Froststurm. Jan-Tobias Kitzel

Читать онлайн.
Название Froststurm
Автор произведения Jan-Tobias Kitzel
Жанр Научная фантастика
Серия
Издательство Научная фантастика
Год выпуска 0
isbn 9783957770615



Скачать книгу

für einen Sekundenbruchteil.

      Sebastian schüttelte den Kopf. »Entschuldigen Sie bitte, ich habe den letzten Teil nicht mitbekommen.«

      Der untersetzte Italiener Di Matteo lachte auf, ging um den Labortisch, der reich gefüllt war mit Reagenzgläsern unterschiedlichsten Inhalts, und schlug Sebastian freundlich auf die Schulter, wobei sein drittes Kinn im Takt mit seinem zweiten wabbelte.

      »Keine Sorge, es war nichts Wichtiges. Sie sehen eh sehr müde aus.«

      »Nichts Wichtiges?«, ereiferte sich Frau Heiderlein, der ihr weißer Kittel viel zu groß war. Kein Wunder, bei fast bulimischen Körpermaßen war selbst eine Wurstpelle zu weit. Dazu noch die strohig-blonden Haare und das kantige Mittfünfziger-Gesicht und Sebastian konnte nur zu gut verstehen, dass hinter ihrem Rücken diverse Bezeichnungen die Runde machten. Mit der aktuellen, »Hungerhaken«, war sie noch gut bedient. Ihr Mangel an Humor tat ein Übriges. Aber sie war eine brillante Chemikerin, daher hatte er sich diesem Team angeschlossen. Die Führung ließ den Forschern alle Freiheiten, sich zusammenzuschließen oder allein zu forschen, jeder wie er mochte. Es waren einfach zu viele Freigeister unter einem verdammt dicken Dach versammelt, jeder Zwang wäre da kontraproduktiv gewesen. Wenigstens war der ewig kalauernde Izniv, der die meist schweinischen Witze mit seinem russischen Akzent nicht wirklich besser machte, heute nicht mit von der Partie. Sonst hätte sich Sebastian längst die Kugel gegeben.

      »Ach, lassen Sie es doch gut sein, meine Beste!«, beschwichtigte Di Matteo und schob sich einen weiteren Schokoriegel in den Mund, nur um ausgerechnet Hungerhaken auch einen anzubieten, die ihn anschaute, als ob er ihr vorgeschlagen hätte, sich augenblicklich auszuziehen und es mit ihm auf dem Boden des gläsernen Labors zu treiben.

      Sebastian grinste, versteckte es schnell hinter der Hand und ließ es in ein Gähnen übergehen, als Heiderlein auch ihm einen bösen Blick zuwarf.

      »Also, wo waren wir stehengeblieben?« Sebastian ging zum nächsten der reichhaltig im Raum verteilten Terminals hinüber, zog sich einen Hocker heran und rief das Berechnungsprogramm auf, an dem sie gemeinsam arbeiteten. Das Klima war derart kompliziert, dass eine Berechnung verschiedener Einflussfaktoren ohne Computer völlig unmöglich war. Und zudem basierte das Modell auf seinen Entwürfen, was ihn etwas stolz machte.

      Der Italiener walzte von hinten heran und trotz der Größe des Labors, dem gläsernen Kasten in der Haupthalle der Anlage, fühlte sich Sebastian beengt.

      »Unsere werte Kollegin hier hatte gerade eingeworfen, dass Ihr Modell bisher die Auswirkungen der Meeresströmungen auf das Klima nicht ausreichend berücksichtigen würde.«

      Sebastian drehte sich auf dem Hocker um und erschrak fast. Heiderlein war nahezu lautlos direkt hinter ihn getreten und machte nun erschrocken einen kleinen Satz zurück, nur um ausgerechnet ihn danach tadelnd anzuschauen. Er nickte ihr zu. »Da haben Sie Recht. Das ist noch ein Schwachpunkt.« Das Grinsen, dass nun auf Hungerhakens Gesicht erschien, erinnerte mehr an einen Hai als an eine Frau und Sebastian beeilte sich, sich wieder zum Terminal umzudrehen.

      »Gut, dann wollen wir mal die zusätzlichen Daten einpflegen«, sagte er mehr zu sich und machte sich an die Arbeit. Das konnte dauern.

      Dreißig silberne Bytes für seinen Kopf

      Ein muffiger Geruch lag in der Luft, gemischt mit dem bitteren Aroma von rostigem Metall und altem Öl. Regina spürte jede einzelne der altersschwachen Federn des Sofas, saß mit angezogenen Beinen einfach nur da und ließ die Tränen über ihr Gesicht laufen. Ben war weg. Lebensmittel besorgen, damit sie sich erst mal verkriechen konnten. Hier. Im Nirgendwo. Irgendein halbleeres Lagerhaus, irgendein Industriegebiet. Völlig egal. Ihre Existenz war weg, einfach davongewischt von den Ereignissen der letzten Stunden. Wie sie im Eiltempo zu ihren beiden Wohnungen gerast waren und das Nötigste zusammen gekratzt hatten. Immer einen Blick über die Schultern geworfen, ein kerniges »Stehenbleiben, Sie sind verhaftet« erwartend. Nichts dergleichen war passiert, aber untertauchen mussten sie trotzdem. Denn es war nur eine Frage der Zeit, bis die Polizei ihre Namen und Adressen hatten, ihrem verlorenen Laptop sei Dank. Natürlich war sie eine brave IT-Frau gewesen und hatte ihr Laptop mit einer entsprechenden Verschlüsselung versehen. Aber wenn die Polizei es wirklich ernst meinte ... wie gesagt, nur eine Frage der Zeit. Dass außerdem ihr Portemonnaie mit im Rucksack gewesen war, machte die Diskussion um den Laptop überflüssig. Und ein Foto von Ben mit Liebesschwur in Handschrift auf der Rückseite lag in der Vordertasche. Ein letztes sarkastisches Detail, ein letztes Puzzlestück, das endgültig jenes Bild ergab, dass das Schicksal sich eine Meinung über ihre Aktivitäten gebildet hatte. Und es war ihnen nicht mehr wohlgesonnen, sondern hatte ihnen stattdessen in die Kniekehlen getreten. Lege dich nicht mit Mächten an, die du nicht begreifst. Sie umschlang ihre Beine. Salzig warm lief ihr die Tränen über die Wangen.

      Ihr fehlte Bobo. Aber Ben hatte recht. Einen Hund mit »auf die Flucht« zu nehmen, wäre eine bescheuerte Idee gewesen. Also hatte sie den Hund bei einer Nachbarin gelassen, die schon früher ab und zu mit ihm Gassi gegangen war. Bobo, der immer bei ihr im Bett geschlafen hatte und sie morgens so lange nervte, bis endlich Futter im Napf war. Ihr Schniefen hallte laut in dem halb leeren Büro der Lagerhalle nach, ein Weinkrampf schüttelte ihre Glieder und sie ließ sich von ihren Emotionen davontragen. Ihr Leben, wie sie es kannte, war vorbei.

      Ben saß neben ihr auf der altersschwachen Couch. Sie schwiegen sich an. Draußen surrte ein Gabelstapler durch die halbleere Halle und Regina schreckte hoch.

      »Keine Sorge. Das Büro wird nicht mehr gebraucht, wir können hier bleiben, hab ich abgeklärt.« Er legte seine Hand auf ihren Oberschenkel. Fast panisch wischte sie den Arm weg und stand auf.

      »Spinnst du? Ich soll mir keine Sorgen machen? In so einem Mist wie dem hier hab ich noch nie gesteckt. Wir sind völlig am Arsch, Schatzi!« Regina verschränkte die Arme vor der Brust und schaute Ben direkt in die Augen. Am liebsten hätte sie ihm eine runtergehauen.

      Ben breitete die Arme aus, ließ sie aber schnell wieder sinken, als sie ihn düster anfunkelte.

      »Hey, komm schon. Ich weiß selbst nicht, was da gelaufen ist.«

      »Ach nein, auf einmal weiß Mister Allwissend mal nicht weiter?! Ist ja was ganz Neues!« Das Blut stieg ihr in den Kopf.

      Sein Mund blieb halb offen stehen, dann zogen sich seine Augenbrauen zusammen.

      »Jetzt hör mal zu. Hätte ich dich besser den Bullen überlassen sollen, anstatt dich aus ihren Händen zu retten? Kannst du haben! Geh einfach zu ihnen. Dank deines Laptops und deines Rucksacks wissen sie ja auch gar nicht, wer du bist ...«

      Sein Kopf flog nach links, die Ohrfeige hatte er nicht kommen sehen. Regina rannte in die andere Ecke des Raums, ließ sich an der Wand zu Boden sinken und vergrub ihren Kopf in den Armen.

      Die Minuten verstrichen. Dann setzte sich Ben neben sie und legte den Arm um ihre Schulter. Erst versteifte sie sich, dann ließ sie ihn gewähren und die Tränen fließen.

      Ben strich ihr sanft über den Kopf.

      »Komm schon, wir schaffen das. Ich kenne Leute, die uns neue Identitäten besorgen können. Wir fangen einfach noch mal von vorne an. Und du kannst nicht gerade behaupten, dass du deinem Traumjob ewig hinterher trauern wirst«, und knuffte ihr in die Seite.

      Sie lachte, wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Wie sie wohl aussah ... völlig egal in diesem Moment. Regina kuschelte sich an seinen Arm. Seinen starken Arm. Und schloss die Augen.

      »Und wie geht es jetzt weiter?«

      Ben küsste sie auf den Kopf und sagte: »Jetzt hören wir erst mal bei den anderen nach, wie sie aus der Scheiße herausgekommen sind. Oder ob wir vor unserem Besuch beim Türken noch zum Baumarkt müssen, um eine Metallsäge für die Gitter zu besorgen.«

      »Du kannst auch nicht einen Moment ernst bleiben«, schalt sie ihn.

      »Nein. Wenn du in meiner Nähe bist, verliert das Leben an Ernsthaftigkeit.«

      »Alter Charmeur.«

      Dann stand sie auf und reichte