Himmel 4.0. Erik Händeler

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Название Himmel 4.0
Автор произведения Erik Händeler
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783961400232



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hineinwachsen. Auch die Arbeit von wenig Gebildeten wird in der digitalen Wirtschaft benötigt werden, und sei es, um die Hochqualifizierten bei Routinen zu entlasten.

      Da die Probleme immer komplexer werden, sind wir mehr denn je auf das Wissen anderer angewiesen. Mit den Schnittstellen zwischen den Fachleuten entstehen mehr offene Fragen – und daraus dann viel mehr Konflikte als früher, als klar war, wer was zu entscheiden hatte. Egoismus, Machtkämpfe, Blender und Seilschaftenwesen machen es dem sachlichen Argument des Allgemeinwohls schwer, gehört und offen diskutiert zu werden. Mehr Wohlstand wird es in der Wissensgesellschaft nur geben durch mehr Kooperation und mehr Transparenz, zwischen Ländern wie zwischen Firmen sowie innerhalb von Unternehmen.

      Während alle auf eine neue Technik warten, um die Wachstumskrise zu überwinden, geht es in der Informationsgesellschaft um Fortschritte im Umgang mit Wissen, um eine Kultur des Ringens für bessere Lösungen. Aus ökonomischen Gründen sind die Menschen viel stärker gezwungen, ihre Wahrnehmung zu überprüfen, die Vorstellungen anderer anzuhören, von ihrer eigenen Kostenstelle weg und vom Gesamtnutzen her zu denken. Daraus entsteht eine Streitkultur, die sich an den Bedürfnissen von Produktivität orientiert – wer sich nicht gut genug auseinandersetzt, hat die schlechteren Produkte, ist zu langsam oder zu wenig effizient.

      Universalethik auch ohne Gott

      Bei Vorträgen in Unternehmen und Wirtschaftsverbänden kann ich diesen Zusammenhang weltanschaulich neutral darstellen – es gibt klare Richtungen, wenn es darum geht, Wissen produktiv zwischen Menschen anzuwenden. Als katholisch geprägter Christ zerbreche ich mir hier vor allem den Kopf darüber, was dieser Strukturwandel für Weltanschauungen, speziell für Religion, Glaube und Kirche(n), bedeutet. Was Politik und Wirtschaft angeht, meine ich, dass die christlich geprägten Kulturräume Wohlstandsvorteile haben, weil die Ethik des Evangeliums sowohl den Einzelnen entfaltet als auch die Interessen zu anderen und zum Gemeinwohl ausbalanciert; ja dass genau nur diese Denkweise zu einer Gesellschaft führt, in der sich der Einzelne nach seinem Gewissen in Freiheit entfalten kann und so die maximalen Ressourcen nachhaltig erzeugt, die man braucht, um materielles Leiden geringzuhalten und Weiterentwicklung zu fördern.

      Davon sind wir im richtigen Leben weit entfernt: Die vielen Skandale – der Betrug um die Emissionen in der Autoindustrie, die Korruption bei der Fifa oder das Verschweigen von sexuellem Missbrauch, um die Institution zu schützen – zeigen, dass noch meist eine Ethik verbreitet ist, in der ein Einzelner seinen Nutzen optimiert oder man sich in Seilschaften organisiert, das Allgemeinwohl plündert und als Gruppe andere Gruppen bekämpft. Wohlstand ist in der Wissensgesellschaft aber nur möglich durch eine Universalethik, die über Gruppe und Individuum hinausweist. Dieser Zusammenhang kann für Atheisten, Agnostiker und für Andersgläubige ein interessanter Impuls sein: Auch Nichtgläubige finden die christliche Ethik einleuchtend und „nützlich“, selbst wenn sie mit einem personalen Gott nichts anfangen können. Wieso, fragte mich jemand bei einem Vortrag, solle man Universalethik mit dem Evangelium gleichsetzen? Schließlich hätte Immanuel Kant auch ohne Gottesbezug eine Universalethik formuliert.

      Ja, aber Kant hat das nicht erfunden, sondern „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“, die Goldene Regel aus dem Neuen Testament, säkularisiert. Den Atheisten und Agnostikern sei deshalb gesagt: Prima, wenn ihr ohne Gottesbezug eine Universalethik verfolgt. Das kommt eurem Umfeld zugute. Und ihr seid damit Gott näher als Gläubige, die individualistisch oder gruppenethisch denken: „Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters, denn ich war hungrig, und ihr gabt mir zu essen; ich war durstig, und ihr gabt mir zu trinken; ich wusste nicht, wo ich wohnen könnte, und ihr habt mir Unterkunft gewährt; ich war im Gefängnis, ich war krank, und ihr standet mir bei“ (Mt 25,34-36).

      Wer keine Ahnung hat, wann und wie er das hätte Gott angedeihen lassen, bekommt zur Antwort: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habet, das habt ihr mir getan.“ Wer liebt, kennt Gott; und wer nicht liebt, kennt Gott nicht. Wenn es also eines Glaubens an Gott gar nicht bedürfte, um „gut“ zu sein, wieso also reden vom Himmel 4.0? Weil zwar ein Gläubiger nicht automatisch ein besserer Mensch ist als ein Nicht-Gläubiger; er aber – verglichen mit sich selbst – mit hoher Wahrscheinlichkeit moralisch besser ist, wenn er (universalethisch) an Gott glaubt, als wenn er nicht glaubt.

      Denn das ist m. E. das Einzigartige des Christentums: Eine Liebesbeziehung zu Gott, die das Schlechte und den Tod überwindet, wenn wir uns frei entscheiden, auf seine Liebe mit unserem Leben zu antworten. Der ganze Schmutz und Ärger, die Schrammen und Beulen, die entstehen, wenn man so durch das Leben geht, dass man dabei versucht, die Welt mitzugestalten, sich dabei irrt, falsch wahrnimmt, in Konflikt mit den Interessen anderer gerät, die mal ehrenhafter sind und mal weniger – das alles macht nichts. Denn da ist kein schlechtes Karma, das man abarbeiten muss; es gibt Vergebung dessen, was einen an eigenen Fehltritten und Denken belastet; Heilung von Schmerz; und die Gnade, beschenkt zu werden.

      Ein Gott, der einem in Augenhöhe begegnet – die Ethik folgt dann erst daraus. Ein Shaolin-Trainer meinte mal in einem Management-Seminar, wir sollten nicht bewerten; ich entgegnete, dann fehle ja die Orientierung. Wenn einer den anderen wegmobbe, müsse ich mich doch schon aus Firmeninteresse einmischen; worauf er antwortete, das gehe mich nichts an. Ob man an Karma glaubt oder an Vergebung und Gnade, das wirkt sich auf das Verhalten der Mitarbeiter im Unternehmen aus und damit auf die zur Verfügung stehenden Ressourcen.

      An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen

      Für mich überraschend runzeln aber gerade kirchlich Engagierte die Stirn bei dem Zusammenhang von Glauben und Wirtschaft: Bisher haben sie Wirtschaftsthemen nur als etwas „Böses“ – etwa Ausbeutung und Umverteilung –, zumindest als moralisch fragwürdig wahrgenommen: Aha, religiöse Ethik sei gut für den Wohlstand, aber es könne doch nicht darum gehen, Glauben für mehr wirtschaftlichen Erfolg zu vernützlichen – für Gläubige geht es um das Seelenheil oder um die persönliche Gottesbeziehung, aber doch nicht um innerweltlichen Erfolg! Natürlich nicht: Die Welt hier ist aber eine Vorbereitung auf das ewige Leben. Es geht in der Neugestaltung durch die Wissensgesellschaft nicht um eine sozio-ökonomische Notwendigkeit, aus Vernunftgründen auf „christliche Werte“ zurückzugreifen. Sondern das Verhalten in den neuen Strukturen wird ein Prüfstein unserer Glaubwürdigkeit als Kirche und als einzelne Christen, ob und wie wir mit unserem Leben und Verhalten im Alltag „das Evangelium verkünden“. Es ist eine Bewährung, in der der Mensch sowohl lernt als auch sein Innerstes nach außen kehrt – „an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“. Und das „Reich Gottes“ mag zwar nicht von dieser Welt sein, es beginnt aber schon hier, wenn Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist herrschen. Und das sicher nicht im Hinterzimmer, unabhängig von dem, was auf der Straße passiert, losgelöst vom realen Alltag!

      Wer beruflich Wissen anwendet, gerät nun unter die Notwendigkeit, mehr als früher mit anderen zu kooperieren. Werte werden neu verhandelt – sind die neuen Organisations- und Verhaltensmuster der Wissensgesellschaft also die große Chance, das Evangelium in die Welt zu tragen? Wäre die ganze Kette an Menschen und Ereignissen der vergangenen 2000 Jahre eine Entwicklung hin zur (Ge-) Wissensgesellschaft, in der sich für die meisten Menschen erst das entfalten kann, was das Evangelium ausmacht?

      Wenn der Sinn dieses Lebens ist, sich in Freiheit für das Gute (oder dagegen) zu entscheiden – schließlich ist das Himmelreich keine Zwangsheirat –, was ist dann das politische Ziel des Christentums? Das müsste eine Gesellschaft sein, in der jeder Mensch den Freiraum und die Bildung bekommt, sich nach seinen Gaben zu entfalten; eine Welt, in der das Leiden an Hunger, Krankheit, Perspektivlosigkeit verringert wird nach allem Menschenmöglichen; in der er lernen kann, sich über die eigene Person hinaus anzustrengen für die anderen. Wann wäre das bisher für breite Schichten der Bevölkerung möglich gewesen, wenn nicht jetzt, im Zeitalter der Information? Im nötigen Austausch mit Wissen, also in der konfliktreichen Zusammenarbeit mit anderen Wissensarbeitern, zeigt sich erst, welchen tatsächlichen Horizont jemand hat, wie weit der Horizont seines Nutzens ist, den er spannt.

      Ach ja, bleibt neben den „richtigen“ Glaubensthemen auch noch der Auftrag, die Welt zu gestalten. Wer das Leiden und die Instabilität am Ende der Industriegesellschaft verringern will, der sollte den Strukturwandel hin zur Wissensgesellschaft vorantreiben (s. Abschn. Von einem