Der Schatzgräber von Ehringsdorf. Albrecht von Heinemann

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Название Der Schatzgräber von Ehringsdorf
Автор произведения Albrecht von Heinemann
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783944575155



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      Denn schließlich sind die Urgeschichtsforscher auch auf uns angewiesen. Wenn sie, die in ihren Studierstuben und Hörsälen der Universitäten immer nur zwischen ihren Büchern lebten und zu körperlicher Betätigung keine Zeit fanden, mit eigenen Händen hier metertief in der Erde die viele Zentner schweren Steine hätten losbrechen, ausbuddeln und durchsuchen sollen, dann wäre wohl nicht viel dabei herausgekommen. Da mussten schon andere, kräftigere Kerle zupacken, als sie es waren.

      Aber wenn die Professoren und Doktoren der Paläontologie, wie sie ihre Wissenschaft mit einem schrecklich gelehrten griechischen Namen bezeichnen, auf der einen Seite die Kraft unserer geübteren und leistungsfähigeren Körper brauchten, so hatten wir Arbeiter andererseits ihre besonderen Fachkenntnisse und größeren Erfahrungen in der Ausgrabungstechnik nötig für die Beurteilung all der Dinge, auf die wir in der Erde stießen. So wenig sie bei ihrer Forschungstätigkeit auf die Hilfe der starken Steinbrecher und Arbeiterfäuste verzichten konnten, so wenig durften wir werktätigen Menschen mit unserer ungenügenden Schulübung ihre Ratschläge, Hinweise und Aufforderungen zur Vorsicht und Aufmerksamkeit überhören, wenn nicht mancher Fund, von dessen Wert wir keine Vorstellung haben konnten, zerstört werden und damit einer Erhaltung für die Zukunft verloren gehen sollte.

      Als mich der Gelehrte nach vielen gut gemeinten Ermahnungen zu größter Behutsamkeit und genauer Beobachtung bei allen künftigen Funden wieder allein gelassen hatte, machte ich mich von neuem an meine Arbeit.

      Wir hatten eine gelbgraue Steinschicht durchbrochen und kamen nun mit einem Felsengebilde in Berührung, in dem der Steinbrecher einen sehr unbequemen Feind seiner Arbeit sieht und das er ›Pariser‹ nennt.«

      »Pariser?«, fragte Rudi erstaunt. »Woher kommt denn der Name?«

      »Ja«, antwortete der Großvater Fischer, »das fragst du mit gutem Recht. Glaub aber nur ja nicht, dass dieser von uns oft verwünschte Stein etwas mit der Hauptstadt Frankreichs zu tun hätte. Du weißt ja, dass wir Thüringer gern so reden, wie uns der Schnabel nun einmal gewachsen ist, und dass wir uns manche Ausdrücke und fremde Wörter mundgerecht zu machen wissen. So haben die Weimarer Steinbrecher den Namen ›Pariser‹ aus dem Wörtchen ›porös‹ gebildet, das so viel wie durchlässig bedeutet und eine Eigenschaft dieses Steins bezeichnet. Dabei ist aber der Pariser ein zäher und oft sehr harter Bursche. Er ist nach der neuesten Auffassung der Geologen entstanden aus sogenannter Fließerde, die, wie ihr Name schon andeutet, in der Ehringsdorfer Gegend von den Höhenzügen um Belvedere in die tiefer gelegene Umgebung durch Wasser und Wind abgeschwemmt wurde. Diese Gesteinsschicht deutet den Beginn der letzten Eiszeit an. Das aus ihr gebrochene Steinmaterial ist als Baustoff nicht zu gebrauchen, und wir mussten es aus mehr als zehn Meter Tiefe mit Handkarren herausschaffen. Es war hart mit den darunterliegenden Schichten verwachsen und machte uns daher schwer zu schaffen.«

      »Sagen Sie doch bitte, Herr Fischer«, fragte Rudi, »wie haben Sie damals eigentlich diese starken Steinbänke auseinandergekriegt, als Sie noch keine modernen Werkzeuge wie etwa das Pressluftgerät hatten?«

      »Gut, dass du danach fragst, Rudi — das muss ich euch noch erklären. An dem Arbeitsvorgang hat sich im Großen und Ganzen gegen damals nur das geändert, dass jetzt mit dem Presslufthammer anstatt bloß mit der Hand gearbeitet wird. Dadurch erspart der Steinbrecher viel Zeit und Kraft. Die Sache war die: In den abzubauenden Stein wurden mit Hammer, Spitze und Bohrer Löcher in je zehn Zentimeter Entfernung voneinander durch die ganze Stärke der Steinbank hindurchgetrieben. In diese hängte der Steinbrecher zwei halbrunde Eisen ein, die fast das ganze Loch ausfüllten. Zwischen sie setzte er in jedes Loch einen Stahlkeil, der mit dem Hammer gleichmäßig straff angezogen wurde. Dadurch entstand ein starker Druck, der den ganzen Stein unter Spannung setzte und ihn schließlich mit lautem Schlag auseinandertrieb, als wäre er mit einem großen Messer sauber auseinandergeschnitten worden. Aber es kam auch manchmal vor, dass der auf diese Art angebohrte Stein nicht von der Stelle wich, auf der er angewachsen war. So ging es mir auch bei der Werkbank, von der ich eben erzählen wollte. Sie war so glashart, dass ich mit dem Meißel und dem gewöhnlichen Handwerkszeug nichts an ihr ausrichten konnte. Da musste also eine Sprengung helfen.«

      »Großvater«, unterbrach Klaus den Alten, »erzähl doch mal, wie eine solche Sprengung am Stein eigentlich gemacht wird.«

      »Das wollte ich eben tun, Klaus. Ihr müsst daran denken, Jungens, dass ich immer noch von der Zeit vor fünfzig Jahren spreche, in der wir nur wenig von den Hilfsmitteln wussten, die heute die Arbeit im Steinbruch erleichtern. Was jetzt zum Beispiel ein Mann allein mit dem Kompressor in einer halben Stunde schafft, um ein Bohrloch im harten Felsgestein anzulegen, damit hatten damals drei kräftige Arbeiter einen halben Tag lang zu tun. Sie benutzten dazu einen großen und starken Stahlbohrer, den einer von ihnen führte, während die beiden anderen im gleichen Takt mit ihren zwanzig Pfund schweren Hämmern darauf schlugen. Nach jedem Schlag musste das Bohrloch mit einem besonders dazu konstruierten, löffelartigen Gerät von dem Abfall an kleineren Steinen, der beim Bohren entstanden war, gereinigt werden. Nach vier Stunden hatten die Männer ein Loch von 1,60 Meter Tiefe geschaffen. Dabei mussten die letzten zehn Zentimeter trocken gebohrt werden, damit beim Einführen der Zündschnur und des Pulvers keine Pulverkörnchen an den feuchten Wänden des Bohrloches hängen blieben und die Wirkung des Sprengschusses stören konnten.

      Das Bohrloch wurde dann mit der Zündschnur und einer 20 Zentimeter hohen Säule von Schwarzpulver gefüllt, auf die ein Papierpfropf gesetzt wurde, der bei der Sprengung die etwa noch an den Wänden des Bohrloches haftenden Pulverkörnchen mit hinunternehmen sollte. Auf diesen Pfropfen kam eine bis an den Rand des Bohrloches reichende Schicht von festgestampftem, trockenen Lehm oder Sand. Das Bohrloch wurde an seinem Ausgang an der Oberfläche des zu sprengenden Steines mit Reisig abgedeckt, um zu verhindern, dass bei der Sprengung die Steinbrocken allzu weit in die Gegend flogen. Außer Schussweite wurde ein Mann mit einer Glocke aufgestellt, um die in der Nähe arbeitenden Leute oder zufällig vorübergehenden Passanten zu warnen.

      Dann schnitt der Sprengmeister die Zündschnur zurecht. Er muss dabei genau berechnen, wie lang sie sein muss, um die Pulverladung nicht eher zur Explosion zu bringen, als bis er in Deckung gegangen ist. Nach einigen Minuten hat die glimmende Zündschnur die Sprengladung erreicht. Mit kurzem, wuchtigem Schlag oder mit einem kanonenschussartigen Knall — je nachdem, ob der zu sprengende Stein frei steht oder noch in die unteren Schichten hineinreicht — reißt die Kraft des Pulvers den Felsen aus seiner Lage und macht den Weg zur weiteren Arbeit an ihm frei.

      Ich will euch von den Sprengungen noch etwas mehr erzählen, denn es passieren dabei allerlei teils heitere, teils auch recht ernste Dinge. Eines Tages hatten wir wieder eine Sprengung vorbereitet. Das Bohrloch war fertig angelegt, mit Pulver gefüllt und mit Reisig abgedeckt. Der Mann mit der Glocke gab sein Warnungssignal, die Zündschnur glimmte schon, und jedermann brachte sich in Deckung. Auf einmal knallte die Explosion wie der Abschuss eines schweren Geschützes. Reisig und Steinbrocken flogen zischend, schwirrend und pfeifend durch die pulverqualmerfüllte Luft. Mehrere Felsstücke durchschlugen das Dach des Unterkunftsraumes der Arbeiter, von denen glücklicherweise niemand verletzt wurde. Trotz des Unheil verkündenden Getöses war die Sache glimpflicher abgelaufen, als wir schon befürchtet hatten.

      Kurze Zeit nach der Sprengung klingelte in unserem Büro das Telefon, und man rief mich an den Apparat. Die Stimme des Geschäftsführers in einem benachbarten Kalkwerk, der mein Schulkamerad gewesen war, klang mir vorwurfsvoll entgegen:

      ›Höre mal, Robert — heute hast du mit deinem Meisterschuss sogar den alten Wilhelm Tell übertroffen.‹

      ›Wieso, Oskar?‹, fragte ich erstaunt zurück. ›Wie meinst du das?‹

      ›Na, wenn du gerade mal Zeit hast, komm doch rüber und sieh dir die Bescherung bei uns einmal an. Da wirst du staunen!‹

      Neugierig geworden, machte ich mich gleich auf den kurzen Weg in die Nachbarschaft. Da war alles in heller Aufregung. Ein Steinbrocken von erheblicher Größe war über 300 Meter weit durch die Luft geflogen, hatte das gläserne Oberlichtdach des Kontors durchschlagen und den friedlich über ihren Kontobüchern sitzenden