Название | Im Januar trug Natasha Rot |
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Автор произведения | Manfred Eisner |
Жанр | Триллеры |
Серия | |
Издательство | Триллеры |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783960085959 |
„Hat jemand irgendeine Ahnung, wo Thomas steckt?“ Heinz Westphal posaunt die Frage in das Großraumbüro seiner Kanzlei. Die Köpfe der Angestellten richten sich automatisch auf den unbesetzten Schreibtisch. „Es ist schon elf Uhr und er ist immer noch nicht erschienen.“
„Ich rufe bei ihm zu Hause an, Papa“, volontiert Melanie.
„Das habe ich schon mehrmals versucht, auch auf seinem Handy antwortet nur die lapidare Mailboxstimme, der Teilnehmer sei zurzeit nicht erreichbar.“
„Es wird ihm doch nichts passiert sein?“ Melanie geht an Thomas’ Schreibtisch und sieht in seinem Terminkalender nach. Unter dem bereits abgelaufenen Jahresplaner findet sie den für das neu angefangene Jahr. Nur eine Eintragung befindet sich auf dem Blatt für die erste Kalenderwoche: „Termin mit N. M.“ Dies erinnert Melanie an ihr Gespräch mit Thomas von vor etwa zwei Wochen. Sie nimmt den Kalender mit ins Büro des Vaters und schließt die Tür hinter sich. Dann berichtet sie ihm über das Gespräch.
„Eigenartig, mir gegenüber hat er nichts von etwaigen Zweifeln in Bezug auf die Tiedemann Gruppe erwähnt“, wundert sich Ernst Westphal.
„Na ja, er wollte wohl erst Gewissheit haben, bevor er dich in Alarm versetzt, Papa.“
„Hat er dir gegenüber verlauten lassen, um was es sich genau handelt?“, will er wissen.
„Nein, er nannte keine Details, nur dass ihm einige Geldbewegungen mit gewissen Partnern nicht ganz koscher vorkämen. Ich riet ihm, Nili ins Vertrauen zu ziehen und mit ihr zu bereden, ob sie beim LKA vielleicht etwas Näheres wissen.“
„Das war ein bisschen naiv von dir, meine Liebe. Selbst wenn, dürften sie es doch gar nicht an Dritte preisgeben. Und übrigens weißt du doch genau, dass wir über alles, was unsere Mandanten betrifft, absolute Schweigepflicht zu wahren haben, auch gegenüber den Behörden. Selbst wenn darunter irgendetwas Illegales wäre, dürften wir dies nur auf richterliche Anordnung preisgeben. Also, was sollte das Ganze?“
„Offensichtlich hat Thomas vorgehabt, Nili zu kontaktieren, so interpretiere ich wenigstens diese Notiz in seinem Kalender.“ Sie deutet auf den Termin. „Ich könnte sie heute Abend mal fragen, wenn sie nach Hause kommt, was meinst du?“
„In Ordnung, Melanie, versuch dein Glück, aber sei bitte sehr vorsichtig mit dem, was du ihr erzählst. Sie ist immerhin Polizistin, vergiss das nicht!“
Nilis direkter Vorgesetzter, Kriminaloberrat Andreas Heidenreich, Leiter des Dezernats 21 des LKA und zuständig für Bekämpfung der Organisierten und Rauschgiftkriminalität, hält mit seinen Mitarbeitern das erste Jahresgespräch in seinem Arbeitszimmer ab. Er lobt die gesamte Abteilung für die im letzten Jahr erzielten Erfolge und verliest eine Belobigungsliste jener Mitarbeiter, die sich dabei besonders verdient gemacht haben. Dann gibt er bekannt, dass Hauptkommissar Dr. Walter Mohr zum Vize-Dezernatsleiter ernannt und gleichzeitig zum Ersten Kriminalhauptkommissar befördert wird, wobei er zunächst die Leitung der Kieler Drogenfahndung weiterführen soll, bis ein geeigneter Nachfolger aus seiner Truppe diese Stelle übernimmt. Diese Ankündigung wird von der gesamten Mannschaft mit begeisterter Ovation aufgenommen, denn Waldi ist ein rundum hoch angesehener und beliebter Kollege im Dezernat, der seine besonderen Führungsqualitäten bereits des Öfteren unter Beweis gestellt hat. Dennoch, niemand in der Gruppe freut sich insgeheim über die Beförderung des Geliebten mehr als Nili, deren Gefühle sie jedoch bisweilen für sich behalten muss. Beide haben vereinbart, vorerst niemanden im LKA über ihre neue und enge Beziehung ins Vertrauen zu ziehen. Sie ist auch schon deshalb keineswegs enttäuscht oder gar missgelaunt, als der Chef – nach besonderer Eloge ihrer bisherigen erfolgreichen Tätigkeit im Dezernat und ihres fabelhaften Einsatzes in Sachen Nachforschung des Kokainschmuggels – ihr mitteilt, dass sie aus organisatorischen Gründen bis auf Weiteres in das benachbarte Dezernat 22 versetzt wird, um sich dort vorwiegend um die Wirtschaftskriminalität zu kümmern. Diese Ankündigung mindert ihre Freude über Waldis Beförderung nicht im Geringsten. Ist eigentlich ganz recht so, denkt sie im Stillen. Enge Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen sind zumeist unpassend und verursachen nur Neid und Missverständnisse unter den Kollegen. Als wenig später Waldis und ihr Blick sich begegnen, nickt sie ihm, von den anderen völlig unbemerkt, nur kurz zu. Als die Sitzung beendet ist, geht Nili zu Kriminaloberrat Heidenreich, um zu fragen, wie es nun mit ihr weitergehen soll.
„Ja, liebe Frau Masal, tut mir leid, dass wir Ihre Angelegenheit nicht vorab persönlich besprechen konnten, ich hoffe, ich habe Sie damit nicht überrumpelt. Mein Kollege, Kriminaloberrat Friedrichs, bat mich eindringlich um diese ‚Leihgabe‘, er benötigt dringend Personalverstärkung, denn die zu bearbeitenden Fälle türmen sich dort angeblich bereits in bedenklicher Höhe und an neue Planstellen, na Sie wissen ja, ist zurzeit überhaupt nicht zu denken. Ich hoffe sehr, Sie nehmen mir das nicht übel, liebe Kollegin Masal.“
„Keineswegs, Herr Kriminaloberrat. Obwohl ich wirklich gern in Ihrem Dezernat tätig war, habe ich für diese Maßnahme Verständnis. Nur bitte ich Sie, dass sie tatsächlich vorübergehend ist, denn eine Arbeit nur am Schreibtisch ist nicht das, was ich mir beim LKA erträumt hatte.“
„Weiß ich doch, Frau Masal, weiß ich doch! Haben Sie ja während der letzten Monate eindeutig bewiesen!“
Zurück im bisherigen Arbeitszimmer, packt Nili ihre persönliche Habe in eine Plastik-Obststeige und winkt ihren Kollegen beim Hinausgehen ein wenig wehmütig zu.
„Hals- und Beinbruch, Nili, wir werden dich vermissen!“, ruft ihr Hannes Paulsen zu.
„Wird schon schiefgehen, Hannes, bin ja auch nicht aus dieser Welt, oder?“ Als sie durch die Tür gehen will, begegnet sie Waldi. „Herzlichen Glückwunsch zur wohlverdienten Beförderung, Herr Erster Kriminalkommissar. Ziehst du auch um, Waldi?“
„Nein, Nili, vorerst bleibe ich noch im Drogendezernat. Wünsch dir alles Gute bei der 22. Hoffentlich knackst du ebenso viele Wirtschaftsdelinquenten wie hier Drogenmafiosi!“
„Danke, Waldi!“
Draußen vor der Tür murmelt er leise: „Heute Abend bei dir?“
Nili nickt und wirft ihm ein Küsschen in der Luft zu. Dann geht sie mit gemischten Gefühlen hinüber zu ihrem neuen Arbeitsgebiet.
Mit Neugier mustert Nili ihren neuen Vorgesetzten. Kriminaloberrat Hajo Friedrichs ist ein etwas blasser und asketisch wirkender Fünfziger, gut gekleidet mit blauweiß gestreiftem Hemd, blauer DGzRS-Krawatte, Jeans und Blazer. Sein etwas schütteres, ergrautes Haar ist von einem akkurat auf der linken Seite des Schädels gezogenen Scheitel durchtrennt. Mit den stahlgrauen Augen erforscht auch er durch seine Nickelbrille seine neue Mitarbeiterin. „Na denn, herzlich willkommen bei uns, Frau Hauptkommissarin Masal. Die Berichte über Ihre Tüchtigkeit und Einsatzfreude eilen Ihnen voraus, also bin ich mir sicher, dass ich auch hier auf Ihren vollen Einsatz hoffen darf.“
„Selbstverständlich, Herr Kriminaloberrat. Ich muss mich natürlich erst einmal in diese für mich ganz neue Materie einarbeiten. Mit Wirtschaft hatte ich bisher wenig oder besser gesagt gar nichts zu tun.“
„Ich zweifle nicht daran, dass Ihre Intelligenz und Ihr besonders ausgeprägtes Einfühlungsvermögen Ihnen dabei eine wertvolle Hilfe sein werden. Ich begleite Sie also jetzt zu Ihrem neuen Arbeitsplatz.“
Sie gehen den langen Gang entlang. Dann öffnet Friedrichs eine Tür und lässt Nili den Vortritt. „Guten Morgen!“, grüßt er in den Raum hinein. „Darf ich vorstellen? Dies ist unsere neue Mitarbeiterin, Hauptkommissarin Nili Masal.“ Zu Nili gewandt fährt er fort: „Sie arbeiten hier erst einmal mit Oberkommissarin Anne Engel zusammen. Sie verfügt über große Erfahrung auf diesem Gebiet und wird Sie einweisen. Ihr bisheriger Partner, Oberkommissar Wenzel, verstarb leider vor zwei Monaten an einem Krebsleiden. Also, an die Arbeit, meine Damen, und viel Erfolg!“
Nili geht auf die neue Kollegin zu und sie begrüßen einander. Anne Engel ist eine hübsche junge blonde und blauäugige Frau, mittelgroß, schlank und mit rosa Pulli und blauem Faltenrock gekleidet. „Na denn, herzlich willkommen, Frau Hauptkommissarin!“