubern. Vor allem gehörte sich hier ein drehbares Bett hin, sonst würde dieser Dekubitus niemals abheilen. Um so ein Spezialbett muss ich mich danach sofort kümmern, merkte sie in Gedanken an.

      Christin tat ihre Arbeit ohne mit der Wimper zu zucken. Sie entfernte die Exkremente, säuberte ihn mit warmen Wasser, entfernte die abgestorbenen Hautfetzen mit einer Pinzette und sprühte ein Eisgel auf die aufgelegenen Stellen. Dann brachte sie eine pflanzliche Salbe, von der Konsistenz ähnlich wie Gelee, mittels eines Spatels auf den Dekubitus auf und deckte alles mit einer großen Silberkompresse ab. Sie legte eine wasserundurchlässige Vorlage darunter und ein weiches Kissen, rollte ihren Patienten ein klein wenig zur anderen Seite, zog das alte Laken heraus und das neue gleich nach. Anschließend bettete sie ihn ebenso vorsichtig auf den Rücken wie zuvor. Sie zog ihm den bekleckerten Schlafanzug aus, wusch ihn von Kopf bis Fuß und cremte seine trockene Haut, Gesicht und Lippen ein. Außerdem legte sie ein weiches Fersenpolster an seine Füße an, denn die Haut dort bekam auch hier bereits bedrohlich, rote Stellen vom Aufliegen.

      Christin bemerkte während ihrer Arbeit nicht, dass Gordon in der Tür stand und sie beobachtete.

      Ja, dachte er. Das ist wirklich die richtige Pflegekraft für ihn. Ich kann ihn beruhigt allein mit ihr lassen.

      Nachdem sie ihn frisch angekleidet und mit einer Windel versehen hatte, stellte sie sich hinter sein Bett. Sie umfasste seinen Kopf mit ihren Händen und sprach im Stillen ein Gebet. Das Gleiche tat sie auf seiner Brust, dem Bauch und den Beinen. Dies war eine Art Reiki, nur dass sie es zusätzlich durch ein Gebet verstärkte. Als sie ihre Arbeit beendet hatte, lag ihr Patient vollkommen entspannt, schmerzfrei und sauber in seinem Bett. Auch der verkrampfte Zug um seinen Mund schien verschwunden zu sein. Es sah beinahe so aus, als ob er sogar etwas lächeln würde. Abschließend drückte sie ihm noch die Glocke in die Hand, damit er sie rufen konnte, wenn er sie brauchte.

      Leise trat Doreen ins Zimmer. Sie konnte kaum glauben, dass Brandon so ruhig schlief. Staunen lag über ihrem Gesicht.

      „Möchten Sie etwas zu Abend essen, Schwester? Ich bereite Ihnen gern etwas zu“, informierte sie sich flüsternd, um den Schlafenden nicht zu wecken.

      „Ich habe abends nicht viel Hunger. Ein Joghurt reicht vollkommen aus“, antwortete Christin.

      „Ach, da wäre noch etwas“, die Haushälterin blieb draußen auf dem Flur stehen. „Welches Zimmer möchten Sie denn gern? Hier auf dem Gang gibt es mehrere Gästezimmer.“

      Die Nonne zählte sechs Zimmer. „Wenn es möglich ist, möchte ich bitte das Zimmer gleich neben Mr. Stonewall. Ich glaube, ich habe da auch eine Verbindungstür zu seinem Zimmer gesehen, damit ich gleich bei ihm sein kann, wenn er mich braucht“, bat sie.

      Seltsam, die anderen Pflegekräfte wählten immer das letzte Zimmer, so weit wie möglich vom Patienten weg“, wunderte sich Doreen. Sie scheint wirklich ganz anders zu sein.

      Die Haushälterin öffnete die Verbindungstüre und ließ die Ordensschwester eintreten.

      Christin brachte nur noch ein „Oh“, zustande, denn mit so etwas hatte sie nicht gerechnet. Ein Raum mit einer Einrichtung, wie sie eigentlich nur im Märchen vorkam. Sie würde heute Nacht in einem Himmelbett mit weißer und fliederfarbener Bettwäsche schlafen. An den vier Pfosten des Bettes hingen jeweils geraffte, beinahe durchsichtige fliederfarbene Schals, die sogar zugezogen werden konnten. Alle Möbel, Bett, Kommode, Schrank und zwei Nachtkästchen bestanden aus Holz mit weißem Schleiflacküberzug. Die Wände waren ebenfalls mit einem Hauch von Flieder gestrichen.

      Nachdem Christin ihre Sprache wieder gefunden hatte, drehte sie sich zu Doreen um.

      „Wem gehörte dieses Zimmer ursprünglich?“, erkundigte sie sich.

      „Niemandem. Mr. und Mrs. Stonewall hofften wohl auf eine Tochter, doch sie bekamen zwei Söhne“, antwortete sie mit leicht traurigem Unterton in der Stimme. „Dieses Zimmer wurde noch niemals bewohnt, auch nicht von den Sommergästen, die früher hier übernachteten. Mrs. und Mr. Stonewall hielten es stets verschlossen. Sie sind der erste Gast in diesem Zimmer. Ich wünsche Ihnen eine ruhige Nacht.“ Damit verabschiedete sich die Haushälterin und verließ rückwärtsgehend den Raum.

      Brandon schlief zum ersten Mal seit vielen Wochen wieder eine Nacht durch. Als er am nächsten Tag erwachte, fühlte er sich ganz leicht und wohl. Es schien ihm wie ein Wunder. Er glaubte, seine Krankheit nur geträumt zu haben. Mit Schwung wollte er aufstehen, denn er meinte völlig gesund zu sein, doch seine Beine reagierten nicht. Tief enttäuscht registrierte er, dass er doch noch ebenso krank wie am Tag zuvor an das Bett gefesselt lag. Er bemerkte, dass er die Glocke in der Hand hielt. Noch ein Wunder. Schon lange Zeit bekam er sie nicht mehr. Die Pflegerinnen nahmen sie ihm weg, damit er sie nicht dauernd nachts störte. Er wusste nicht, wie spät es war und nahm an, es wäre mitten in der Nacht. Doch da hörte er leise Schritte. Christin zog die Rollos hoch. Anschließend beförderte sie die Vorhänge an die Seiten der Wände. Gleißendes Sonnenlicht strömte ins Zimmer und direkt auf Brandon. Er stöhnte auf, denn es tat ihm unwahrscheinlich weh in den Augen.

      „Oh Verzeihung, das war dumm von mir“, entschuldigte sie sich und zog den einen Vorhang rasch wieder zu, so dass die Sonne nicht direkt auf sein Gesicht schien.

      „Schließen Sie die Rollos sofort wieder!“, befahl er. „Außerdem sehe ich dann die schwarzen Krähen nicht. Ich weiß ja, dass ich nicht mehr viel Zeit habe auf dieser Erde. Eines Tages in absehbarer Zeit werden sie mich holen, diese Boten des Todes. Es reicht ja schon, wenn ich sie hören muss.“

      „Schwarze Krähen sind doch keine Todesboten. Wer hat Ihnen denn dieses Märchen aufgetischt? Es sind Vögel, wie andere auch und sie sind sogar recht klug“, wandte die Pflegerin ein.

      „Aber sie sind schwarz wie der Tod. Wenn ich diese Vögel mit ihrem hässlichen Geschrei in den Baumwipfeln der alten Eichen sehe und höre, läuft es mir eiskalt den Buckel herunter. Sie machen mir entsetzliche Angst. Deswegen lasse ich die Rollos auch bei Tag schließen.“

      „Nein, das finde ich gar nicht gut, Mr. Stonewall. Sie sind depressiv und depressive Patienten brauchen viel Licht, wissen Sie das nicht? Es gibt sogar extra Lichttherapien für diese Patienten. Das Märchen von den Krähen hat Sie sehr verunsichert und außerdem schenken Sie diesen Lügen auch noch Glauben“, klärte sie ihn auf. „Sehen Sie nicht, wie schön es draußen ist? Das schlimme Gewitter von gestern ist vorbei.“

      Brandon brummelte nur etwas Unverständliches vor sich hin.

      Christin nahm ungefähr fünfzig schwarze Krähen in den Baumwipfeln wahr. Einer der Vögel löste sich gerade von den anderen und nahm Kurs auf das Fensterbrett, wo er sich zielsicher niederließ. Er blickte ins Zimmer zu Brandon hinein.

      „Jetzt kommen sie schon an das Fenster“, murmelte Brandon fassungslos und verschwand völlig unter seiner Bettdecke.

      Die Krähe hielt ihren Kopf leicht schräg, dann schlug sie heftig mit den Flügeln und machte sich wieder davon.

      Vorsichtig lugte er unter seiner Decke hervor. Ist sie weg?“, informierte er sich.

      „Ja, sie ist weggeflogen“, antwortete sie ihm.

      Er sah seine neue Pflegerin in ihrem schwarzen Habit von hinten. „Aus welchem mittelalterlichen Kloster sind Sie denn herausgekrochen?“, fragte er neugierig geworden und zog die Decke langsam ganz von