Название | Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz |
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Автор произведения | Christiane Benedikte Naubert |
Жанр | Биографии и Мемуары |
Серия | |
Издательство | Биографии и Мемуары |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783957448064 |
Laßt mich, rief sie nach einer Weile, indem sie ihre Augen trocknete, mir schweben jene schrecklichen Auftritte zu Schloß Uspunnen zu lebendig vor Augen, ich bedarf Zeit mich zu fassen.
Wir warteten mit angstvoller Unruhe des Augenblicks, in welchem sie deutlicher sprechen würde. Mein Oheim tappte hier gänzlich im Finstern, aber mich umschwebten dunkle Ahndungen, welche durch Hedwigs Erzählung nur gar zu sehr gerechtfertigt wurden. Ach sie, die Unglückliche, die in jenem gräulichen Felsennest ihre vieljährigen Bande durch die Flammen zu brechen strebte, sie, welche durch die Nennung meines Namens in jene mir unerklärbare Verzweiflung in den Wahnsinn gestürzt wurde, in welchem sie zuletzt verschied, jene Lukretia Malatriti, war diejenige, welche ein früheres Recht auf das Herz des Grafen von Vatz hatte, als die beklagenswürdige Noria, sie nannte mich sterbend noch die Urheberinn ihres Elends, fluchte mir sterbend, und — ich war unschuldig!
Hedwigs Freundschaft hatte mir diese schreckensvollen Scenen, von welchen sie damals Zeuge war, verschwiegen. Sie kannte meine Schwäche, sie hielt es diesem weichen gefühlvollen Herzen für zuträglicher mit dem Ganzen des Elends unbekannt zu bleiben, das Graf Walters einst gewünschte Vermählung über mich gebracht hatte. – So war ich also so viel Jahre lang die unrechtmäßige Gattinn eines Mannes gewesen, den ich nur so lang lieben und wünschen konnte, als ich ihn nicht kannte? So war also ich, die gern jeden Wurm beglückt, gern jede Spur des Elends von der Erde vertilgt hätte, die Ursach der vieljährigen Quaal einer vielleicht tugendhaften und liebenswürdigen Person? doch nein, Lukretia war, wie mich Hedwig aus ihrem sterbenden Bekenntnisse versicherte, nie gut und tugendhaft gewesen. Ihre Geschichte, die ihr von Hedwigs Feder gezeichnet, unter dem Titel Lukretia finden werdet, kann euch hiervon überzeugen. Sie hatte Walters Hand durch Unthaten errungen, hatte ihrem Sohn, auf dessen Beystand sie vergeblich harrte, zu frühzeitiger Ruchlosigkeit angelehrt, und ihr verzweiflungsvoller Tod war ganz das Ende, das sich zu so einem Leben schickte. Aber konnte dies mich trösten? Ach mich dünkte, ihr Fluch, so unverdient er auch war, haftete dennoch auf mir, und ich würde früh oder spät seine Folgen erfahren müssen. – Laßt mich hier abbrechen, meine Kinder, bis mehrere Fassung mich geschickt macht fortzufahren!
Hedwig wußte noch mehr von diesen Dingen. Sie wußte, daß das Gerücht von Lukretiens Elend, ihren Sohn, den Grafen Donat, in Italien allerdings erreicht, aber daß ihm der Taumel seiner Ausschweifungen erst spät erlaubt hatte, an die Rettung der Bedrängten zu denken. Endlich war er gekommen, diejenige zu befreyen, deren Gebeine nun längst unter den Trümmern von Uspunnen moderten. Der Gedanke: Es ist zu spät! hatte ihn in eine Verzweiflung gestürzt, die er durch die wildesten Handlungen äußerte. Die ganze Besatzung des Schlosses wurde dem Schatten Lukretiens zum Opfer geschlachtet, und die Ueberbleibsel der Burg zu einem Todenfeuer für sie angezündet. Er vernahm, die unglückliche Noria, die er gleich seiner Mutter, die Urheberinn ihres Elends nannte, sey einst in diesen Mauern verschlossen gewesen, und er schäumte, sie nicht mehr zu finden, und auch sie seiner Wuth aufopfern zu können.
Die Einwohner des stillen Frutigerthals, meine ehemalichen treuen Retter, empfanden die Folgen seiner Wuth; auch sie sollten für die Saumseligkeit büssen, mit welcher er seine Pflichten gegen eine unglückliche Mutter verschoben hatte, und die er, da er nicht gegen sich selbst wüthen wollte, an jeden Unschuldigen zu bestrafen suchte.
Alles floh in diesen Gegenden vor dem wüthenden Donat, der sich jetzt mit starken Tagereisen dem Ort unsers Aufenthalts näherte, ohne daß man genau wußte, wen sein Grimm aufzureiben dachte. Wir zitterten vor ihm, unsere Macht war geschwächt, und wir hatten außer ihm auch noch den mächtigen Walter zum Feinde. Graf Walter zitterte auch, er konnte wahrscheinlich muthmassen, daß sein Sohn käme, das Blut seiner Mutter von seinen Händen zu fordern, und er hatte außer ihm, noch den Grafen Venosta zum Feinde, dessen Tapferkeit den Mangel der Macht ersetzte. Nichts konnte ihn und uns retten, als Vereinigung unserer Kräfte, und Gott! zu diesem Zeitpunkte war es, daß das Schrecklichste aller Dinge, die mir begegnen konnten, zu Stande kam.
Graf Walter that in der Beängstigung seines Herzens Vorschläge, welche der ebenfalls nicht ohne Ursach beängstigte Zirio nicht ausschlagen durfte. Ich ward das Opfer des Bundes wider den gemeinschaftlichen Feind, Gott! ich mußte mich bequemen, Hedwigs Räuber, Lukretiens Mörder, Zirios Verräther, und meinem eigenen Tyrannnen zum zweitenmal die Hand zu geben.
Fraget nicht nach meiner ersten Zusammenkunft mit einem Manne, den mir seine Verbrechen so verhaßt gemacht hatten, als er mir ehemals theuer war! ich zitterte vor derselben, ich machte mir die schrecklichsten Vorstellungen, aber wie mir es schon tausendmal in meinem Leben begegnete, ich fand das nicht, was ich besorgte; zwar einen Auftritt von der erschütterndsten Art, aber bey weiten nicht den, den ich erwartet hatte.
Die Jahre, in welchen ich Graf Waltern nicht sah, hatten ihn zum Erstaunen verändert, er war weder ein Gegenstand der Liebe noch des Schreckens mehr, wie in vorigen Zeiten; nur Mitleid konnte man bey seinem Anblick fühlen. Es schien, die Ausübung des Lasters hatte ihn noch elender gemacht, als diejenigen, welche unter den Ausbrüchen desselben leiden mußten. Wenigstens war so viel gewiß, die Gräfinn von Rappersweil und ich, hatten das Elend, welches wir zu Uspunnen leiden mußten, längst verschmerzt, und begunnten wieder in unserer natürlichen Blüthe zu glänzen, dahingegen unser Verfolger das Ansehen hatte, als wenn er eben erst aus den Kerkern jenes Raubschlosses entkommen war. Nicht allein sein Körper hatte gelitten, auch sein Geist war durch Ausschweifungen, Gewissensangst und Furcht vor kommenden Uebeln niedergedrückt. Er warf sich, so bald er mich erblickte, zu meinen Füssen, und flehte in dem kleinmüthigsten Ton um Vergebung des Vergangenen. Auch Hedwigs Knie umfaßte er, und stammelte ihr ein langes Bekenntniß seiner Beleidigungen her, welche sie selbst nur gar zu wohl kannte.
Diese unmännliche Demüthigung war es in Wahrheit nicht, was wir von ihm forderten. Mein Gemüth ward zugleich vom Unwillen und Mitleid eingenommen, und ich wußte nicht, welches ich zuerst äußern sollte. Das letzte behielt die Oberhand, und ich ließ mich von dem bittenden Walter zu jedem Versprechen bereden, welches mir in der Folge so schwer zu erfüllen ward.
Ich weis nicht genau, welches die Empfindungen meines Oheims bey dieser Gelegenheit waren, mich dünkte einen guten Theil Reue in seinen Augen zu lesen, daß er sich fast unnöthiger Weise zu Verneuerung eines Bündnisses hatte verleiten lassen, das ihm nicht anders als lästig, und für seine aufgeopferte Noria von den bittersten Folgen seyn mußte. Furcht vor einem doppelten Feinde war die größte Veranlassung zu diesem Schritte, aber Graf Walter war in der Nähe nicht so furchtbar als von ferne. Unsere wenigen Völker34, unter der Anführung des muthigen Grafen Venosta, der ungeachtet seines zunehmenden Alters immer noch ein Held war, konnten mehr ausrichten, als Graf Walters Tausende, da ihr Führer an Leib und Geist geschwächt, und wie wir bald Ursach zu vermuthen hatten, nicht zu allen Zeiten seines Verstandes mächtig war. Dinge, welche uns freylich bisher verborgen geblieben waren.
Ich hatte wenig Tage an seiner Seite gelebt, als ich Entdeckungen machte, welche mir die schrecklichsten Aussichten in die Zukunft öffnen mußten. Den wahren Grund von Walters unheilbarem Uebel habe ich nie entdecken können, da es wenig Stunden gab, in welchen es möglich oder rathsam war, ihn um solche Dinge zu befragen, aber führt nicht die Ausübung jedes Lasters an Abgründe, bey deren Anblick die Vernunft schwanken und endlich unterliegen muß?
Walters furchtbare Melancholie war periodisch. Es gab Stunden, in welchen er sich vor jedermann, besonders vor mir verbarg, um allein zu leiden. Nicht Neugier, sondern heisser Wunsch, Rath zu schaffen, ließ mich ihn einst in diesen Augenblicken freywilliger Absonderung belauschen, und was ich durch diesen gutherzigen Vorwitz gewann, war außer der heftigsten Erschütterung für den gegenwärtigen Augenblick, deren eine weibliche Seele fähig ist, noch der ganze Grimm meines seiner Sinne beraubten Gemahls, der nun keine Zurückhaltung mehr kannte, und von diesem unglücklichen Tage an, mich Theil an seinen Leiden nehmen ließ, die er vorher aus einer Art von Schonung meinen Augen entzogen hatte. Ich hatte bisher den Unglücklichen nur in seinen mißmuthigen und verzagten Launen gesehen, die den mehrsten Theil seiner Stunden ausfüllten. Jetzt war ich auch Zeuginn seiner Rasereyen, welche mich und meine Freundinn oft für unser Leben besorgt machten. Oft wurden wir von dem wüthenden Walter durch alle Zimmer und Gewölbe der Burg verfolgt, ohne an einem Orte Sicherheit vor ihm zu finden, als an jenem verfallenen Brunnen, in welchen ehemals, kurz nach Hedwigs