Im Januar trug Natasha Rot. Manfred Eisner

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Название Im Januar trug Natasha Rot
Автор произведения Manfred Eisner
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783960085959



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sei. Thomas rief Nili dann auch an, nannte jedoch keine näheren Details. Sie vereinbarten, noch ohne einen genauen Termin festzulegen, ein persönliches Treffen im nahenden Januar.

      Ein wenig verstimmt wegen seines bisherigen Misserfolges bei den Bemühungen um Herstellung des begehrten weiblichen Kontakts geht Thomas an die Bar und bestellt einen Gin Tonic. Da er dem Saal den Rücken kehrt, bemerkt er nicht den Typen mit finsterer Visage, der dem Mixer mit erhobenem Finger ein Signal gibt. Thomas fällt im Spiegel nur eine plötzliche Handbewegung auf, aber als er sich neugierig umdreht, hat sich die Figur bereits abgewendet und ihm den Rücken zugewandt, dann verschwindet der Mann auch gleich inmitten der tanzenden Menschenmenge. Gerade die notwendige Zeit, die der Barkeeper braucht, um die K. O.-Tropfen in Thomas’ Gin Tonic einzuträufeln.

       *

      Die Erwachsenen stehen in der mit wenigen Kerzen nur schwach beleuchteten „guten Stube“ des Holstenhofes mit einem Sektkelch in der Hand; die Gläser der Kinder sind mit perlender Apfelschorle gefüllt. Gebannt richten sich alle Blicke auf den neuen HD-Flachbildfernseher, das Weihnachtsgeschenk für Hausherrn Oliver. Laut zählen alle gemeinsam mit dem ZDF-Moderatorenpaar den Countdown der letzten Sekunden des Jahres herunter: „Vier, drei, zwei, eins! Ein glückliches neues Jahr!“ Kirchenglocken läuten, Feuerwerksraketen zischen bunt leuchtend und krachend über den Bildschirmhimmel, die Big Band des Senders wird vom Jubel und Trubel der sich überschwänglich umarmenden und laut gratulierenden Menschenmenge übertönt. Auch die gesamte Familie Keller prostet sich zu, man umarmt und küsst sich, wünscht sich alles, alles Gute, Gesundheit und was auch immer dazu! Dann ist es so weit und Madden mit Tochter Annette und Schwiegertochter Corinna sowie Nili bringen die ersten Tabletts mit den heiß begehrten, verlockend duftenden Teigtaschen herein, die im Nu ihre gierigen Abnehmer finden. „Vorsichtig, scharf und heiß! Beim Hineinbeißen immer schön hochhalten, sonst …!“, mahnt Oma Clarissa, aber da ist es schon passiert. Allzu hastig beißt Nesthäkchen Oskar in das knusprige Teigwerk, dessen saftige Füllung sich explosionsartig auf Hemd, Hose und Teppich ergießt. Flink greift Nili zum Küchentuch, mit dem sie sich bislang vor der Hitze des Serviertabletts geschützt hat, und wischt das Gröbste vom Teppich, bevor die scharfe Chilisoße darin eindringen kann. Vergnügt zieht der älteste Sohn, Hans-Peter, den Jüngsten leicht am Ohr, wischt mit einer Serviette die Reste von dessen Hemd und Hose und begleitet ihn dann zur Tür. „Na denn, mien Bruderherz, dann geih man no boven un’ treck di ne schiere Büchs an!“ Der Rest der Familie lässt sich trotz des kleinen Zwischenfalls nicht vom Verzehr der leckeren Salteñas abhalten und allzu rasch sind die großen Platten leer gefegt. „Keine Sorge“, tröstet Madden die Familie, indem sie das leere Geschirr mit in die Küche nimmt, „die nächste Partie ist schon im Backofen!“ Inzwischen haben Oliver und Enkel Stefan eifrig den Schankdienst am Bierfässchen übernommen, um die arg brennenden Gaumen der Essenden ein wenig abzukühlen.

      Kaum eine Viertelstunde nach Mitternacht ist vergangen, da strömen schon die Nachbarn und nahen Freunde herein, weil, wie bereits gesagt, der Ruhm des scharfen Gebäcks in Oldenmoor die Runde gemacht hat. Nili, Abuelita Clarissa sowie ihre Mutter Lissy haben nun den ständigen Küchen- beziehungsweise Backofendienst übernommen, um all die danach lechzenden Mäuler zu befriedigen. Fast zweihundert Salteñas hatten sie vorbereitet und der Vorrat schwindet zusehends. „Gut, dass ich noch etwas Teig und Füllung zurückbehalten habe“, verkündet Lissy, „denn ich will der treuen Familie Siemsen auf meinem Eulenhof auch noch einige Salteñas zukommen lassen.“

      „Warum sind sie denn nicht hier?“, fragt Nili verwundert, denn Mutters wackere Helfer auf ihrem Geflügelhof waren bei den vorherigen Silvesterfeiern immer anwesend.

      „Sie liegen allesamt seit gestern mit einer Magengrippe im Bett, die Armen hat’s ganz schön erwischt!“

      „Ima, und du meinst wirklich“, zweifelt Nili, „dass sie dann morgen schon so etwas Scharfes vertragen werden?“

      In diesem Moment vernehmen sie ein lautes Hupen draußen vor dem Hause.

      „Wer mag das sein?“, fragt Lissy.

      „Keine Ahnung, Ima“, antwortet Nili und öffnet die Backofentür, die nächste Partie Salteñas duftet ihr mit heißem Hauch entgegen. Sie zieht die dicken Backhandschuhe über und trägt die drei Bleche zum Küchentisch. Mutter, Tochter und Enkelin belegen erneut die Serviertabletts mit den Köstlichkeiten.

      Lautlos schleichen sich indessen unbemerkt zwei Gestalten durch die Küchentür. „Ein glückliches neues Jahr!“, tönt es unisono hinterrücks. Völlig überraschend stehen Kitt Harmsen und Walter Mohr den drei Küchenfeen gegenüber.

      „Aber wie …“, entfährt es Nili und ihr schießen Freudentränen in die Augen, als sie ihren geliebten Waldi umarmt und ihn anschließend leidenschaftlich küsst. Erst als sie sich von der anfänglichen Freude erholt hat, begrüßt sie ihre vormalige Abenteuerpartnerin Kitt. „Abuelita und Ima, ihr habt ja Kitt und Hauptkommissar Walter Mohr auf dem Flughafen in Hamburg kennengelernt, nicht wahr?“, stammelt sie dann mit hochrotem Kopf. Nach ihrer ersten Verwirrung begrüßen Clarissa und Lissy ebenfalls die Überraschungsgäste. Dann bringen sie gemeinsam den sehnlich erwarteten Nachschub in die Stube, wo sie mit lautem Hallo freudig empfangen werden. „Für alle, die unsere neuen Gäste noch nicht kennen“, verkündet Nili, nachdem sie sich mit lautem Löffelklappern an einem Bierglas bemerkbar gemacht hat und etwas Ruhe eingetreten ist, „dürft ihr hier meine Reisegefährtin Kathja Harmsen, genannt Kitt, und meinen Kollegen und lieben Freund Waldi, den Hauptkommissar Walter Mohr, begrüßen. Ich freue mich riesig, dass ihr es geschafft habt und hier seid! Herzlichst willkommen, ihr Lieben!“

      „Danke, liebe Nili, aber du glaubst doch nicht, dass ich mir eure köstlichen Salteñas hätte entgehen lassen, oder?“, erwidert Kitt. „Wie hieß noch mal der Zigaretten-Werbeslogan? Hierfür gehe ich auch meilenweit!“

      Wie gut, dass das alte Gutshaus des Holstenhofes so viele Zimmer hat. Gegen vier Uhr in der Früh sind alle Gäste gegangen, das heißt, bis auf die letzten zwei. Die jüngsten Hausbewohner müssen allerdings heute Nacht wohl oder übel zusammenrücken und ihre Zimmer für Oma Clarissa und Lissy sowie für Annette und Kitt, freimachen. Sehr gern teilt sich Nili mit ihrem Waldi das Gästezimmer. Trotz der vielen vorangegangenen Anstrengungen des Tages und der vorgerückten Morgenstunde lieben sich die beiden leidenschaftlich, bevor sie der Schlaf völlig entkräftet, aber hochbeglückt in das Land der Träume davonträgt.

      „Prost Neujahr!“ Nach und nach finden sich gegen Mittag die Familienmitglieder in der geräumigen Wohnküche des Holstenhofes zur Einnahme des Frühstücks ein. Sie haben mehr oder weniger ausgeschlafen, nur Lissy Masal hat sich bereits gegen sieben Uhr auf den Weg zu ihrem Eulenhof gemacht, denn die Hühner verlangen ihr Recht und alle Mitglieder der Siemsenfamilie, die sonst das liebe Federvieh versorgen und hegen, liegen krank im Bett. Sämtliche Spuren des bis in die frühen Morgenstunden andauernden Silvestertrubels sind verschwunden, denn Annette, Kitt und Corinna sind noch vor dem Zubettgehen der Hausherrin Madde fleißig zur Hand gegangen und alles in der Küche und in den Schränken steht wieder an seinem angestammten Platz. Oliver und sein Ältester, Hans-Peter, die ebenfalls um fünf Uhr in der Früh aufgestanden sind und mit der Hilfe von Stefan und Carola ihre siebzig Kühe im Stall gemolken haben, übernehmen heute Vormittag den Kombüsendienst, um das Frühstück für die Familie vorzubereiten. Es entpuppt sich wohl eher als ein „Frühmittag“, wie Oliver es bezeichnet, denn Neoanglizismen wie „Brunch“ und Co. sind ihm verhasst, solange es für irgendetwas ein passendes deutsches Wort gibt. „War wirklich wieder eine gelungene Feier“, sinniert er, als er sich an den Tisch setzt, wo die anderen Familienmitglieder sich über die aufgekrossten Brötchen, den Schinkenspeck und gegrillte Würstchen mit Spiegel- oder Rührei sowie den Milchkaffee hermachen.

      „Wie geht’s dir denn in Berlin, Annette?“, will ihr kleiner Bruder Oskar wissen.

      „Bist ganz schön gewachsen, seit ich dich zuletzt gesehen habe, mein lieber Oskar!“, antwortet sie ausweichend. Oskar aber lässt sich nicht abwimmeln: „Bist du noch immer an der Kunsthochschule?“

      „Nein“, antwortet sie, „da bin ich nicht weitergekommen, ich arbeite jetzt als Outlinerin in einer Werbeagentur.“