Heilbuch der Schamanen. Felix R. Paturi

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Название Heilbuch der Schamanen
Автор произведения Felix R. Paturi
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783946433460



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körperlicher Probleme geplagt. Rückenschmerzen, Verdauungsschwierigkeiten und Migräneanfälle waren dabei noch die geringsten Übel. Mehr zu schaffen machten ihr immer wiederkehrende Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre, gelegentliche Hautreizungen, ihre Anfälligkeit für allerlei Infektionskrankheiten sowie Herzrhythmusstörungen und Atemnot. Zwei Operationen im Darmbereich und eine Gebärmutterausschabung musste sie schon über sich ergehen lassen. Zu alledem kam die ständige Furcht vor dem Altern.

      Der Klientin ist die Sicherheit in sich selbst verloren gegangen. Möglicherweise hatte sie auch niemals die Chance, diese überhaupt zu entwickeln.

      Auf der Suche nach Auswegen

      Frau Sihet versuchte die Ursachen für ihre diversen Leiden zu ergründen. Sie verfiel zunächst auf die Esoterik und glaubte an eine schwere karmische Belastung. Überzeugt davon, eine alte Schuld aus einem früheren Leben abtragen zu müssen, vertraute sie sich verschiedenen spirituellen Meistern an, die versuchten, ihr mit Aura- oder Chakratherapien beizukommen sowie mit so genannten Rückführungen in frühere Leben, und ihr obskure Lebensmittel verordneten.

       Angetrieben von ihrem übersteigerten Sicherheitsbedürfnis und dem sie stets leitenden Grundgedanken, man dürfe nichts unversucht lassen, wenn es um die körperliche und seelische Gesundheit geht, ließ Frau Sihet diese sinn- und erfolglosen Maßnahmen über sich ergehen. Statt einer Besserung der Beschwerden stellte sich eine Verschlimmerung ein.

       Das Gefühl, ein besonders schwerer, hoffnungsloser Fall zu sein, wurde ihr zur Gewissheit. Angst überwältigte sie, die wiederum Muskelverspannungen, Gefäßverengungen und neue Magen- Darm-Probleme mit sich brachte.

       Fatalerweise eskalierte dieser missliche Zustand, je mehr Frau Sihet davon überzeugt war, sich nicht nur um die Gesundheit ihres Körpers, sondern auch um die ihrer Seele zu kümmern. Sie glaubte sogar, ihre Seele und deren Zustand zu kennen. In Wirklichkeit aber engte sie diese mehr und mehr ein. Ihr geschliffener Verstand, ihr starkes Sicherheitsbedürfnis und die feste Überzeugung, sie dürfe in ihrem Leben nichts dem Zufall überlassen, ließen ihrer Seele nicht mehr den geringsten Spielraum, den eigenen Lebensbereich selbst zu gestalten oder in ihm frei zu atmen. Frau Sihets Angst steigerte sich zur Verzweiflung. Sie war nicht mehr in der Lage, rhythmisch zu atmen, sondern nur noch stoßweise mit längeren Pausen.

      Der schamanische Reisebericht über Frau Sihets »Seelenzimmer« stammt aus dem Buch »Der Zeitvogel und andere schamanische Erzählungen«, ebenfalls von Felix R. Paturi.

      Der Einfluss der Eltern

      Dass es so etwas wie das Land der Seele gibt, in dem diese ein sehr eigenständiges Leben führt, war Frau Sihet nicht bewusst. Und hätte sie das erbärmliche und heruntergekommene Zimmer auch nur einmal gesehen, in das ihre Seele eingepfercht war, dann wäre sie wohl zutiefst entsetzt gewesen.

       Niemand freilich gestaltet sein Seelenland allein. So bekam Frau Sihets Seele schon bei ihrer Geburt von ihren Eltern ein freundliches kleines Zimmer als Wohnstatt zugewiesen, ohne dass Vater und Mutter sich dieses Raums allerdings tatsächlich bewusst waren. Unbewusst gestalteten sie ihn während der Kindheit des kleinen Mädchens ganz systematisch. Alles, was ihr Kind in dieser Zeit erlebte und erfuhr, hinterließ Spuren in seinem Seelenzimmer. Spuren dieser Art sind oft sehr dauerhaft und lassen sich noch lange Zeit danach betrachten.

      Erste Spuren im Seelenraum

      Die erste Maßnahme der Eltern war, dass sie die Türe des Seelenzimmers ihrer Tochter sorgsam verschlossen. Sie glaubten, so der kleinen Seele Sicherheit vor den Gefahren von außen zu geben. Wie leicht hätte sie sonst den Raum neugierig und - wovon sie überzeugt waren - leichtsinnig verlassen können. Das Seelchen drückte zwar zunächst öfter auf die Türklinke, fand sich aber bald damit ab, dass dieses nichts bewirkte und vergaß die Türe als möglichen Weg ins Freie schließlich ganz. Immerhin war das Zimmer selbst ein schöner Raum, denn er war weitgehend leer und man konnte darin nach Herzenslust herumkrabbeln, spielen und toben.

      Ein Seelenzimmer wird eingerichtet

      Als das Kind größer wurde, erhielt der Raum immer mehr Einrichtungsgegenstände. Seelenräume haben jedoch ein völlig anderes Mobiliar als die in der Welt der Sinne und des Verstands. Das von den Eltern sorgfältig ausgewählte Internat hinterließ beispielsweise als Spur im Seelenraum eine massive Eisenstange, die mitten im Zimmer stand und vom Boden bis zur Decke reichte. Das war ein Gegenstand, an dem man sich aufrichten und festhalten konnte. Auch sorgsam geplante Freizeitaktivitäten, die die Tage ihrer Tochter ausfüllten, zogen sich bald als straffe Stahlseile kreuz und quer durch den Raum: viele Möglichkeiten, sich festzuhalten.

      Die bildhafte Zustandsbeschreibung führt unmittelbar und auf direktem Weg zur Einsicht in die schwierige Situation, in der sich die Frau befindet.

      Eine Seele beginnt zu verkümmern

      Die Fenster des Zimmers hatten die Eltern in der Zwischenzeit zur Hälfte verschlossen und mit uninteressanten Ausblicken bestückt. Beschränkt auf das Zimmer, suchte die Seele nach Gestaltungsmöglichkeiten. Die aber waren äußerst begrenzt. Doch selbst wenn es der Seele gelang, sich ein neues Spielzeug zu basteln, nahmen es ihr die Eltern fort. Sie sahen es als nichtsnutzig oder sogar gefährlich an. Stattdessen zogen sie neue Seile und Stangen ein. Bald konnte sich die Seele nicht mehr frei im Raum bewegen. Die Seile und Stangen machten bestimmte Teile des Zimmers unerreichbar. Dort lagen zwar noch einige interessante Dinge herum, die die Seele einst erdacht hatte, aber im Lauf der Zeit legte sich Staub darüber.

       So sah ein junger Franzose das Umfeld seiner Seele auf einer schamanischen Reise.

      Eigene Spuren kommen hinzu

      In dem Maß, wie die sorgfältige Erziehung des Mädchens in der Welt der Sinne und des Verstands zur Freude ihrer Eltern fruchtete, hinterließ das Kind nun auch zunehmend selbst ähnliche Spuren wie die vorgegebenen in seinem Seelenzimmer. Dabei diktierte in erster Linie der Verstand, der weder um die Existenz des Seelenraums wusste, noch ihm bekannt war, was er dort anstellte.

       Das Kind, das instinktiv fühlte, wie es seiner Seele mehr und mehr an Beweglichkeit fehlte, und dass diese kaum noch aufrecht stehen konnte, ohne sich an Stangen und Seile zu klammern, begann, selbst weitere Stützen und Hilfsmittel in dem immer enger werdenden Seelenraum unterzubringen.

       Als die junge Frau mit großen Ehrgeiz ihr Studium absolvierte, ersetzte sie die Eisenstange im Zentrum des Raums durch eine massive Säule. Als sie ihren begüterten und beruflich erfolgreichen Mann heiratete - eine Liebesheirat war es nicht - stellte sie eine zweite Säule neben die erste. Beide waren nur so weit voneinander entfernt, dass die junge Frau Sihet sich mit jeder Hand an eine davon klammern konnte. Als dritte Säule ganz in der Nähe ragte bald die kleine Boutique im Raum empor, die ihre Eltern und ihr Mann gemeinsam finanziert hatten.

      Das im Seelenzimmer installierte Geflecht vermag nicht, ein wirklicher Halt zu sein, im Gegenteil - es wird mehr und mehr zum bedrohlichen Dickicht.

      Die Katastrophe nimmt ihren Lauf

      Frau Sihet selbst verbot ihrer Seele hinfort, den engen Raum zwischen den drei Säulen zu verlassen. So musste sich die Seele auf einen kleinen Platz innerhalb des Zimmers zurückziehen und war hier gar nicht mehr in der Lage zu erkennen, dass die Zimmertür und der Weg ins Freie schon längst nicht mehr verschlossen waren.

       Frau Sihets Seele wurde immer unsicherer in ihrem Gefängnis. Sie hatte ohnedies niemals richtig laufen gelernt, und ein Rückgrat, das es ihr gestattet hätte, aus eigener Kraft aufrecht zu stehen, hatte sie auch nicht entwickelt. Als Ersatz diente das künstliche Außenskelett aus Seilen und Säulen, an das sie sich klammerte. Wenn sie auch nur für einen Augenblick losgelassen hätte, wäre sie gestürzt, schlimmstenfalls sogar zwischen die Säulen. Deshalb spannte sie straffe Seile von einem Träger