Schwarzer Kokon. Matthias Kluger

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Название Schwarzer Kokon
Автор произведения Matthias Kluger
Жанр Сказки
Серия
Издательство Сказки
Год выпуска 0
isbn 9783960085355



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Wort, Sie sturer Bock. Wenn Zola etwas passiert und Sie hätten es verhindern können, mache ich Sie verantwortlich.« Der Satz war unlogisch, zugleich unüberlegt, das wusste Veronika, denn alle Entscheidungen traf einzig ihr Mann. Nicht sie und auch nicht Sam.

      Tief und durchdringend grollte der erste Donner durchs Tal.

      Baine schickte seine beiden Begleiter alleine zu den Stallungen. Er selbst entschied sich um und schlug den direkten Weg zum ›Schlund‹ ein. Dort saß bereits der junge Vorarbeiter verängstigt hinter Gittern.

      »Holt ihn raus und bindet ihn fest«, befahl Baine. »Und bringt mir die Geißel.«

      Die Geißel war eine der Peitschen, die als grausamstes Foltergerät verwendet wurde. Aus ihrem Stiel mündeten mehrere Lederriemen mit dicken Knoten an deren Ende. So war sichergestellt, dass jeder Hieb auf dem Rücken eines Menschen tiefe Wunden hinterließ.

      Zwei Wachen zerrten den jungen Vorarbeiter aus dem ›Schlund‹, rissen ihm das Hemd vom Oberkörper und banden ihn mit Seilen an ein neben dem ›Schlund‹ aufgestelltes Holzkreuz. Der junge Neger wehrte sich mit aller Kraft, war aber chancenlos und in kürzester Zeit fest am Kreuz gefesselt. Im Boden verankerte Eisenschellen fixierten seine Fußknöchel, sodass der zu Geißelnde breitbeinig am Kreuz hing.

      Clexton stellte sich hinter den Zitternden, der irgendetwas Unverständliches murmelte. Es war für Clexton das erste Mal, dass er die Bestrafung eigenhändig vornahm – er war nun Scharfrichter und Henker in einem. Schlingernd hielt er die Peitsche in seiner Hand; dann holte Clexton aus und schlug die Riemen knallend auf den Rücken des Gekreuzigten nieder. Sein erster Schlag traf unsauber und die Riemen schnalzten zuerst am Ohr des Gefolterten, um schließlich seitlich den Rücken zu streifen. Doch verfehlten die Riemen nicht ihr Ziel, Schmerz zuzufügen. Das rechte Ohr des Mannes wurde zur Hälfte abgerissen und sofort sprudelte Blut dessen Hals hinab. Laut schrie der Gepeinigte auf, sein ganzer Körper spannte sich schmerzverzerrt, bis er zitternd erschlaffte.

      Wieder holte Clexton aus und dieses Mal traf er mit voller Wucht entlang der Wirbelsäule. Die hohe Geschwindigkeit der Riemen durchschnitt die Luft und verursachte einen lauten Knall des Peitschenhiebes. Jeder einzelne Knoten der Riemen riss sich in die dunkle Haut des Rückens. Aus roten Striemen, die das rohe Fleisch sichtbar machten, quoll Blut. Wieder und wieder zischte die Peitsche auf das Opfer nieder. Heftig zuckte der Geschlagene unter seinen Schmerzen, bis er letztendlich das Bewusstsein verlor. Wie im Blutrausch griff Clexton zu einem Eimer Wasser. Er schüttete das kalte Nass über das Haupt seines Vorarbeiters, sodass sich eine Lache aus Wasser und Blut auf dem ausgetrockneten harten Boden bildete. Clexton zerrte dessen Kopf nach hinten, bis seine Lippen direkt am linken, gesunden Ohr des Negers waren.

      »Wo sind die beiden?«, flüsterte er eindringlich und seine Worte züngelten sich in die Ohrmuschel wie eine Giftschlange.

      Der Sklave hing geschunden und bluttriefend am Kreuz. Er hörte Baine nicht mehr. Sein ganzer Körper war ausgefüllt von den donnernden Worten, die sich erst vor wenigen Stunden in seinen Verstand eingebrannt hatten: »Uqando gejuna daque. Uqando gejuna daque.« Die Sturmflut dieses Mantras erlöste ihn und sein Herz hörte auf zu schlagen.

      Die Nacht war hereingebrochen. Gewaltige, schwarze Gewitterwolken öffneten ihre Schleusen und ergossen sich in strömendem Regen. Während die Suchtrupps mit Fackeln am Ufer des Ashley Rivers unterwegs waren, wartete Baine allein auf der Veranda. Schnell würde es sich unter den Sklaven herumgesprochen haben, dass er den Neger zu Tode gepeitscht hatte. Keiner wagte es, Baine anzusprechen. Weder seine Frau noch Tumelo wurden von ihm nach seiner Rückkehr befragt und beide zogen es vor, ihm nicht über den Weg zu laufen.

      Veronika hatte sich mit Jos ins Schlafzimmer verkrochen, während Tumelo, neben sich eine Ledertasche gefüllt mit Proviant, in seinem Zimmer saß. Eine mystisch bedrohliche Atmosphäre lag über der ins Dunkel gehüllten Plantage. Tumelo starrte aus dem Fenster. Er hatte Angst. Er musste zu den Stallungen, um sich mit Mr. Haskins zu treffen. Doch er war wie gelähmt. Wir werden alle sterben, alle! Er dachte an die vielen Wachen, die mit Fackeln das Ufer absuchten. Die vielen Gewehre. Wieder überkam ihn die Vorstellung, wie Mr. Baine über Zola liegt – sie vergewaltigt. Seine Zola! Der Gedanke daran ließ die Angst von ihm weichen und Zorn gewann die Oberhand. Er musste gehen. Er musste Zola helfen. Er war es ihr schuldig. Hätte er besser auf sie aufgepasst, wäre es nicht so weit gekommen.

      Den Proviantsack umgeschnallt, öffnete er sein Fenster und sprang ins Freie. Ein Blitz zuckte am nächtlichen Himmel, erhellte für Sekunden das ganze Tal, gefolgt von tief grollendem Donner. Gebückt rannte Tumelo zu den Stallungen und kam völlig durchnässt an.

      Sam trat aus seinem Versteck hervor, als er die Silhouette von Tumelo erkannte. »Wo warst du so lange?«

      Ohne darauf zu antworten, zeigte Tumelo den Ledersack.

      »Gut, dann los.«

      Schlechte Sicht, des starken Regens wegen, sowie die stockfinstere Nacht machten es ihnen leicht, unentdeckt bis in die Nähe des Ufers zu gelangen, wo sie sich tagsüber von Aba und Zola getrennt hatten. Sie erkannten viele helle Fackeln, die wie Glühwürmchen in Flussnähe unterwegs waren. Hinter Gestrüpp versteckt warteten sie auf Aba und Zola. Nichts regte sich. Tumelo griff nach zwei Steinen und klopfte diese leise und vorsichtig aufeinander. Sein Klopfzeichen hatte Erfolg. Nicht unweit vor ihnen hörten sie ebenfalls einen Klopflaut.

      »Zola«, zischte Tumelo weiterhin geduckt, um nicht gesehen zu werden, sollte das Zeichen nicht von Aba und Zola gekommen sein.

      Es raschelte, bis zwei Schatten vorsichtig gebückt aus dem Unterholz schlichen.

      »Leise«, mahnte Sam, der sie als Erster erkannte. Anschließend erklärte er ihnen seinen Plan.

      Sam lief zum Ufer und sah einen Wachposten, der mit einem Gewehr im Anschlag direkt auf ihn zukam. »Nicht schießen!«, schrie Sam durch den Regen. »Ich bin es, Sam Haskins.«

      Die Wache trat näher und erkannte Sam.

      »Mr. Baine hat mich beauftragt, mitzusuchen. Aber meine Fackel ist ausgegangen.«

      Der Neger griff an seinen Hosenbund und gab Sam eine neue. Mit seiner eigenen entzündete er das am Holzstiel in Wachs getränkte Baumwolltuch.

      »Habt ihr schon irgendwas entdeckt?«

      »Nichts«, sagte sein Gegenüber, während Regenwasser ihm über das dunkle Gesicht lief. Er fixierte Sam mit hellen wachen Augen.

      »Ich werde weiter flussabwärts suchen«, schrie Sam, denn ein erneut lauter Donner dröhnte durch Mark und Bein. Zustimmend nickte der Neger, deutete auf eine Gruppe Suchender, derer sich Sam augenblicklich anschloss.

      Nach zehn Minuten entlang des Ufers fand er die Stelle, an der er Tage zuvor seine Barke vertäut hatte. Langsamer werdend ließ er sich vom Rest der Gruppe zurückfallen und verschwand im Ufergestrüpp. In der Hoffnung, unbeobachtet zu sein, entfernte er hastig das der Tarnung dienende, durchnässte Geäst und Gestrüpp von seinem Boot. Der Augenblick war günstig, den Kahn ins Wasser zu lassen. Er zog an dem kleinen Schiff, welches sich sonst leicht über den sandigen Boden bewegen ließ. Doch der Kiel sank tief in den weichen, schlammigen Untergrund, was das Gleiten erheblich erschwerte. Sam benötigte wesentlich mehr Zeit und Kraft als erhofft – ständig in Gefahr sich nähernder Wachposten. Seine Muskeln brannten unter der Anstrengung, bis er endlich, den matschigen Ufersand hinter sich gelassen, das Boot ins Wasser schob. Mit einem Satz landete er im schaukelnden Kahn, legte seine brennende Fackel vorsichtig auf den Bootsboden, holte sein Paddel und ruderte leise einige Meter zur Mitte des Flusses. Hoffend, man könne in der Dunkelheit das Boot vom Ufer nicht mehr ausmachen.

      So flach wie möglich paddelte er gebeugt gegen die Strömung an. Nach fünfzehn Minuten erreichte er die Höhe des Verstecks der drei anderen. Er setzte alles auf eine Karte und ruderte ans Ufer. Sam rechnete