Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 3. Группа авторов

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Название Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 3
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783874683241



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      Die Begeisterung der ersten Augusttage 1914 erfasste auch in Oberhausen weite Kreise der Bevölkerung. Die bürgerliche Presse berichtete ausführlich darüber. Die realistischere Sicht vor allem in der Arbeiterschaft fand in der Lokalpresse keinen Ausdruck. Aber Indizien, die nicht in das vorherrschende Bild passten, gab es durchaus – dazu unten mehr.

      Große Menschenmassen versammelten sich seit dem 28. Juli, dem Tag der österreichischen Kriegserklärung an Serbien, täglich auf dem Altmarkt, wo sich die Redaktion des „Generalanzeigers“ befand. Dort wurden die neuesten Meldungen per Aushang bekanntgegeben. Die Verkündung der „drohenden Kriegsgefahr“ am 31. Juli und der Mobilmachung am 1. August wurde auf dem Altmarkt jeweils mit großen patriotischen Kundgebungen gefeiert. Der Vorsitzende des Oberhausener Kreiskriegerverbandes, Fabrikbesitzer Hauptmann d. R. Becker, putschte die Stimmung in einer Ansprache auf. Zum Abschluss sangen alle das Lied von der „Wacht am Rhein“ und die Nationalhymne, damals noch „Heil Dir im Siegerkranz, Retter des Vaterlands“.

      Tausende Oberhausener erhielten den Stellungsbefehl. Die Freiwilligen konnten anfangs gar nicht alle in die Armee aufgenommen werden. Die einberufenen Männer marschierten durch fahnengeschmückte Straßen, teils hinter Musikkapellen, zum militärisch abgesperrten Oberhausener Bahnhof. Die meisten Oberhausener fuhren aber zunächst nicht weit, nur nach Mülheim in die dortigen Garnisonen. Ihre Illusionen schrieben sie, wie Tausende ihrer Kameraden, mit Kreide außen auf die Waggons: „Zum Schützenfest nach Paris“ oder „Die Kaiserparade ist in Moskau“.

      Oberbürgermeister Havenstein wurde beim Infanterieregiment 55 in Wesel einberufen. Am 3. August 1914 erschien er im Ratssaal „feldmarschmäßig in der Uniform eines Hauptmanns“. Am Schluss seiner Abschiedsrede brachte er ein „Hoch auf Deutschland, den Kaiser und die Armee“ aus. „Der oberste Repräsentant der Stadt produzierte sich [damit] öffentlich als derjenige Kriegertypus, den die Kriegervereine auf ihren Festen produziert und kultiviert hatten.“1 Der Generaldirektor der GHH und Stadtverordnete Paul Reusch hielt auch eine patriotische Rede, die er allerdings wohltuend un-kriegerisch mit dem Bergmannsgruß „Glück auf“ schloss.2 Havensteins Amtsgeschäfte übernahm der Beigeordnete Körnicke.

      Der Friedensfahrplan war auf dem Eisenbahnknotenpunkt Oberhausen vom ersten Kriegstag an außer Kraft gesetzt. Angeblich im Minutentakt rollten Truppen- und Waffentransporte durch. Das Rote Kreuz hatte eine große Verpflegungsstation auf dem Bahnhof eingerichtet, damit die jungen Männer auf dem Weg zur Front nicht hungern mussten. Nur wenige Tage später musste das Oberhausener Rote Kreuz sich um 272 Verwundete kümmern, die mit dem ersten Verwundeten-Transport auf dem Bahnhof ankamen. In den Oberhausener Krankenhäusern wurden in aller Eile 700 Betten für die Verwundeten bereitgestellt. Sie waren schon im September alle belegt. In den folgenden Monaten wurde es für Oberhausen immer schwerer, die große Zahl von Verwundeten zu versorgen. Die schon bald nach Kriegsbeginn spürbare Lebensmittelknappheit im Revier wurde durch die große Zahl der Verwundeten in den Krankenhäusern noch verschärft. Der Chef der GHH nahm dies 1916 sogar zum Anlass, die Reichswehrführung darum zu bitten, keine weiteren Verwundeten mehr ins Ruhrgebiet zu bringen und die Rekonvaleszenten in andere Gebiete Deutschlands zu verlegen.3

       Abb. 1: Soldaten auf dem Oberhausener Bahnhof 1914, GA vom 29. Juli 1934

      Die ersten belgischen Gefangenen, die schon am 9. August auf dem Oberhausener Bahnhof durchfuhren, wurden nicht vom Roten Kreuz versorgt. Sie waren bei den Kämpfen um Lüttich in Gefangenschaft geraten, man transportiert sie jetzt nach Münster. Dass sie die Opfer des deutschen Überfalls auf das neutrale Belgien waren, schrieb der „Generalanzeiger“ nicht.

      Es gibt aber auch Indizien, dass nicht nur Jubel herrschte in diesen ersten Kriegswochen: Ängstliche Sparer bestürmten die Geschäftsstellen der Sparkasse, um sich ihre Einlagen auszahlen zu lassen – angeblich überwiegend Polen, die in Oberhausen lebten und arbeiteten. Viele Lebensmittelgeschäfte wurden durch Hamsterkäufe geleert.4

      Diese Indizien weisen darauf hin, dass es auch in Oberhausen in erster Linie das Großbürgertum war, das in Kriegsbegeisterung schwelgte. Heute wissen wir, dass bei der großen Mehrheit der Bevölkerung, vor allem in der Arbeiterschaft, die Stimmung gedrückt war: „Offensichtlich ist die große Mehrheit der städtischen und ländlichen Bevölkerung im Sommer 1914 von Angst, Ernst und Fatalismus erfasst worden. Insofern reagierte sie auf die Schreckensnachrichten eher rational als mit emotionaler Kriegslust.“5 Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass dies in der Arbeiterstadt Oberhausen anders gewesen sein soll.

       Auswirkungen auf die Schwerindustrie

      Sofort in den ersten Kriegstagen Anfang August wurden 5.879 Arbeiter der GHH und 374 „Beamte“ eingezogen – bei einer Gesamtbelegschaft von 30.000. Dies führte zu spürbaren Einschränkungen der Stahlproduktion. Von sieben Hochöfen konnten drei nur noch „gedämpft“ betrieben werden.6 Als Ersatz für die fehlenden Arbeiter kamen kurzfristig nur zwei Gruppen in Frage: Vor allem Frauen und in geringerem Umfang Jugendliche. Erst ab 1915 wurden auf den Werken der GHH Kriegsgefangene und Fremd- bzw. Zwangsarbeiter vor allem aus Belgien eingesetzt.

      Die Arbeitsbedingungen der Frauen bei der GHH waren nicht weniger hart als die der Männer. Der Vorstand des Vereins deutscher Eisen- und Stahlindustrieller (VdESI), in dem GHH-Chef Reusch eine wichtige Rolle spielte, lehnte die Verkürzung der Nachtschicht für Frauen auf acht Stunden ganz entschieden ab.7 Als der Regierungspräsident Düsseldorf trotzdem die Acht-Stunden-Schicht ab dem 1. Januar 1916 anordnete, blieb Reusch hart und drohte, die Produktion in der Geschossfabrik Sterkrade auf die Hälfte zu drosseln. „Einführen werde ich die Achtstundenschicht nicht. […] Wir werden dann ja sehen, was die Herren weiter machen.“8 Auch die Bezahlung der Frauen wurde im Vorstand des Vereins deutscher Eisen- und Stahlindustrieller diskutiert. Reusch vertrat in dieser Sache ebenfalls einen besonders harten Standpunkt. Er wollte den Frauen keinesfalls den gleichen Akkordsatz zubilligen wie den Männern: „Das tun wir im Westen nicht.“9

      Im Bergbau und auf den Walzwerken in Oberhausen wurden allerdings nur ganz wenig Frauen eingesetzt. In der Geschossfabrik in Sterkrade dagegen stieg die Zahl der Arbeiterinnen im letzten Kriegsjahr auf fast 3.000.10

      Schon vor Kriegsausbruch hatten sich die Unternehmer der Schwerindustrie Gedanken über den Einsatz von Jugendlichen gemacht. Sie sahen eine Chance, Schutzvorschriften für jugendliche Arbeiter wieder zu beseitigen. Bei einer Besprechung von „Arbeitnordwest“, des Arbeitgeberverbandes im Bereich der Nordwestlichen Gruppe des VdESI, am 14. Juli 1914 in Düsseldorf erhielten die Vertreter der Firmen Tipps, wie die Anträge für die Genehmigung von Nachtarbeit Jugendlicher mit Aussicht auf Erfolg zu stellen waren.

      „Unbedingt erforderlich […] ist, immer wieder darauf hinzuweisen, dass die Arbeitsstellen der jugendlichen Arbeiter nur der Ausbildung dieser Arbeiter dienen und die Nachtarbeit keine erhöhte Gefahr für Leben und Gesundheit bringt.“11

      Um den Anträgen bei der Gewerbeaufsicht mehr Durchschlagskraft zu verleihen, sollten die Väter vorgeschickt werden.

       Abb. 2: „Warnung“

      „Das eine oder andere Werk kann auch einen Hinweis auf die immer mehr von Regierungsseite gewünschte und geförderte Jugendpflege in den Genehmigungsantrag aufnehmen und dabei ausführen, dass ein unbedingtes Erfordernis einer richtigen Jugendpflege die rechtzeitige Erziehung zur Arbeit ist. Schließlich empfiehlt es sich auch zu bemerken, dass durch die Beschränkung der Verdienstmöglichkeit der Jugendlichen die soziale Lage der Älteren verschlechtert wird, was zweifellos auch einen Einfluss auf die Geburtenzahl ausüben wird.“12

      Also: Die schwere Nachtarbeit von Jugendlichen in den großen Werken diente der Jugendpflege, wurde von den Arbeiterfamilien gewünscht und erhöhte die Geburtenzahl! GHH-Chef Reusch zeichnete das Schriftstück ab, er hatte gegen diese Sicht der Dinge nichts einzuwenden.

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