Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 3. Группа авторов

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Название Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 3
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783874683241



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aller Anträge betreffend die Nachtarbeit Jugendlicher und die Verkürzung der Pausenzeiten in Aussicht stellen.13 Wieviele Jugendliche dann tatsächlich nachts in den Fabrikhallen arbeiten mussten, wissen wir nicht.

      Seit 1915 setzte die Schwerindustrie französische Kriegsgefangene ein. Im Gefangenenlager der GHH wurden sie in einem französischsprachigen Aushang über ihre Pflichten informiert:

      „Die Verrichtung aller Arbeiten, zu denen die Kriegsgefangenen herangezogen werden, wird im Bedarfsfalle durch Anwendung von Gewalt von ihnen gefordert werden, selbst, wenn die Gefangenen der Ansicht sein könnten, dass die Arbeiten sich auf Kriegslieferungen beziehen. Gefangene können sich nicht auf die Verordnungen und Gesetze ihres Landes berufen, denn während der Kriegsdauer unterstehen sie allein den deutschen Verordnungen und Militärgesetzen. […] Im Falle der Weigerung wird man die Arbeit durch Strafen erzwingen. Es liegt umso weniger Grund vor zur Rücksichtnahme, da im Auslande die deutschen Gefangenen mit den größten Gewalttätigkeiten mit allen möglichen Arbeiten beschäftigt werden.“14

      Reusch bat die Geschäftsstelle des VdESI, diesen Aushang den deutschen Behörden nicht zur Kenntnis zu geben, „da wir Wert darauf legen, dass vorläufig an den bestehenden Zuständen nichts geändert wird.“15

      Die deutschen Arbeiterinnen und Arbeiter wurden durch Aushang vor den Kriegsgefangenen „gewarnt“. Sie hatten „gegenüber den gefangenen Feinden die einem Deutschen geziemende Haltung [zu] beobachten“. „Vertraulichkeit“ war ebenso zu vermeiden wie „Verhöhnung und Beleidigung“. „Jeder Verkehr, der nicht streng dienstlich ist, ist zu vermeiden.“16

      Auf dem Walzwerk Oberhausen arbeitete im letzten Kriegsjahr 1917/​18 „ein wahres Völkergemisch“. Die Gesamtbelegschaft von 1960 Personen setzte sich, wie folgt, zusammen: 950 deutsche Arbeiter, 180 deutsche Arbeiterinnen, 413 belgische Arbeiter, 32 belgische Arbeiterinnen, 25 Griechen, 360 Kriegsgefangene (davon 142 Franzosen, 21 Ukrainer, 102 Russen, 41 Engländer, neun Belgier, 13 Italiener, 32 Portugiesen).17 Auch die Belegschaften im Bergbau und in den Sterkrader Betrieben wurden mit jedem Kriegsjahr internationaler.

       Tabelle 1: Beschäftigte im Kohlenbergbau der GHH 1913 bis 1918 18

       Tabelle 2: Beschäftigte in den Sterkrader Betrieben der GHH 1913 bis 1918 19

      Insgesamt waren die Belegschaften des GHH-Konzerns im Krieg von rund 30.000 im Jahr 1914 auf 42.842 im Jahr 1918 angeschwollen. Wie die deutsche Bevölkerung so hungerten auch die Zwangsarbeiter:

      „Als die Beschaffung von Lebensmitteln immer schwieriger wurde und die Klagen der Gefangenen über zu schmale Kost sich häuften, übernahm die Hütte am 1. März 1917 die Verpflegung der Kriegsgefangenen und bald darauf auch der freien Belgier in eigene Regie. Die Grundlage der Verpflegung bildeten für die Kriegsgefangenen die Lebensmittellieferungen des Verpflegungsamtes Hiltrup i. W., für die freien Arbeiter (Belgier und Griechen) die der Gemeinden. Diese Lieferungen aber waren zu knapp, um die Leute arbeitsfähig zu erhalten. Die Bemühungen um offizielle Erhöhung der Rationen waren vergeblich, so dass man auf die spärlichen und leider oft trüben Quellen des freien Handels angewiesen war, um nur ein Mindestmaß der Ernährung für die meist schwere Arbeit der Gefangenen zu sichern.“20

      Soweit die Festschrift der GHH von 1935. Der Autor der Festschrift, ehemals Chefredakteur der „Münchner Neuesten Nachrichten“, 1933 zeitweise in Haft, dann lange arbeitslos, schließlich von Paul Reusch für die Festschrift engagiert, hat die Not der Zwangsarbeiter als seriöser Journalist wohl kaum übertrieben.

       Kriegshilfen

      Manchen Familienvater an der Front quälte die Not von Frau und Kindern in der Heimat mehr als die ständige Lebensgefahr in den Schützengräben. Die Werksleitungen der GHH erreichte eine große Zahl von Bittbriefen. Nur ein Beispiel sei ausgewählt: Ende 1915 erkundigte sich ein Unteroffizier, vor dem Krieg Maschinist im Werk Neu-Oberhausen, voller Sorge nach dem Schicksal seiner vier Kinder, das älteste davon neun Jahre. Die Versorgung der Zivilbevölkerung war anscheinend schon zu Beginn des zweiten Kriegswinters so schlecht, dass die Frau ihrem Mann einen verzweifelten Brief geschrieben hatte. Die Werksleitung stellte nach eingehender Prüfung des Falles fest, dass Neu-Oberhausen der Frau eine Krieger-Unterstützung von monatlich 23 Mark zahle, ferner einen Mietzuschuss von acht Mark. Zweimal habe sie eine zusätzliche Unterstützung von 20 Mark erhalten. „Auch haben wir Weihnachten eines ihrer Kinder beschert.“ Die Frau habe sich mehreren Unterleibsoperationen unterziehen müssen. Die Kosten für die erste Operation in Höhe von 26 Mark habe ihr der Arzt bis nach dem Krieg gestundet, die Rechnungen für die weiteren Operationen habe die Armenverwaltung übernommen. Für die Kleidung ihrer Kinder habe sie 43 Mark Schulden gemacht, diese werde das Werk begleichen.

      „Die Frau macht einen ordentlichen Eindruck, sie scheint aber etwas hysterisch veranlagt zu sein, denn es liegt kein Grund vor, dass die Frau verzweifelt, da ihre Verhältnisse geordnete sind. […] Gleichzeitig haben wir sie gebeten, ihrem Mann solche Klagebriefe nicht mehr zu schreiben und ihn nicht ganz unnötigerweise aufzuregen.“21

      Eine Abschrift dieses Schreibens erhielt der Vorgesetzte des besorgten Unteroffiziers an der Front. Für die Familie würde ausreichend gesorgt, „wie es überhaupt Gepflogenheit der Gutehoffnungshütte ist, überall dort helfend einzuspringen, wo eine besondere Notlage Hülfe notwendig macht.“ Für den Unteroffizier liege also kein Anlass vor, „über das Schicksal seiner Familie beunruhigt zu sein“.22

      Sofort mit Kriegsbeginn hatte die GHH der Belegschaft bekannt gegeben, dass die zum Kriegsdienst Eingezogenen sich keine Sorgen über ihre Familien machen sollten. Witwen- und Waisengeld würde für die Hinterbliebenen der Gefallenen genauso bezahlt wie bei Arbeitsunfällen. Die Familien dürften in den Werkswohnungen bleiben, und zwar mietfrei. Die Familien der einberufenen Arbeiter erhielten auch ab 1. September 1914 eine monatliche Unterstützung – Höchstgrenze 46 Mark monatlich bei zehn Kindern. Die Familien der einberufenen „Beamten“, in heutiger Ausdrucksweise also der Angestellten, erhielten drei Monate lang das volle Gehalt, dann zwischen 40 und 80 Prozent je nach Kinderzahl.

       Abb. 3: Speisezettel der Kriegsgefangenen 1917

Geschäftsjahr Mietbeihilfe Kriegsunterstützung
1914/​15 183.402 710.892
1915/​16 334.782 1.078.144
1916/​17 305.213 928.133
1917/​18 179.581 541.145

      Tabelle 3: Gesamtaufwendungen für die Kriegsunterstützung der Familien von einberufenen Arbeitern bei der GHH 1914 bis 191823

      Warum in den letzten beiden Kriegsjahren, als die Not am größten war, die Zahlungen zurück gingen, bleibt eine offene Frage. Zum Vergleich die Handlungsspielräume des Spitzenmanagements: Im November 1916 kaufte Paul Reusch, der Vorstandsvorsitzende der GHH, das Schloss Katharinenhof bei Backnang in Nord-Württemberg mit dem großen umgebenden Park für 215.000 Mark.24

       Hunger

      Schon im Januar 1915, als alle Illusionen eines kurzen siegreichen Feldzuges zerplatzt waren, hungerten die Menschen in Oberhausen. Die Stadtverordneten mussten