Majdanek. Mordechai Strigler

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Название Majdanek
Автор произведения Mordechai Strigler
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783866744745



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wo man das Leben zurücklässt, wenn man nach den Gräueln und dem gestrigen Vorgeschmack des Todes herkommt, muss man sich wegen gar nichts schämen.

      Als ich so nackt dastehe, fühle ich mich wie erleichtert. Ich hatte etwas in der Kleidung, das mich hemmte, das meine Gedanken beschäftigte, und jetzt, jetzt hat sich das Denken von allen Fesseln gelöst.

      Man muss durch die Tür laufen. Am Eingang inspiziert ein SS-Mann gründlich deine Zähne, schaut dir in den Hals und in die tiefverborgenen geheimen Stellen des Körpers.

      Findet man bei einem etwas in einem Backenzahn versteckt, schickt man ihn auf die Seite. Jeder muss schnell hindurchlaufen, nackt, bis zur nächsten Baracke. Es wird jede hochgehobene Wade, jede Ferse inspiziert. Ein Gummistock zeigt stumm, wohin zu gehen ist: rechts oder links. Wir laufen ohne etwas mitzubekommen. Meine Gedanken wachen erst auf, als ich um mich herum feuchtdampfende Luft spüre. Wie? Tatsächlich ein Bad?

      Eine träge Haarschneidemaschine lässt all ihren erschöpften Zorn am ganzen Körper aus. Sie zupft nervös die Haare von den intimsten Körperstellen und jeder ziepende Stich meldet all deinen Hirnzellen: Du! Du lebst weiter! Du lebst!

      II

      Spät am Abend konnte die Schreibstube uns keiner speziellen Baracke zum Schlafen mehr zuteilen. Außerdem waren alle Baracken mit Menschen vollgestopft. Gerade dieser Tage hatte man von Treblinka 15.000 junge Juden nach Majdanek gebracht, die am Aufstand im Warschauer Ghetto teilgenommen hatten. Einen Großteil von ihnen hatte man in das dritte »Feld«. (so nannte man die einzelnen Lagerabteilungen in Majdanek) gequetscht. Deshalb war für uns kein Platz. Ganz unabhängig davon hatte man letztens eine große Anzahl Menschen wegen allerlei Vergehen aus allen europäischen Ländern gebracht. Und alle hineingezwängt in die langen Pferdebaracken.

      Unsere Gruppe führte man in das dritte Feld zu den Tausenden Juden aus dem Warschauer Ghetto, von denen der größte Teil vor wenigen Tagen, nach dem Aufstand, von Treblinka hergebracht worden war.

      Es gab später verschiedene Meinungen, warum die Deutschen die Menschen, die auf sie geschossen hatten, zum Tod nach Treblinka brachten und dann dort die jüngeren und gesünderen auswählten, um sie leben zu lassen und nach Majdanek »zur Arbeit« zu schicken. Eine Meinung war, dass sie es mit der Absicht taten, den verzweifelten und versteckten Kämpfern im Ghetto zu beweisen, dass man nicht zum sicheren Tod geführt werde. Wenn sie hörten, dass es noch Chancen gebe, am Leben zu bleiben, würden sie vielleicht schneller kapitulieren. Eine andere Meinung war, dass die Deutschen damit eine größere Rache an den Aufständischen nahmen. Sie gönnten den Revolutionären, die mit ihrem Aufstand das deutsche Ansehen beschädigt hatten, keinen leichten zehnminütigen Tod. Sie verurteilten sie lieber zu einem langen Todeskampf und zu mehrwöchiger Qual.

      Es gab eine dritte Vermutung der ewigen Optimisten, die es mit der politischen Situation in Zusammenhang brachten: Der Deutsche, sagten sie, habe jetzt schon ein bisschen Angst vor der Welt. Insbesondere brauche er heute mehr Arbeiter: Die Russen beginnen zu attackieren.

      Bei den Deutschen konnte alles zutreffen. Alles wurde bei ihnen in die Überlegungen mit einbezogen.

      Es gab aber auch eine kleine Gruppe Warschauer Juden, die schon länger als zehn Monate hier war. Sie setzte sich zusammen aus früheren Ghetto-Polizisten, assimilierten jüdischen Intellektuellen, getauften Juden aus dem Ghetto wie auch aus ehemaligen »Unterweltlern«. Sie hatten sich schon vorher in den Dienst der SS gestellt und auf diese Weise ihre schmutzigen Seelen gerettet. Hier nahmen sie die Posten der Blockältesten und Barackenschreiber ein. Während so vieler Monate als Befehlsausführer der SS wurden sie noch brutaler und grausamer. Anfangs taten sie nur, was sie mussten, um die Machthaber zufriedenzustellen, bei denen man schon für das geringste Vergehen in die Gaskammer geschickt werden konnte. Die Grausamkeit übertrug sich aber allmählich von den befehlsausführenden Händen auf alle Glieder, auf das Gehirn, auf die Seele. Das tagtägliche Quälen wurde ihnen zur zweiten Natur.

      Genau diese waren es, die uns am Tor von der SS übernahmen und begannen, uns in geraden Reihen aufzustellen. Wir standen im Handumdrehen alle aufgereiht wie mit der Schnur gezogen. Das verhinderte aber nicht, dass Schläge von ihrer Seite auf uns niederprasselten. Einer mit einer großen Ältestenbinde stand genau neben mir und schlug fortwährend mit einer kräftigen Stange auf mich ein. Reflexartig platzte mir die Frage heraus:

      Weswegen schlägst du?

      Er stimmte ein unheilvoll-heiseres Gelächter an.

      Was? Du weißt es noch immer nicht? Deshalb, weil du im KA-EL bist, verstanden?

      Ich hatte verstanden und schwieg. Er aber erinnerte sich an etwas und fügte wie zu sich selbst hinzu:

      Ihr werdet hier lernen, so wenig wie möglich zu fragen, wenn ihr überhaupt noch Zeit dazu habt …

      Nachdem wir zum wiederholten Male durchgezählt worden waren, verteilte man uns auf verschiedene Baracken. Jeder Einzelne der Blockältesten bekam eine Gruppe, die er irgendwohin wegführte. Zu meiner Gruppe kam der Heisere mit dem grünen Rock, der mich zuvor geschlagen hatte. Er erklärte mit gebieterischem Ton:

      Ihr geht mit mir. Ich bin jetzt euer Ältester, euer Herrscher, euer Gott. Verstanden? Ich kann euch jetzt alle umbringen und mit euch machen, was ich will. Hier ist KA-EL! Merkt euch das gut, ihr Hurensöhne! Und jetzt keinen Mucks mehr!

      Unser aller Blick fiel auf die Baracken-Nummer: Neunzehn!

      III

      Die Baracken im Lager waren lang und schmal. Licht durfte man nicht anzünden, bei Nacht lag man im Finstern. Fenster gab es in den Baracken keine, es waren ehemalige Pferdeställe. Nur ganz oben gab es einen schmalen gläsernen Streifen, durch den der Mond ein Bündel blasser, erschrockener Strahlen hineinschmuggelte, die herabfielen und sich auf die hohen, dreigeschossigen Betten verteilten.

      Als wir hereinkamen, war es bereits dunkel. Man musste die hölzernen Schuhe draußen zurücklassen und auf Zehenspitzen hineinschleichen, um nicht das geringste Geräusch zu machen. Wenn jemand leise hustete, bekam er sofort einen Schlag, ohne überhaupt zu wissen, von welcher Seite er kam.

      In der Baracke gab es wenig Betten und man sagte uns, dass wir vorerst auf der Erde schlafen müssten. Einige Mann gingen hinaus zur Küche, etwas zu essen zu holen. Wir waren todmüde und schrecklich hungrig, aber jeder war bereit, zu gehen, denn jeder wollte sich umschauen, wie es hier aussieht. Ich war einer von ihnen.

      Bei der Küche treffen wir zwischen den Wartenden auf viele Juden. Als sie hören, in welcher Baracke wir sind, lächeln sie traurig. Die »Neunzehner« ist ein Begriff im dritten Feld. Es ist die spezielle Baracke, wohin man die für die Gaskammer Bestimmten absondert. Auch wegen der fehlenden Betten brauchten wir uns keine Sorgen zu machen, sagen sie, weil alle zwei bis drei Tage Hunderte Betten frei werden. Wenn ihr leben werdet, trösten sie uns, werdet ihr auch etwas haben, worauf ihr schlafen könnt. Sogar die Transporte, die nach uns kommen werden, werden noch welche haben. Die Deutschen arbeiten nach einem genauen Plan. Wie merkwürdig ungerührt die Menschen darüber reden! Es strömt von ihnen eine erstarrte Gleichgültigkeit aus, die sogar auf uns befremdlich wirkt. Wir tragen schnell die schweren eisernen Fässer Suppe weg, die in absoluter Stille ausgeteilt werden. Es scheint mir, dass wir, sollten wir länger hier sein, ohnehin die Sprache verlieren werden.

      In der Tiefe der Baracke gibt es Betten, aber auf jedem von ihnen wölbt sich schon ein gekrümmter Körper. Wir müssen uns deshalb auf den Strohsäcken, die auf der Seite ausgebreitet liegen, ausstrecken und darauf warten, was kommt.

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