Kleider find’ ich doof. Anke Kuhlmann

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Название Kleider find’ ich doof
Автор произведения Anke Kuhlmann
Жанр Современная зарубежная литература
Серия
Издательство Современная зарубежная литература
Год выпуска 0
isbn 9783960083061



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anschieben. Du brauchst nur zu lenken. Vorher muss ich aber die Kamera noch auf das Stativ stellen, sodass sie alles aufnehmen kann.“ Er justierte sie ein und drückte wieder den Aufnahmeknopf. „So es kann losgehen.“

      Wieder schob ich mein Rad in die Ausgangsposition und stellte meinen rechten Fuß auf das Pedal. „Okay Papa, ich bin soweit.“

      Er griff an den Gepäckträger und schob das Rad an. „Stoß dich ab und setz dich auf den Sattel!“, rief er hinter mir herlaufend, noch immer das Rad von hinten schiebend.

      Ich holte Schwung und saß auf dem Sattel. Die Füße hielt ich unsicher auf den Pedalen. Ab und zu rutschte ich ab und trat ins Leere.

      „Der Sattel ist zu hoch!“, warf ich noch ein, doch dann rollte ich los.

      „Du musst mittreten!“, hörte ich es hinter mir keuchen. „Ich lass jetzt los.“

      „Nein, Papa, nicht loslassen!“ Ich wollte mich zu ihm umdrehen, als ich beinahe die Kontrolle verlor und einen Schlenker machte.

      „Schau nach vorn und tritt die Pedalen durch. Und das Lenken nicht vergessen!“

      Unsicher fuhr ich in Schlangenlinien. Die Schlaglöcher, denen ich ausweichen wollte, erschwerten meine ersten Fahrversuche.

      Papa sah mir hinterher und fragte sich zweifelnd, ob ich es schaffen würde, das Gleichgewicht zu halten. Schnell ging er zur Kamera und kontrollierte die Einstellungen.

      Ich hielt krampfhaft den Lenker fest und versuchte unsicher, in der Spur zu bleiben.

      „Treten! Vergiss das Treten nicht!“, rief er mir aufmunternd zu und nahm die Kamera zum Filmen wieder in die Hand.

      „Ich will nicht mehr!“, schrie ich ihm zu. „Hilfe, ich will nicht mehr! Papaaaaa!“

      „Immer weiter treten. Es kann gar nichts passieren.“ Langsam folgte er mir im Sucher.

      „Ich will hier runter, Papa!“

      Wut stieg in mir auf. Worauf hatte ich mich nur eingelassen. Ich schaute auf die Pedalen. Das schlimmste daran ist, dass Papa alles filmt, dachte ich bei mir.

      „Den Kopf nach oben und lenken, Biggi, lenken!“ Er hielt die Kamera in meine Richtung und blickte, während der Aufnahme außen vorbei.

      Ich guckte kurz nach oben und fuhr eine große Kurve.

      „Na also, es geht doch“, sprach er vor sich her und schaute wieder in den Sucher.

      „Papa, lass mich hier runter. Ich will nicht mehr, Papaaa!“, brüllte ich wütend.

      „Willst du die ganze Stadt auf dich aufmerksam machen?“, fragte er als ich an ihm vorbeifuhr.

      „Das ist mir egal und außerdem ist doch niemand hier“, erwiderte ich noch immer voller Rage.

      „Noch nicht, aber wenn du so weitermachst …“, Papa überlegte schnell wie er den Satz zu Ende bringen konnte, „ … dann, dann werden sie gleich alle aus den Fenstern schauen.“

      „Hilfeeeeee!“ Mein Schrei ging ihm durch Mark und Bein.

      „Nun mach doch nicht so ein Theater“, versuchte er mich zu beruhigen und schaute sich peinlich berührt um.

      Inzwischen sahen einige Nachbarn aus dem Fenster. Sie waren durch die lauten Rufe aufmerksam geworden und wollten nachsehen, was vor ihrem Haus vor sich ging.

      Papa machte eine Handbewegung, die so viel bedeuten sollte, dass alles in Ordnung sei.

      „Es ist meine Tochter. Sie lernt Fahrradfahren“, fügte er hinzu und wandte sich mir wieder zu, während ich unentwegt laut schreiend meine Runden drehte.

      „Was du nur hast, es klappt doch prima“, rief er mir zu, als ich wieder an ihm vorbei fuhr.

      „Paaapaaa! Ich will nicht mehr. Maaamaaa, hilf mir doch!“

      Die Nachbarn beobachteten zum Teil kopfschüttelnd das Treiben auf dem Parkplatz vor ihrem Haus. Andere schauten mitleidig, während wieder andere vor sich her schmunzelten.

      „Na los ein paar Runden noch. Das machst du sehr gut“, ermunterte mich Papa, als ich an ihm vorbeikam.

      „Wie komme ich denn hier runter? Ich will nicht mehr. Papaaa!“

      Er amüsierte sich, ließ mich aber keinen Augenblick unbeobachtet.

      „Paapaa, bitte, ich will anhalten!“

      Mein Gesicht war puterrot. Die Tränen rollten mir über die Wangen. Schließlich entschloss er sich nun doch, das Treiben zu beenden. Er schaltete die Kamera aus, hing sie sich über die Schulter und griff nach dem Rad. Ich spürte einen kleinen Ruck und ließ mich zur Seite direkt in Papas Arme fallen. Ich schluchzte unaufhörlich, stieß das Rad unsanft von mir und machte mich wutentbrannt auf den Heimweg. Das Fahrrad war mir egal, Papa war mir egal, die Nachbarn waren mir egal – alles war mir egal. Nur eines dachte ich: Hoffentlich hatten das alles meine Freunde nicht mitbekommen. Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken. Ich wollte nur schnell nach Hause. Papa hob das Rad auf und folgte mir schmunzelnd.

      „Scheiß Fahrrad“, fluchte ich leise und wischte mir mit dem Handrücken über das Gesicht.

      „Na, hat es mit dem Fahren geklappt?“, fragte Herr Burgner interessiert, als er mir entgegen kam.

      Ich schaute kurz zu ihm auf und winkte resigniert ab, antwortete aber nicht.

      Herr Burgner wohnte bei uns im Aufgang. Ob er mich wohl beobachtet hatte, dachte ich noch ungläubig und sah, wie er mir zuzwinkerte. Ja, er hatte mich bei meinen Fahrversuchen gesehen.

      „Mach dir nichts draus“, kam es tröstend zurück „Uwe hat sich auch nicht besser angestellt und heute fährt er wie ein Radrenner. Da muss ich ihn bremsen.“

      Uwe war der Sohn von Herrn Burgner und zwei Jahre älter als ich. Was aber viel schlimmer war, er war einer meiner Freunde und würde von alledem erfahren.

      „Ich will gar nicht fahren. Fahrradfahren ist doof.“

      „Na, na, das wird schon wieder“, meinte er aufmunternd, bevor er seinen Weg fortsetzte.

      Kurz darauf traf er auf Papa, der mein Fahrrad neben sich her schob.

      „Tja, das sind die Sorgen der Väter“, meinte Herr Burgner und schmunzelte.

      „Wenn sie sich erst beruhigt hat, versuchen wir es noch mal“, erwiderte er daraufhin. „Bei unserem Sohn hat es ja auch geklappt.“

      Herr Burgner nickte. „Auf jeden Fall hat eure Tochter eine kräftige Stimme. Und die Vorstellung heute war bühnenreif. Vielleicht solltet ihr damit auftreten?!“

      „Ach, besser nicht“, schüttelte Papa den Kopf, bevor er einen Moment überlegte und schmunzelnd hinzufügte: „Obwohl – der Film ist im Kasten. Ich habe ihren Auftritt mit der Videokamera festgehalten. Eigentlich sollte es eine schöne Erinnerung an ihren Geburtstag werden. Nun ist es wohl eher ein Beweisstück, sonst glaubt sie uns das Schauspiel in zehn Jahren nicht mehr. Ich bin gespannt, was sie dann dazu sagen wird.“

      Er wies auf die Kamera.

      Herr Burgner nickte zustimmend. „Unser Uwe war nicht ganz so massenwirksam, aber anstrengend war es auch – für ihn und für mich.“

      Die Männer verabschiedeten sich und Papa beeilte sich, mir zu folgen.

      „Na, hast du schon genug?“, fragte mich Benni ironisch.

      „Ich will meinen Roller wiederhaben.“ Ich baute mich vor Mama auf. „Papa hat alles gefilmt“, sagte ich vorwurfsvoll und suchte bei ihr nach Trost.

      „Das ist doch nicht schlimm. Jeder fängt mal klein an“, meinte sie besänftigend und strich mir über den Kopf.

      Inzwischen war Papa eingetroffen. „Ich habe schon