Ausbeutung - made in Germany. Frank Mehler

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Название Ausbeutung - made in Germany
Автор произведения Frank Mehler
Жанр Социальная психология
Серия
Издательство Социальная психология
Год выпуска 0
isbn 9783960081050



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drüben neben dem Laser-Zuschnitt hängt ein Schichtplan an der Wand. Danach könnt ihr euch jeweils richten.«

      »Alles klar«, sage ich.

      Er hebt freundlich die Hand und geht dann weiter seine Runde.

      Ich komme gut durch die Schicht, nur am Ende tun mir ein wenig die Finger vom vielen Zugreifen und Hin- und Herbewegen des Materials weh. Selbst meine Ablösung kommt heute überpünktlich. Mein neuer »Kollege« von der Zeitarbeit sozusagen, oder besser gesagt der nächste Kandidat!

      Die haben einen Riesenkerl geschickt – vielleicht an die 2 Meter groß, schätze ich, und ich sage zu ihm: »Guten Tag! Du bist sicher die Ablösung …?«

      »Ja, ich soll hier unten an der Laufer-Presse auf den Einrichter warten. Tag auch …«

      »Er wird sicher gleich kommen. Dort drüben sind Handschuhe, da sind Baumwolllappen, und die Jacke hänge ich immer einfach ans Fenster. Na ja, und rauchen kannst du hier auch, wenn du willst.«

      »Ach ja!«, sagt er erfreut und packt sogleich sein Päckchen Tabak aus.

      »Ja, und der Chef hat gesagt, dass dort hinten an der Wand ein Dienstplan hängt. Ich schaue ihn mir gleich mal an.«

      Mein Name ist tatsächlich auf dem Dienstplan eingetragen, als ob ich bereits ganz normal mit zur Belegschaft gehören würde. Sogar den ganzen Januar hindurch, wie ich schwarz auf weiß sehen kann, hat man mich direkt hierher entliehen. Laufer-Presse, steht da, und der Name des Ersatzmannes ist: Andreas Laufer!

      Passt irgendwie zur Hydraulik-Presse, denke ich. Ich grinse mir einen. Dann habe ich also nächste Woche Spätschicht und er hat Frühschicht, und dann wieder umgekehrt und so weiter und so weiter …

      Ich gehe zurück zur Presse. »Ähm, ich habe jetzt Feierabend«, sage ich zum neuen Kollegen. »Haben sie dir gesagt, dass drüben eine Stechuhr hängt, an der wir uns an- und abmelden müssen?«

      »Ja, ich weiß.«

      »Wahrscheinlich müssen die Tabletts jetzt gelocht werden. Aber egal, du wirst schon sehen. Ich wünsch dir was …«

      Eine neue Woche ist angebrochen: Ich habe Spätschicht und mein Kollege hat heute die Frühschicht gefahren. Die Arbeit läuft ganz gut von den Händen, gleich wenn einiges nach wie vor sehr gewöhnungsbedürftig ist. Dass es nun besser läuft, liegt wohl auch daran, dass der Kollege und ich selbst die Herausforderung annehmen – wir sammeln quasi neue Erfahrungen. Wir arbeiten einander zu, da betriebsbedingt die Hydraulik-Presse nur im Wechselschichtsystem optimal ausgelastet werden kann.

      Unsere Personalerin hatte versprochen, wir würden demnächst eine Wattejacke und eine Thermo-Arbeitshose als Zugabe von der Firma bekommen. Grund: Schräg gegenüber der Hydraulik-Presse befindet sich gleich die Laderampe, und weil das Rolltor mindestens 30x am Tag hoch und runter geht, entsteht nicht selten ein Durchzug. Der Wind bläst uns Leiharbeitern dann eiskalt in den Rücken.

      Da es nun ziemlich frostig geworden ist und ich überwiegend im Sitzen arbeiten muss, habe ich inzwischen schon zwei Pullover an und mir vorerst eine dicke Unterhose unter die Arbeitshose gezogen. Ich sage mir: Na ja, die Thermo-Hose wird bestimmt diese Woche noch kommen …

      In der Pause sitze ich heute mit den anderen vom Zuschnitt, den fünf »Altmetallern« zusammen. Der aus Polen stammende Mitarbeiter hatte mich mit zur Runde gewunken. Ich sage nicht viel und esse nur so vor mich hin, denn wirklich mitreden bei den Fachleuten aus der Metallbranche kann ich als Leihkraft nicht, jedenfalls noch nicht. Allerdings merke ich, dass die werte Dame, die gleich um die Ecke an der Finn-Power arbeitet, sich mehr wie ein Kerl unter Kerlen benimmt, obwohl sie rein objektiv als Frau eigentlich ziemlich gut aussieht. Ich stelle mir vor, sie hätte eine andere Verkleidung an und das entsprechende Arbeitswerkzeug in der Hand, dann würde sie vermutlich genauso gut in die Welt der Züchtigungen passen. Irgendwie wirkt sie so dominant auf mich.

      Nebenbei bemerkt: Der Kollege sagt nie ›Guten Tag!‹, er nickt immer nur unmerklich. Er spricht auch so kaum anregend viel mit mir, gewissermaßen nur das Allernötigste zur Arbeit. Am liebsten aber sagt er: ›Ach, ich rauche erst mal eine … ‹ Manchmal raucht er in der Viertelstunde, in der sich unsere beiden Schichten überschneiden, ganze drei Zigaretten. Er kommt quasi mit Zigarette im Mund, raucht und raucht …, und er geht ebenso mit Zigarette.

      Ich bin nun wieder beim Längsseiten beschneiden angekommen und schaue auf die Uhr, wie viel ich in einer Minute schaffe: Manchmal sind es drei, manchmal auch vier Tabletts. Bei vier Tabletts wären das rein theoretisch 240 Stück in einer Stunde. Dann müsste ich genauso theoretisch nach 4 Stunden und 10 Minuten mit den 1.000 Teilen schon fertig sein. Nur sagt die Wirklichkeit: Denkste! Ich muss zwischendurch auch aufstehen und mir spätestens nach dreißig Teilen Nachschub holen. Ich muss den Nachschub auf dem Arbeitstisch stapeln und nach dem Beschneiden wieder ordentlich ablegen. Obendrein muss ich stark verölte Tabletts mit Baumwoll-Lappen abwischen. Am Ende müssen dann alle Werkstücke noch einmal neu in eine Gitterbox für den nächsten Arbeitsschritt eingestapelt werden.

      Das Mineral-Öl, das beim Tiefziehen benutzt wird, ist eine Art Oberflächen- und Spezialfließöl. Es ist tief durchdringend, insbesondere was die Handschuhe anbetrifft, obwohl diese schon mit Kunststoff beschichtet sind, so dass eigentlich kein Öl mehr durchkommen sollte. Aber: Na ja, sage ich mir, auch wieder nur rein theoretisch gesehen.

      Später schaue ich mir den Öl-Kanister etwas genauer an, die Gebrauchsanweisung ist leider nur in Englisch und Französisch geschrieben. Zumindest erkenne ich an der roten Kennzeichnung mit dem schwarzen Kreuz in der Mitte, dass das Zeug reizend ist. Ich besorge mir neue Handschuhe.

      Wenn draußen die Sonne scheint und die S-Bahn vorbeifährt, reflektieren die Scheiben der S-Bahn das Licht der tief stehenden Sonne. Es fällt dann genau zu mir herein und wirkt wie ein kleiner Lichtzauber mitten im Winter.

      Auch Radio kann ich während der Arbeit hören, ich hatte mich am Anfang nur nicht so getraut. Doch bei dem Lärm und mit Stöpseln in den Ohren höre ich ohnehin nicht viel von der Musik. Das Radio dudelt trotzdem vor sich hin. Vielleicht ist es Einbildung oder es ist so, dass die Arbeit nicht ganz so eintönig dabei wirkt. Das ist wie so ein beschwingendes Gefühl.

      Im zweiten Monat: Es ist Februar geworden und alles geht seinen Gang. Ich habe gleich Feierabend und der Kollege wird wie üblich die Spätschicht übernehmen. Der Einrichter installiert derweilen das neue Werkzeug auf der Arbeitsplattform. Es geht mit dem Lochen der Tabletts weiter – der letzte Arbeitsschritt hier unten an der Presse. Dabei muss besonders Obacht gegeben werden, denn schnell ist das Werkstück leicht schräg angesetzt und das Werkzeug locht dann gewissermaßen nicht korrekt. Wenn das passiert, ist das ganze Tablett nur noch etwas für den Ausschuss und wandert in die Tonne. Genauso müssen wir auf Sprenkel und kleine verpresste Splitter achten, die die Oberfläche des Tabletts nicht gerade verschönern. Um diese Unschönheiten zu mindern, müssen wir das Stanzwerkzeug regelmäßig mit Baumwolllappen von unten her säubern. Das kostet natürlich jedes Mal Zeit. Doch noch mehr Zeit kostet es, die Sprenkel mit Schleifpapier wieder zu entfernen. Und selbst wenn man noch so gewissenhaft arbeitet, ist es manchmal verflixt.

      »Ich habe die Presse jetzt auf Lichtschranke umgestellt, damit wir im Durchlauf noch schneller werden«, sagt der Einrichter zu uns. »Allerdings müsst ihr jetzt genau aufpassen, dass ihr die Tabletts exakt in die Fassung einpasst. Ihr wisst ja, sonst habt ihr hier schnell Ausschuss produziert.«

      Mein Blick kreuzt sich mit dem des Kollegen, und im Grunde wissen wir ja, was wir davon zu halten haben. Aber wir sagen nichts. Es ist auch so klar für uns. Wir werden wohl qualitativ und quantitativ noch viel besser werden müssen.

      »Sagt mal, Jungs«, will der Einrichter wissen, »als Zeitarbeiter ist es doch manchmal auch gar nicht so schlecht. Ich meine, ihr kommt doch viel rum und habt bestimmt immer so eure Abwechslung, nicht?«

      »Na ja«, sage ich, »das mit der Abwechslung kann man jetzt so oder so sehen. Nur ab einem bestimmten Punkt steigt jedem Menschen die Flexibilität