Название | Verhängnis in der Dorotheenstadt |
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Автор произведения | Jan Eik |
Жанр | Зарубежные детективы |
Серия | |
Издательство | Зарубежные детективы |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783955520304 |
Trotz des ekelhaften Geruchs, der von dem Erbrochenen auf dem Kissen ausging, beugte er die Knie, um dem Toten in das verzerrte Gesicht unter dem wirren Blondhaar zu blicken. Erschüttert suchte er, die vertrauten Züge des Freundes zu entdecken, dessen erstarrte Arme sich ihm flehend entgegenreckten. Unter den nicht gänzlich geschlossenen Augenlidern schien Heidenreich ihn anzublinzeln, als sei alles nur ein böser Spaß.
»Haben Sie ihn gänzlich untersucht?«, fragte Gontard den Arzt, der hinter ihn getreten war. Der nickte gemessen, wies aber darauf hin, dass er noch nicht über die hiesige Approbation verfüge und demzufolge ein weiterer Kollege den Tod und die wahrscheinliche Ursache bescheinigen müsse.
»War das der Herr, dem ich auf der Treppe begegnet bin?«
Bächerle schüttelte den Kopf und blickte Werpel an. Der machte eine abwehrende Geste. »Dieser Herr hat mit dem vorliegenden Fall nicht das Geringste zu tun«, erklärte er so kategorisch, dass Gontard fragend die Augenbrauen hob. »Es handelt sich um einen Besucher des prinzlichen Vorreiters Spielvogel, der mit seiner Familie die Nebenstube bewohnt.« Werpel wies auf die Tür, hinter der noch immer ein Kind greinte. »Ich habe ihn bereits befragt.«
Wieder erschien es Gontard, als habe Albertine Werpels Aussage etwas hinzuzufügen, wage es jedoch angesichts dessen grimmiger Miene nicht.
Mit einem gewissen Unbehagen fasste Gontard seinen Eindruck zusammen: »Die ganze Angelegenheit erscheint mir reichlich mysteriös …«
»Na eben!«, mischte sich Werpel sofort ein. »Deswegen muss die Leiche umgehend zur Obduktion gelangen!«
»Dafür werde ich Sorge tragen«, sagte Gontard entschieden. Ihm lag daran, dass sein Freund Friedrich Kußmaul den Toten begutachten würde. Möglicherweise würde man Heidenreichs Leichnam vor den Studenten und fremden Ärzten im anatomischen Theater sezieren, doch das erschien ihm allemal würdiger als das erniedrigende Türmchen. Schon lange kämpfte der Professor der Staatsarzneikunde Johann Ludwig Casper um eine der Residenz angemessene Morgue, wie London oder Paris sie besaßen. Der Bau eines solchen Leichenhauses war nunmehr auf dem Charitégelände vorgesehen.
Überraschenderweise stimmte Werpel Gontards Entschluss sofort zu. Der hatte ihn im Verdacht, mit dem Leichen-Commissarius in der nahen Friedrichstraße in Absprache zu stehen, der für das gesamte Beerdigungswesen der Hauptstadt zuständig war. Ein lukrativer Posten, wie jedermann sich vorstellen konnte.
Schweren Schrittes trat von Gontard aus der engen Stube. Albertine war schon halb die Treppe hinunter, doch er konnte sie noch aufhalten. »Wann haben Sie ihn gefunden?«, fragte er.
Sie starrte ihn an, aus furchtsamen Augen, wie ihm schien, und sagte leise: »Mir fiel nicht auf, dass er heute Morgen das Haus gar nicht verlassen hat …«
Für Gontard war das keine ausreichende Auskunft. Er fragte noch einmal: »Aber wann haben Sie ihn gefunden?«
»Als ich seine Stube aufräumen wollte. Heute ist Freitag, da werden die Dielen gescheuert.«
»Als er gestern Abend nach Hause kam - ist Ihnen da etwas an ihm aufgefallen?«
Albertine blickte an ihm vorbei auf Werpel oder den Arzt, das vermochte Gontard nicht zu erkennen, und schüttelte den Kopf. »Er war wie immer …«
»Und seine Tür war nicht verschlossen?«
Für Gontards Geschmack zögerte sie zu lange mit der Antwort. »Ich kann sie öffnen …«, gab sie schließlich zögernd zu und wies ein an ihrem Schürzenband befestigtes Schlüsselbund vor.
Gontard sah ein, dass einer weiteren Befragung im Augenblick kaum Erfolg beschieden sein würde, zumal Geräusche aus dem Erdgeschoss auf die Ankunft der Eltern Knoppe hindeuteten.
»Was war das für eine große Gefahr, von der Doktor Heidenreich gesprochen hat?«
»Ich habe alles Notwendige protokolliert«, wandte Werpel sichtlich verärgert ein. »Von einer Gefahr hat sie mir gegenüber nur in sehr allgemeinen Worten gesprochen …«
»Albertine!«, tönte eine ängstliche Frauenstimme mit sächsischem Tonfall von unten. Und noch einmal, dringlicher diesmal: »Albertine!«
Und bevor Gontard zu sagen vermochte, dass er unbedingt noch einmal mit ihr reden müsse, war sie schon die Treppe hinuntergeeilt.
»Sie entschuldigen mich wohl«, sagte nun auch Doktor Bächerle. Werpel gestattete es gnädig. Der Doktor verbeugte sich beinahe ehrerbietig auch vor Gontard.
»Falls Sie noch Fragen haben bezüglich des Ablebens Ihres Freundes …«, äußerte er in teilnahmsvollem Ton, »Sie treffen mich jederzeit hier an.«
Von Gontard nickte ihm zu. »Davon werde ich gewiss Gebrauch machen«, sagte er. Und sei es nur, um zu erfahren, um wen es sich bei dem geheimnisvollen Fremden auf der Treppe handelte, den Werpel so eilfertig aus der Angelegenheit herauszuhalten suchte.
Zwei
Seiner Dienststellung nach hatte Traugott Liborius es keineswegs nötig, sich oder sein Handeln zu verbergen. Er war ein beamteter Inspector des Königlichen Polizeipräsidiums am Molkenmarkt, den allerdings gute Gründe zwangen, seine Person und seine Tätigkeit vor jedermann geheim zu halten. Die Begegnung auf der Treppe des Knoppe’schen Hauses erschien ihm deshalb höchst fatal, hatte er bis dato doch jedes Zusammentreffen mit dem Major von Gontard geschickt vermieden. Dass Gontard als der engste Freund des hinreichend verdächtigen Unruhestifters Gebhardt Heidenreich gelten musste, war ihm selbstverständlich ebenso geläufig wie die Tatsache, dass die beiden gemeinsam und im Geheimen angebliche Studien betrieben, hinter deren Sinn und Zweck zu kommen man sich amtlicherseits bisher vergeblich bemüht hatte.
Liborius, mit dem Jahrhundert geboren und demzufolge just vierzig Jahre alt, hatte sich zeit seines Lebens nur mit einem einzigen, höchst bemerkenswerten Objekt befasst, dem Menschen, und war dabei mit allen Abgründen menschlicher Verworfenheit in Berührung gekommen. Obwohl er sich niemals weiter als bis Jüterbogk aus der preußischen Residenz entfernt hatte, kannte er die Welt und durchschaute sie bis ins Kleinste. Die Menschen waren überall gleich. Und gleich gefährlich. Um das herauszufinden, bedurfte es lediglich eigener Anschauung und nicht des Studiums dicker Bücher. Wäre ihm das Schreiben leichter gefallen, hätte er seine diesbezüglichen Erkenntnisse dennoch gerne weitergegeben - natürlich nur an vertrauenswürdige Personen, deren es nicht allzu viele gab. Die Ketzerei, wie man solche Rebellion in früheren Zeiten bezeichnet hatte, machte vor niemandem Halt, nicht einmal vor Militärs und den höheren Ständen. Handwerker taten sich zusammen, um gegen die gottgewollte Ordnung zu opponieren, Schulen und Universitäten entwickelten sich zu Brutstätten staatsgefährdender Ideen, vor denen weder Zeitungen noch Theater sicher waren. Von der sogenannten Wissenschaft ganz zu schweigen. Mehr als zwanzig Jahre Erfahrung und gründliche Beobachtung gestatteten es Liborius, Begriffe wie Physik und Philosophie, Elektrizität oder Pädagogik als fremdartige und höchst nutzlose Auswüchse menschlichen Geistes einzuschätzen, sämtlich von Männern ersonnen, denen es an Gottesfurcht und Königstreue mangelte.
So war er auf diesen Doktor Heidenreich gestoßen oder vielmehr gestoßen worden, denn Liborius tat in der Regel, was der Geheime Rath von Bewerstorff am Molkenmarkt von ihm verlangte, der wiederum seine Befehle aus höheren Sphären empfing, wohin der gemeine Untertanenverstand üblicherweise nicht reichte. Dessen ungeachtet war Liborius darin geübt, auf Zwischentöne zu lauschen, Andeutungen zu erkennen und Zusammenhänge zu deuten, wo solche insgeheim bestanden, wie beispielsweise zwischen dem auffälligen Interesse Heidenreichs am Stammbaum des Königshauses, einer gewissen weiblichen Bekanntschaft des Doktors und einem weiteren Lehrer an der Artillerieschule. Den, einen alten Krieger von rechtem Schrot und Korn, wusste Liborius leicht für seine Zwecke zu gewinnen, ohne etwas von den vermuteten Hintergründen preiszugeben. Die kannte er nicht wirklich. Dass sie ein Mitglied des Herrscherhauses betrafen, war jedoch mehr als eine Ahnung.
Um wen konnte es sich handeln? Prinzen und Prinzessinnen gab es im fruchtbaren Stammhaus Hohenzollern dutzendweise. Der hochselig dahingegangene König,