Ordo Templi Magica. Karin Bachmann

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Название Ordo Templi Magica
Автор произведения Karin Bachmann
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783957446107



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und unter den Studenten wäre er kaum aufgefallen, hätte er nicht diesen sicheren und stolzen Gang gezeigt. Die meisten seiner Studentinnen schwärmten für ihn, doch ließ er sich auf kein einziges Spiel mit ihnen ein, denn wie schnell hatte man einen guten Ruf zu verlieren. Wobei damit nicht gemeint war, dass er sie nicht auch einmal aufzog, doch er verteilte seine „Gunst“ sehr gleichmäßig unter den Studenten. Er war beliebt, da er seinen Unterricht immer sehr anschaulich und lebendig gestaltete, und er vermittelte Vertrauen. Nach dem Unterricht waren noch des Öfteren Gespräche im Gang, die ihn in vertrauliche Probleme einbezogen. Er versuchte immer, souverän zu bleiben und, wenn gewollt, Ratschläge zu geben.

      Diesmal standen noch einige Studentinnen und Studenten vor seinem Pult und er meinte: „Wollt ihr denn heute gar nicht nach Hause gehen?“

      Da fiel ihm auf, dass er ein Mädchen schon längere Zeit nicht mehr in seinem Unterricht gesehen hatte. So fragte er Melissa:

      „Was ist eigentlich mit Andrea los? Ist sie krank?“

      „Wir haben uns alle schon gefragt, warum sie nicht mehr kommt, ich werde heute mal bei ihr vorbeischauen!“, war ihre Antwort.

      Am Abend, Paul saß gerade vor einer noch brutzelnden Pfanne mit Rühreiern und Speck, sein Kopf steckte, wie sollte es auch anders sein, in einem Buch über Archäologie, da klingelte es an seiner Haustür.

      Paul stand auf, steckte sich noch den letzten Rest Brot in den Mund und ging an die Tür, um zu öffnen. Erstaunt sah er Melissa ins Gesicht, die ziemlich verwirrt aussah. Er mochte es nicht, wenn ihn weibliche Schülerinnen, und dann auch noch alleine, besuchten, aber ein Blick in Melissas Gesicht genügte ihm, um sie hereinzubitten.

      „Setzt dich erst mal!“, sagte er, dabei räumte er schnell noch einige Papiere und verschiedene Bücher zusammen, die, verteilt auf alle freien Flächen, wie dem Wohnzimmertisch und auf der Couch, herumlagen. Den Stapel legte er auf die Kante seines Sideboards, auf dem schon mehrere Stapel lagen. Melissa setzte sich nun auf die äußerste Kante der Couch und druckste herum.

      „Willst du was trinken?“, fragte Paul höflich, doch als er nur ein Kopfschütteln zur Antwort bekam, da sagte er:

      „Dann schieß mal los, was ist passiert? Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen!“

      Melissa schluckte noch einmal und begann: „Ich war vorhin noch bei Andrea zu Hause. Ihre Eltern haben mir die Tür aufgemacht und ich hatte den Eindruck, dass sie am liebsten die Tür auch gleich wieder vor meiner Nase geschlossen hätten. Ich fragte nach Andrea und bekam zur Antwort, sie sei krank.“

      „Ja, und? Was beunruhigt dich daran so sehr?“

      „Es war die Art, wie sie mich angeschaut haben und beide haben so seltsam herumgedruckst und sich gegenseitig immer wieder sonderbare Blicke zugeworfen.“

      Paul brummte nur. Melissa fuhr fort:

      „Aber das ist noch nicht alles. Als ich fragte, ob ich Andrea sehen könnte, ich wolle ihr einige Aufgaben erklären, da schmissen mich die beiden fast aus dem Haus. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu gehen. Als ich am Gartenzaun angekommen war, da drehte ich mich noch einmal um und sah Andrea an einem Fenster im zweiten Stock … Ich habe sie fast nicht mehr erkannt!“

      „Seltsam“, antwortete Paul. Er war schon in Gedanken, was es damit auf sich haben könnte.

      „Ja, sehr seltsam, als ich Andrea sah, habe ich im ersten Moment gedacht, ich sähe einen Geist. Sie machte ein so hilfloses Gesicht! Und sie war total abgemagert, als bekäme sie schon sehr lange nichts mehr zu essen! So knochig sieht man nicht aus, wenn man krank ist, sie sieht eher verhungert aus!“

      Melissa hatte sich richtig in Fahrt geredet und Paul versuchte sie nun zu bremsen.

      „Jetzt beruhige dich erst mal wieder, ich werde morgen, als ihr Lehrer, mal bei ihr zu Hause vorbeischauen. Vielleicht ist auch alles ganz harmlos, vielleicht hatte sie eine schlimme Magendarm-Infektion, da nimmt man in kurzer Zeit auch sehr schnell ab.“

      Melissa war nun erleichtert, dass sie sich entschieden hatte, zu ihrem Lieblingslehrer zu gehen. Sie war sich sicher, er würde sich darum kümmern, so erhob sie sich und ging langsam zur Tür.

      „Danke, dass Sie mich nicht gleich als verrückt abgestempelt haben!“

      „Nun, für ein dummes Mädchen halte ich dich nicht und auch ich komme in meinem Beruf oft nur durch Intuition weiter, mit normalem Verstand bleibt man nicht selten auf der Stelle stehen. Was sich nun daraus ergibt, wenn ich bei Andrea vorbeischaue, das bleibt abzuwarten!“

      Melissa nickte und sagte dann: „Tschüss, und einen schönen Abend, Herr Professor Neumann!“

      „Danke, dir auch, Melissa!“

      Paul zog sich nachdenklich in die Küche zurück, um noch kurz abzuwaschen, er nahm sich vor, am nächsten Tag bei Andrea vorbeizuschauen.

       „Nein! Neeein! Ich habe keine Sünden begangen! Warum lasst ihr mich nicht in Ruhe? Ich kann nicht mehr!“

       „Du hast einen bösen Dämon in dir, der muss ausgetrieben werden!“

       Dann ein schrecklicher Schrei in der Stille der Nacht, der einem das Blut in den Adern gefrieren ließ!

      Nach der Schule schaute Paul bei Andreas Eltern vorbei. Erst nach mehrmaligem Läuten öffneten sie ihm die Tür. Er stellte sich als Andreas Lehrer vor und bat darum, ins Haus kommen zu dürfen. Sehr unwillig wurde er dann ins Wohnzimmer gebeten. Paul wollte nicht voreingenommen sein, doch auch ihm kamen die Eltern von Andrea sehr komisch vor. Nun, es war ja nicht jeder gleich auf dieser Welt, nicht jeder konnte herzlich und überschwänglich sein. So fragte Paul nach Andrea: „Ich habe gehört, Andrea geht es nicht so gut. Darf ich fragen, was ihr fehlt? Sie hat schon sehr viel vom Unterricht versäumt, deswegen mache ich mir Sorgen!“

      Andreas Eltern drucksten herum und Paul sah sich veranlasst etwas resoluter vorzugehen. Er stand rasch auf und ging auf die Stufen zu, die ins nächst höhere Stockwerk führten.

      „Ich kann sie doch sicher kurz sprechen?!“ Mit diesen Worten versuchte er die Treppen hinaufzugehen. Doch der Vater von Andrea sprang ihn regelrecht an und zog ihn wieder nach unten.

      „Das ist keine sehr gute Idee! Sie braucht viel Ruhe!“ Eine peinliche Pause entstand.

      „Dann sagen Sie mir doch, was hat Andrea denn für eine Krankheit? Ist sie ansteckend?“

      Fast war der Vater von Andrea versucht einfach zu bejahen, doch die Mutter war zu sehr unter Druck geraten und sie presste heraus: „Sie ist besessen, in ihr steckt ein Dämon! Wir müssen ihr helfen! Ich möchte sie bitten, nichts darüber in der Schule zu erzählen, wir wollen es ihr nicht unnötig schwer machen!“

      „Das heißt also, sie ist in psychologischer Behandlung?“, fragte Paul. Der Vater bejahte und die Mutter schüttelte den Kopf, doch dann nickte sie schnell. Paul fand das wiederum sehr seltsam. Der Vater drängte ihn nun zur Tür, was er ihm insgeheim nicht einmal verübeln konnte, normalerweise war er nicht der penetrante Typ, aber wenn es nicht anders ging? Was blieb einem übrig!

      So ging er über den Gartenweg Richtung Straße und auch er schaute noch einmal zurück. Sein Augenmerk galt vor allem dem Fenster im zweiten Stock und da sah er eine gespenstisch-blasse Gestalt mit riesigen, angstgeweiteten Augen, die ihm nachblickte. Doch sofort war sie verschwunden und an ihrer Stelle sah er die Mutter am Fenster stehen, die resolut die Vorhänge zuzog. Er hatte den Eindruck, dass die Eltern vor allem vermeiden wollten, dass irgendjemand an Andrea herankam oder gar mit ihr sprach. Sie war total isoliert worden.

      Paul machte sich gerade sein Frühstück, als er noch immer darüber nachgrübelte, was er gestern gesehen hatte und was er unternehmen könnte. Sollte er die Polizei informieren? Doch was könnten die ausrichten? Andrea war krank und zu Hause, was sollte daran falsch sein? Er konnte im Moment nichts tun, doch ein wenig erinnerte ihn der Fall an das dunkle Mittelalter, warum, das konnte er nicht so genau sagen. Es war einfach Intuition.

      In der Schule