Der Schatzgräber von Ehringsdorf. Albrecht von Heinemann

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Название Der Schatzgräber von Ehringsdorf
Автор произведения Albrecht von Heinemann
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783944575155



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seiner Funde zu erfahren.

      Auch heute noch, nachdem der alte Fischer schon längst seine Arbeit niedergelegt hat, arbeiten in den Steinbrüchen von Ehringsdorf Wissenschaftler im Dienste der Urgeschichtsforschung weiter. Eine Fundgrube im wahrsten Sinne des Wortes hat sich hier für die Erforschung des Urmenschen der letzten Zwischeneiszeit, seiner Umwelt und seiner Kultur aufgetan! Geologen, Botaniker, Paläontologen, die sich mit der den Urmenschen umgebenden Pflanzen- und Tierwelt beschäftigen, Anthropologen, die die Skelettreste der Urmenschen untersuchen, und Prähistoriker, die die Werkzeuge der alten Wildbeuter studieren, sind hier zusammengekommen, um mithilfe besonderer Sprengmethoden die im Gestein fest eingeschlossenen Altertümer unbeschädigt zu bergen.

      Wenn auch Robert Fischer heute an das Haus gefesselt ist und nicht mehr draußen in seinem geliebten Bruch weilen kann — sein Forschergeist hat sich jedoch auf die neue Steinbrucharbeitergeneration übertragen. Bei allen wissenschaftlichen Arbeiten, die in den Brüchen durchgeführt werden, sind die jungen Steinbrucharbeiter, wie einst Robert Fischer, treue Helfer der urgeschichtlichen Forschungen. Manch kostbarer Fund, der in freigesprengten Steinblöcken enthalten war und erst durch das Zerschlagen des Travertingesteins mithilfe des schweren Eisenhammers sichtbar wurde, konnte durch ihre Aufmerksamkeit und Umsicht gerettet werden. Er wurde nicht zertrümmert und wanderte nicht unbeachtet in den Kalkofen. Dort in Ehringsdorf hat sich seit den Tagen, als Robert Fischer noch im Bruche wirkte, das Bündnis zwischen den Arbeitern der Faust und des Geistes immer wieder auf das Beste bewährt. Mit Freude hört der alte Mann, dass heute am Ende eines jeden Jahres die Steinbrucharbeiter in das Museum für Ur- und Frühgeschichte Thüringens zu Weimar wandern, um die Funde, die sie bergen halfen, in geschlossener Schau zu betrachten und sich erklären zu lassen und um in einer Feierstunde der Auszeichnung der besten Helfer der Forschung beizuwohnen.

      Die Erzählungen in diesem Buch mögen euch anregen, mitzuwirken an der Aufhellung der Ur- und Frühgeschichte unserer Heimat, indem ihr die Augen aufmacht und darauf achtet, dass nicht durch Unachtsamkeit und Unkenntnis kostbare Zeugnisse vergangener Kulturen vernichtet werden. Haltet, wie der alte Fischer, Verbindung mit den Heimatmuseen eurer Landschaft aufrecht und meldet dort eure Entdeckungen! Lasst die Hände von unwissenschaftlichen, zerstörenden Buddeleien! Ihr schadet damit der Wissenschaft und macht euch außerdem noch nach dem neuen Denkmalschutzgesetz strafbar! Unter der Leitung eines Museums aber könnt ihr nach Herzenslust forschen. Eine schöne und verantwortungsvolle Aufgabe ist es, mitzuarbeiten an planmäßigen Forschungen, die das Ziel haben, die materielle und geistige Kultur des ur- und frühgeschichtlichen Menschen kennenzulernen.

       Prof. Dr. Behm-Blancke

      W E I M A R, I M H E R B S T 1954

       »Ganz allein durch Aufklärung der Vergangenheit lässt sich die Gegenwart begreifen.« G O E T H E

       »Prügel können nicht überzeugen!«

      Um Gottes willen, Junge — wie siehst du denn aus?«

      Klaus Fischer, ein stämmiger, blondschopfiger Bursche von zwölf Jahren, steht mit zornfunkelnden blauen Augen und krampfhaft geballten Fäusten vor der entsetzt fragenden Mutter. Die hat freilich Ursache genug, erschrocken zu sein, denn ihr Jüngster, dessen wildes Draufgängertum ihr so oft manche stille Sorge macht, hat, anstatt ruhig und verständig von der Schule nach Hause zu gehen, offenbar auf dem Heimweg eine kräftige Rauferei ausgetragen, deren Ergebnis zweifelhaft gewesen sein mochte. Er hatte dabei auf jeden Fall sein reichlich bemessenes Teil bekommen: Eine blutige Nase, ein geschwollenes Auge und ein klaffender Riss in dem neuen Sporthemd redeten anklagend eine deutliche Sprache.

      Aufgeregt hatte Frau Gerda ihren Sprössling in die Küche gezogen, um erst einmal rasch die gröbsten Spuren des Kampfes zu tilgen. Die Frage danach, wie sie entstanden waren, hatte Zeit für später. Wahrscheinlich würde der Klaus — oh, sie kannte ihn gut genug! — mit der Wahrheit gar nicht herausrücken. Jungens in seinem Alter tragen ihre Meinungsverschiedenheiten auf diese Weise aus, ohne darüber viel Worte zu verlieren.

      So hätte denn auch die besorgte Mutter wahrscheinlich wenig darüber erfahren, von wem und weswegen ihr Klaus so zugerichtet worden war, wenn nicht der Großvater gewesen wäre. Der stand am Küchenherd und zündete sich an der noch schwach glimmenden Glut einen Fidibus für seine Pfeife an.

      Der alte Steinbrecher Robert Fischer war ein kräftiger, breitschultriger, untersetzter Mann mit einem wie aus Eichenholz geschnittenen Schädel, in dem unter einer breiten, fest gebauten Stirn über den buschigen weißen Augenbrauen ein Paar wasserklare, eigenwillig und aufmerksam blickende Augen standen. Er warf nur einen prüfenden Blick auf den Enkel und fragte ihn dann in einem Ton, der klang wie das Knurren des Hofhundes:

      »Donnerwetter, Klaus — mit wem hast du dich heute gedroschen?«

      Klaus zog den Kopf zwischen die Schultern. Er wusste, der Großvater kannte sich aus, dem war in diesen Dingen nicht viel vorzumachen. Wenn er auch ein alter Mann war — er traf den Nagel auf den Kopf, da brauchte man gar nicht erst lange nach Ausflüchten zu suchen. Deshalb gab er auch lieber gleich offen zu: »Mit dem Rudi Winter …«

      Tränen zitterten in der dunklen Knabenstimme.

      »Was?« Die Mutter mischte sich erstaunt in das drohende Verhör. »Der Rudi Winter — ja, ist das denn nicht dein bester Freund, Klaus?«

      »Das war er — bis heute!« Trotz machte die Worte des Jungen hart und herb. »Aber jetzt …« Er nahm sich zusammen, um nicht vor Wut zu weinen.

      »Was war denn los?« wollte der Großvater wissen.

      Der Alte pflegte bei solchen Jungengeschichten nicht viel Worte zu machen.

      »Ach«, Klaus seufzte tief auf und schnob erbittert die Luft durch die mit Sommersprossen dicht besetzte, noch immer etwas blutige Stupsnase, »ach, der gemeine Kerl — er wollte mir nicht glauben, dass du, Großvater, einen Urmenschen ausgebuddelt hast …«

      Der alte Mann lachte so dröhnend, dass das Geschirr in der Spülwanne auf dem Küchentisch klirrte.

      »Und da hast du ihn —?« Er machte eine Handbewegung, die seine Frage sehr sinnvoll ergänzte.

      »Na ja, Großvater — sollte ich mir das vielleicht einfach bieten lassen? Wo doch jedes Kind bei uns in Ehringsdorf weiß …«

      Der alte Fischer stieß eine dicke Rauchwolke aus seiner Pfeife, blinzelte den Jungen an und fragte in einem merkwürdig milden Ton:

      »Sag mal, Klaus — soviel ich weiß, stammt dein Freund Rudi nicht von hier. Stimmt’s?«

      »Ja, das ist richtig — seine Eltern sind mit ihm erst vor einem Vierteljahr hierhergezogen. Aber …«

      »Ruhig. Jetzt rede ich. Du hast ja ganz recht, mein Junge — bei uns in Ehringsdorf kennt man mich und meine Arbeit im Bruch gut genug, und jeder weiß, was ich da alles herausgeholt habe. Aber wenn der Rudi, der erst seit kurzer Zeit hier lebt, davon noch nichts erfahren hat — was ja kein Wunder wäre, denn der Prophet gilt nichts in seinem Vaterland, und die Dinge, die ich erlebte, liegen ja schon viele Jahre zurück, und man redet kaum noch davon, dann hast du deswegen noch lange keinen Grund, ihn zu vertrimmen. Verstanden?«

      Der Junge stand mit gesenktem Kopf da und hatte still zugehört. Jetzt sah er den alten Mann mit großen, erstaunten Augen an.

      »Nein, Großvater — das verstehe ich nicht. Der Rudi ist mein bester Freund — er war es wenigstens bis heute —, und wenn ich ihm davon erzähle, was du im Bruch erlebt und gefunden hast, dann muss er es mir doch glauben; denn einen Freund beschwindelt man nicht. Aber er hat mich ausgelacht und verhöhnt …«

      »Und das wolltest du dir nicht gefallen lassen? Ja, aber — Klaus …« Die Mutter, die dem Gespräch zwischen dem Alten und dem Jungen erstaunt gelauscht hatte, mischte sich nun wieder ein.

      »Lieber Junge — es ist ja sehr schön von dir, dass du nichts auf den Großvater kommen lassen willst