Panik. Reinhold Eichacker

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Название Panik
Автор произведения Reinhold Eichacker
Жанр Научная фантастика
Серия
Издательство Научная фантастика
Год выпуска 0
isbn 9783945574591



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nahmen auch seinen Willen im Sturmlauf gefangen. Er überraschte sich bei der Mahlzeit selbst dreimal beim herzlichen Lachen. Das war seit dem Auftauchen des höllischen Punkts vor der Sonne hier nicht mehr geschehen. Miss Mabel war auch wie befreit und hing mit dem strahlenden, staunenden Blick an den Lippen des lebhaft erzählenden Nachbarn.

      Die haarsträubenden Erlebnisse seiner letzten Tigerjagd hörten sich in seiner Schilderung an wie ein Spiel. Nur ein leises, wohliges Gruseln blieb bei den Hörern zurück.

      Dr. Nagel hob lächelnd den feinen Kristall und schlürfte mit stillem Genuss den Wein. Enttäuschung und Schwermut der letzten Wochen rückten langsam in den Hintergrund.

      »Und sehen Sie, so war es noch immer. Was ich unternahm, was ich auch gewagt habe - der Dusel, mein unglaubliches Glück war dabei. Schon bei meiner Geburt. Ich kam als ein Zwilling zur Welt. Der andere Zwilling war ein Mädchen. Ich wurde der Mann.«

      »Und das nennen Sie Glück?« warf sie scheinbar empört ein.

      »Etwa nicht?« Er lächelte sie an und richtete sich auf.

      »Mann sein! Gibt es etwas Schöneres auf dieser Welt? Könnte ich sonst hier auch an Ihrer Seite den Zauber des weiblichen Wesens empfinden?«

      Mit scherzhafter Drohung hob sie die Hand. Sie war rot geworden, ganz gegen ihre Gewohnheit, und sah schnell etwas verlegen am Stuhl ihres Nachbarn vorüber. »Sie machen sich über mich lustig.«

      Earthcliffe erhob sich gelassen. Der Diener reichte Liköre auf Eis und zog sich zurück. Eine Pause entstand. Dr. Nagel sah kurz auf die Uhr. Er wurde ernst.

      »Ihre Zeit ist knapp, Herr Professor. Ich darf sie nicht länger missbrauchen. Auch mich ruft die Pflicht. Ich habe Ihnen heute morgen einen Vorschlag gemacht. Ich erbitte die Antwort.«

      Von den Lippen des Sternwartendirektors verschwand das behagliche, schmunzelnde Lächeln. Seine Stirnfalte trat leise drohend hervor. »Ich glaubte den Scherz schon erledigt. Potz Wurzel. Was zwingt Sie zur Jagd nach dem Punkt vor der Sonne?«

      »Mein sportliches Ehrgeiz, wenn Sie so wollen. Was ich einmal angefangen habe, das führe ich auch zum Ende. Hätte ich nicht eine Aufgabe mit diesem Punkt zu erfüllen, so hätte ich ihn nicht als Erster gesehen. Warum trieb das Schicksal mir das wieder zu?«

      Earthcliffe griff überrascht nach der Lehne des Sessels. »Ihnen zu? Sie als Erster? X Wurzel aus zehn. Diesmal klappte es doch nicht. So was nenne ich Pech. Sie wohnen zwar mit dem Entdecker Don Ebro zusammen in der gleichen Stadt, aber er entdeckte ihn zuerst. Sie sahen nichts!« Er sah starr zum Sessel des Jungen hinüber.

      Dr. Nagel rieb vor Lachen die tränenden Augen. »Don Ebro? Don Ebro? Das ist ja zum Heulen. Verzeihen Sie bitte, verehrtester Meister. Das ließ sich der wackere Don Ebro nicht träumen.«

      Verdutzt fragte Earthcliffe kühl: »Und darf ich um eine Erklärung bitten? Was ist denn daran so lustig?«

      Der andere zwang sich zu ruhiger Antwort. »Sofort, Herr Direktor. Da - kommt die Erklärung.« In der Tür stand, von dem Diener geführt, ein Mann, lang und hager. Den Kopf hatte er hoch erhoben, starr und steif und voll Würde. Den Fuß schob er wie zum Tanz leicht nach vorne. In seinem unbeweglichen Faltengesicht rollten lebhaft blitzende Augen. Auf den verschränkten Armen trug er einen schneeweißen Terrier. Ein Beinchen des Tiers war in Leinen gewickelt. Es winselte leise im Griff seines Trägers.

      Dr. Nagel ging einen Schritt auf ihn zu.

      »Gestatten Sie, Herr Professor: mein treuer Diener, Don Ebro da Gama, ein Spross stolzer Spanier. An dem fraglichen Tage der Sonnenbetrachtung gab ich ihm den Auftrag, die Meldung zu funken. Ich selbst musste fort. Die Tigerjagd, über die ich schon berichtet habe, rief mich. Don Ebro gab meine Funkmeldung auf und unterzeichnete gleich mit dem eigenen Namen.« Wieder zuckte es um seinen Mund.

      Die Gestalt in der Tür zog langsam den Fuß an und schloss ihre Hacken.

      »Señor Dr. Nagel hat leider das Unglück, einen Namen zu tragen, dem Würde und Klang fehlen. Ich war als sein dienender Mitmensch verpflichtet, ihm diesmal den Klang meines eigenen Namens zu leihen...«

      Das starre, nur von seinen Augen belebte Gesicht stand wieder in Falten. Der Fuß schob sich langsam um Handbreite vorwärts, als ginge es zum Tanz.

      »Esel!« zischte der kleine Direktor in seiner Enttäuschung.

      Mabel nahm ihm den Hund zärtlich ab und trug ihn zum Diwan. »Ich danke Ihnen«, sagte sie freundlich und drückte dem Mann eine Belohnung in die Hand.

      Don Ebro hob würdig die magere Hand in die Höhe und legte den Schein auf die Platte des Tisches. »Don Ebro nimmt niemals Geschenke, Señorita. Hilfsbereitschaft ist selbstverständlich für einen Edelmann.«

      Verlegen und unschlüssig suchte Miss Mabel die Unterstützung des Doktors. Er winkte ihr heimlich mit lachenden Augen. Don Ebro entfernte sich, würdevoll grüßend.

      Earthcliffe lief heftig erregt durch das Zimmer. Seine Finger nestelten ununterbrochen die Haarsträhne nach unten. Plötzlich blieb er vor Nagel stehen und wippte auf den erhobenen Zehen.

      »Herr!« krähte er wütend, »dann sind Sie der erste Entdecker gewesen?«

      »Ich hatte den Dusel!«

      »Herr, bleiben Sie mir mit Ihrem Dusel vom Leib! Potz Wurzel aus dreizehn, das kann nur mit dem Teufel zugehen! Wollen Sie etwa aus Sport einem Earthcliffe ans Leder? Wollen Sie mir meine Sterne abjagen, weil es Ihnen Spaß macht?«

      Wie ein fauchender Löwe lief er durch das Zimmer. Mabel legte ihm zärtlich die Hand auf die Schulter.

      »Er war doch kaum eine Sekunde voraus!«

      »Was? Eine Sekunde? Zwei hundertstel nur! Das ist schon genug! Potz und Wetter, zum zweiten mal ist meine Sternwarte dadurch...« Mit einem Ruck blieb er vor Nagel stehen, den baumelnden Haarschopf in der zitternden Hand.

      »Herr, Offenheit will ich! Was haben Sie vor? Warum sind Sie trotz allem zu mir gekommen?«

      Der Jüngere wich seinen Blicken nicht aus. »Weil wir einzeln die Lösung des Rätsels nicht finden. Es stimmt etwas nicht!«

      »Was?!« schrie Earthcliffe auf. »Was sagten Sie da?«

      »Es stimmt etwas nicht. Das steht für mich fest. Ich bin kein Gelehrter vom Bau, so wie Sie. Ich fühle das nur. Dieser Punkt ist und wird kein normaler Planet.«

      Mit beiden Händen stützte sich der Direktor auf die Lehne des Stuhls. Seine Lippen bewegten sich angstvoll, verwirrt. »Herr, Herr, wie kommen Sie zu diesem Schluss? Was mich in all diesen Wochen verfolgt hat, was ich durch Zahlen und Rechnungen herausfand... Wie kommen Sie blutiger Laie dazu, das hier auszusprechen, was ich nur geahnt habe? Wer hat Sie auf dieses Geheimnis gebracht?«

      »Allein mein Gefühl. Oder, obwohl Sie es nicht wollen, mein Dusel. Darf ich jetzt bei Ihnen bleiben, Herr Earthcliffe?«

      »Mann, gehen Sie mit Ihrem Dusel zum Teu...!«

      »Also auf zur Stermwarte! Ich bedanke mich herzlich für die Mahlzeit und die bezaubernde Gesellschaft. Die Arbeit ruft!« unterbrach ihn der Junge.

      Verdutzt sahen Vater und Tochter sich an. Die Tür fiel ins Schloss. Von unten klang zweimal die schrille Sirene. Mabel sah schnell hinab.

      »Pa, er schickt seinen Wagen zurück und geht selbst zum Turmhaus.«

      Die kritische Miene des Professors erhellte sich. Ein seltsamer Schimmer der tiefblauen Augen verjüngte sein strenges, zergrübeltes Antlitz. Gelassen strich er sich eine Haarsträhne aus dem schmalen Gesicht.

      »Ich glaube, es ist vergeblich, dem Jungen etwas verbieten zu wollen. Er muss seinen Weg gehen. Er ist wie das Glück, wie die Jugend, das Leben...« Mit einem nachdenklichen Lächeln ging der Alte zur Arbeit.

      Mabel stand stumm an das Fenster gelehnt und presste sich tief in den schweren Vorhang.

      Ein leichtes Knirschen schreckte sie hoch. Die Tür zum Flur flog wie vom Wind bewegt auf. Eine schwarze