Renate Müller - Ihr Leben ein Drahtseilakt. Uwe Klöckner-Draga

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Название Renate Müller - Ihr Leben ein Drahtseilakt
Автор произведения Uwe Klöckner-Draga
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783939478423



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      ‚Und glauben Sie, dass sie auch in dem Stück wundervoll tanzt?‘

      ‚Ja.‘

      ‚Und Sie glauben, dass sie auch in dem Stück so unglaublichen Charme hat, wie Sie mir erzählten?‘

      ‚Ja.‘

      Die Sache wurde brenzlig. Denn der Unterschied zwischen ihm und mir bestand darin, dass er die Geschichte nicht ernst nahm und ich sie todernst nahm.

      ‚Und halten Sie sie für ein Talent?‘

      ‚Ja.‘

      Meine Sturheit brachte ihn jetzt zum Lachen. Er setzte seine Brille ab und wieder auf. ‚Schön. Gut‘, sagte er. ‚Wenn dies alles der Fall ist, werde ich mich korrumpieren lassen.‘

      Mit diesem fragwürdigen Erfolg zog ich ab. Aber was konnte ich von ihm erwarten? Sich bei ihm für eine Schauspielerin einzusetzen, hatte etwas Riskantes. Er konnte annehmen, ich hätte mit der reizenden jungen Dame ‚etwas‘. Ich hätte nichts dagegen gehabt, gar nichts, aber es hatte sich nun einmal nichts ereignet, und ich war auch niemals darauf aus gewesen. Wie würde Kerr reagieren? Er war unberechenbar und konnte teuflisch sein. Er besaß eine Vorliebe für gepfefferte Capriccios, in denen er manchmal ganz zusammenhanglos jemanden lächerlich machte, der niemals darauf gefaßt gewesen war. Auch die Größten der Großen entgingen solchen blitzschnellen und verletzenden Florettstichen nicht. Versagte das Müllerstöchterchen und machte Kerr auch nur eine winzige spöttische Bemerkung über sie, war ihre Sache dahin und vorbei. Also kam jetzt alles auf Renate an. Denn wenn sie versagte, war auch meine Sache bei Dr. Kerr dahin, ich war blamiert, und er würde mich fortan für schwachsinnig halten.

      Ich holte mir das Müllerstöchterchen ans Telefon. Ich war wütend, dass ich mich zu dieser Unternehmung hatte hinreißen lassen. Ich sagte ihr kurz, dass Kerr in die Premiere gehe; ich hörte einen tiefen Seufzer und hängte ein. Die Premiere. Am selbigen Abend. Im Staatstheater. Namen und Autor des Stückes weiß ich nicht mehr.

      Der andere Morgen. Ich ging in die Setzerei und ließ mir die Fahnenabzüge von Kerrs Kritik geben. Ich durchflog sie. Und da stand es. Da stand ein einziger Satz über die Schauspielerin Renate Müller, meine Müllerstochter. Der Satz äußerte starkes Wohlgefallen an einem neuen Talent, einer neuen Anmut und an einer neuen reizvollen Erscheinung. Der Satz genügte. Er bewies wieder einmal die ungeheure Macht und den sagenhaften Einfluß, den eine Kritik von Alfred Kerr haben konnte. Denn von diesem Tage an begann die Karriere von Renate Müller.“ 26

      Privatfoto aus dem Jahre 1929

      Ende April 1929 beginnen für Renate die Proben zu Hans Meisels Störungen, einer Komödie, die sich in einer Familienpension abspielt und die Eigenheiten der dort wohnenden Menschen widerspiegelt. Meisel, der 1927 mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet wurde, soll nun mit dieser Uraufführung im Staatstheater geehrt werden.

      Erich Engel versteht es bereits auf den Proben, gute Laune bei seinen Schauspielern zu entfachen und kann mit seiner modernen Regie und der Originalität seiner Darsteller eine gelungene Inszenierung verbuchen. Unterstützt wird er u. a. durch die exzellenten Bühnenentwürfe von Bernhard Klein. Für das Publikum völlig neu: deckenfreie Rollkulissen, der Bühnenumbau wird vor den Augen der Zuschauer getätigt. Renates Bühnenpartner sind diesmal Elsa Wagner, Julius Falkenstein, Paul Bildt, Hans Leibelt und Veit Harlan. Harlan ist zwar ein ausgezeichneter Schauspieler und Kollege, wird sich jedoch in wenigen Jahren an die Spitze der nationalsozialistischen Filmregisseure setzen. Sein Jud Süß (1940) wird zu den antisemitischsten und niederträchtigsten Filmen der Nazis gehören.

      Renate Müller spielt in Störungen die Schweizerin Lilo Derain, die sich mit viel Raffinesse einem introvertierten jungen Russen (Harlan) nähert. Die Premiere findet am 4. Juni statt. Publikum und Kritiker reagieren gespalten. In den Gazetten ist am Tag danach zu lesen: „Erich Engel hatte für die Regie hundert Einfälle und alle hundert waren gut. Eine Schauspielerschaft von erstem Rang folgte ihm in guter Laune. Die beiden Liebenden: Veit Harlan und Renate Müller, schlurfende Passivität gegen aufgeregtes Dekolleté, amüsanter Kontrast.“ 27

      In einer anderen Zeitung über Renate: „Reizvoll und kühl die Derain von Renate Müller.“ Und Emil Faktor meint im Berliner-Börsen-Courier: „Renate Müller war als junge Schweizerin recht lieb, so'weit es die von allzuviel Störungen heimgesuchte Rolle ihr ermöglichte.“ 28 Und Kerr verkündet: „Renate Müller. Bezaubernd. Nicht nur was Gutaussehendes. Nicht nur was Melodisches. Hier ist eine Herrlichkeit. Ein zugleich volkhaftes, zugleich adliges Geschöpf.“ 29

      Pressezeichnung zu Hans Meisels „Störungen“ am Staatstheater, 1929.

      Die erste Produktion in der neuen Spielzeit am Staatstheater ist René Schickeles Kriegsstück Hans im Schnakenloch, das 1917 in Berlin uraufgeführt wurde und jetzt ohne Kürzungen unter der Regie von Walter Gynt neu inszeniert wird. Renate Müller (als Zweitbesetzung) agiert auf der Bühne u. a. wieder mit ihrem ehemaligen Lehrer Lothar Müthel, sowie mit Alexander Granach, Albert Florath und Fritz Odemar. Gleichzeitig probt sie die Rolle der Edelnutte in Gustav Wieds Satire 2 X 2=5, welche am 4. September im Schillertheater herauskommt. Diesmal führt Emil Rameaus die Regie. Er kann dem Stück jedoch zu keinem Erfolg verhelfen. Die Darstellungen von Veit Harlan, Aribert Wäscher, Hans Leibelt und Elsa Wagner werden in den Kritiken jedoch gelobt. Auch Renates Leistung wird in der Vossischen Zeitung kommentiert: „Renate Müller, ungemein appetitlich, ist als Edelnutte um einige Grade zu edel.“ 30 Die Fachwelt erkennt mit der Zeit immer mehr ihre verfeinerte Darstellungsbreite an.

      Den stärksten Eindruck und ihren künstlerischen Durchbruch erzielt Renate auf der Bühne in der Rolle als derbes, erdgebundenes schwäbisches Bauernmädel Rösle Biener in Hermann Essigs Uraufführung Des Kaisers Soldaten. Regisseur Jürgen Fehling gibt ihr hier die Gelegenheit, sich von einer ganz neuen Seite zu zeigen und vom Rollenfach der Lustspielnaiven und Salondame wegzukommen. Wir sehen Renate als triebhafte Bauerntochter, die ihren Bräutigam vor dem Wehrdienst retten will und ihn überredet, sich einen Finger abzuhacken. In dieser Rolle sind Charme und Schönheit unpassend. Renates blonde Haare sind unter einem Kopftuch versteckt und sie trägt ein derbes kariertes Kleid, dazu Holzpantinen. Mitte September 1929 beginnen die Proben mit den Kollegen: Maria Koppenhöfer (Mutter Auwerter), Walter Werner (Vater Auwerter), Elsa Wagner (Mutter Eisenbraun) Hans Leibelt (Vater Eisenbaum), Alexander Granach (Rekrut Jubilatz) und erneut mit Veit Harlan (Fritz Eisenbraun).

      Fehling ist bereits damals eine Autorität in der Theaterszene, ein Könner, ein genialer Regisseur aber auch ein Wahnsinniger, was seine Theaterarbeit betrifft. Es gibt nicht viele Schauspieler, die die Kraft haben, seine Proben durchzustehen. Seine strenge, präzise und engagierte Regieführung ist gefürchtet. Während der wochenlangen Probenarbeit holt er das Letzte aus den Schauspielern heraus und legt bei Renate Empfindungen frei, die sie bewußt bis jetzt nicht gelebt hat. Renate ist in dieser Zeit so aufgewühlt, verzweifelt und unsicher, dass sie ihren Eltern gesteht: „Ich schaffe es nie, diese Anspannung ist nicht auszuhalten!“ - Aber Fehling spornt sie zu neuem Schaffen an, verlangt sprachliche Präzision und musikalische Modulation der Sprachtechnik. Mit Besessenheit feilt Renate an ihrer Rolle und übt noch stundenlang abends weiter und kann während Probenarbeit kaum schlafen. Als das Stück am 1. November 1929 im Schillertheater herauskommt, wird es für Renate ein großer persönlicher und künstlerischer Erfolg, an den sie nicht mehr geglaubt hatte.

      Die Müller hat sich endgültig als professionelle Bühnenschauspielerin am Staatstheater etabliert und in einer Zeitung kann sie lesen: „Da wuchs, ohne dass man es merkte, eine junge Schauspielerin zur großen Künstlerin heran.“ Der Börsen-Courier: „Das zweiseitig engagierte Dorffräulein wird von Renate Müller mit Temperament gefüllt. Die Rolle liegt weit ab von dem ihr vertrauten Salonmilieu und wird von ihr ohne jede Differenz behauptet. Auch hier Wandlungsfähigkeit in überraschendem Maße.“ 31