Die Zerstörung der EU. Peter Michael Lingens

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Название Die Zerstörung der EU
Автор произведения Peter Michael Lingens
Жанр Зарубежная деловая литература
Серия
Издательство Зарубежная деловая литература
Год выпуска 0
isbn 9783854396543



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nicht mehr ausschließlich an eine bevorzugte Klientel – auch wenn sich die Versorgung mit Medikamenten lebensgefährlich verschlechtert hat.

      Ich will nicht behaupten, dass sich in den beschriebenen neun Jahren unter den angeführten Leiden der griechischen Bevölkerung gar nichts verbessert hätte. Sparen übt stets eine gewisse „reinigende“ Wirkung aus – mäßig nützliche Staatsausgaben werden in Richtung zu nützlicheren umgeschichtet –, aber angesichts der hier wiedergegebenen Zahlen von „gelungener Überwindung einer Krise“ zu sprechen ist ein unverschämter Witz.

      In der EU rechtfertigt man diese Unverschämtheit mit dem Hinweis, dass Griechenland sich jetzt am Finanzmarkt refinanzieren könne – wovon sich der einzelne Grieche freilich noch lange nichts kaufen kann. Vor allem hätte Griechenland sich immer am Finanzmarkt refinanzieren können, wenn 2010 nicht über seine Pleite spekuliert worden wäre, sondern die EZB schon damals sofort klargestellt hätte, dass sie einem deutlichen Anstieg der Zinsen, zu denen Griechenland sich Geld leiht, „mit allen Mitteln“ entgegentreten wird. Dass die EZB diese Ansage unterlassen hat – und auf der Basis ihrer gesetzlichen Konstruktion nach Ansicht des deutschen Bundesverfassungsgerichts auch gar nicht machen hätte dürfen –, ist eine eigene, wesentliche EU-Problematik, auf die ich später genauer eingehen werde. Hier nur so viel: Eine sinnvoll konstruierte Europäische Zentralbank muss, wie die amerikanische, zwingend und zu jedem Zeitpunkt ohne Einschränkung hinter allen, gerade auch den schwächelnden, EU-Ländern und ihren Banken stehen.

       Die Begleitmusik einer „Rettung“

      Vorerst möchte ich nur noch ein paar charakteristische Begleiterscheinungen der „Griechenland-Rettung“ festhalten: Angela Merkel verhängte die Sparauflagen und bewilligte die Rettungsmilliarden unmittelbar nachdem ein umfangreicher Waffeneinkauf Griechenlands (zu allen Zeiten die Hauptursache seiner Defizite) in Deutschland unter Dach und Fach gebracht worden war.

      Die 298 Rettungsmilliarden kamen voran deutschen und französischen Banken zugute. Die nämlich hatten griechischen Banken bedenkenlos Geld geliehen, das diese ebenso bedenkenlos dem griechischen Staat zum Zweck seiner Waffenkäufe – voran in Deutschland – und den griechischen Bürgern zum Zweck von Warenkäufen – voran deutschen Autos – weiterliehen. Für diese Ausleihungen haben die deutschen Banken angesichts der umstrittenen Bonität Griechenlands satte Zinsen kassiert und entsprechend fette Gewinne gemacht. Der mögliche zugehörige Verlust, den die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands mit sich gebracht hätte, blieb ihnen dank der Rettungsmilliarden erspart.

      Eine britische Studie, deren Seriosität ich nicht beurteilen kann, will 2015 ermittelt haben, dass von den überwiesenen Milliarden nicht einmal ein Zehntel tatsächlich bei den Menschen in Griechenland angekommen ist. Der wirtschaftliche Zustand des Landes lässt das nicht ausgeschlossen erscheinen.

      Nicht zuletzt hat die mit der Griechenland-Rettung einhergehende Ermäßigung des allgemeinen Zinsniveaus dem deutschen Staat bei der Rückzahlung seiner eigenen Kredite zwischen 2008 und 2018 gemäß Schätzung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 370 Milliarden Euro erspart, wenn man es mit den Rückzahlungsbedingungen vor Griechenland vergleicht. Dem steht ein theoretischer Anteil eines allfälligen Verlusts der 298 griechischen Rettungsmilliarden gegenüber – wovon jedoch nicht die Rede sein kann, weil Griechenland diese Summe (zusätzlich zu den schon zuvor vorhandenen Schulden rund 350 Milliarden Euro) weiterhin schuldet.

      So unfair es ist, dass griechische Karikaturen Angela Merkel mit Hitlerbärtchen zeigen – ganz unverständlich ist es nicht. Man hat dieses Land so weit wie möglich ruiniert und davon de facto profitiert.

       DIE EINZIGARTIGE RETTUNG DER IBERISCHEN HALBINSEL

      Es gibt noch zwei Länder, auf deren aktuelles Wachstum die EU hinweist, wenn sie begründen will, wie sehr ihre Politik staatlichen Sparens sich bewährt: Spanien und Portugal. (Irland ist als wichtigste verbliebene EU-Steueroase ein extremer Sonderfall, den man nicht einmal seitens der EU fürs Gegenteil reklamiert, weil klar ist, dass sich jedes Land sanieren kann, indem es andere Volkswirtschaften um Steuereinnahmen bringt.)

      Wie Griechenland lag Spanien, das ich auch persönlich recht gut kenne, in seiner wirtschaftlichen Entwicklung deutlich hinter den Staaten Mitteleuropas zurück. Nicht weil seine Bevölkerung faul oder untüchtig wäre, sondern weil es bis 1975 unter Francisco Franco eine ziemlich abgeschottete Diktatur gewesen ist. Als es 1986 der EU beitrat, waren die industriellen Branchen, in denen sich große wirtschaftliche Erfolge erzielen ließen – von der Metall- über die Automobil- bis zur chemischen Industrie –, bereits von deutschen, englischen, französischen, Schweizer oder italienischen Unternehmen besetzt. Und selbst in den „Nischen“ hatten bereits etwa Betriebe aus Österreich die besten Plätze inne.

      Spanien musste sich mit dem zufrieden geben, was übrig blieb. Seine wichtigste Industrie besteht aus Automobil-Produktionsanlagen, die ausländischen Konzernen (Volkswagen, Ford usw.) gehören. Dazu gibt es eine höchst erfolgreiche Bekleidungsindustrie (Zara, Mango, Desigual, Massimo Dutti), die freilich fast nur im Ausland produziert. Neben dem Tourismus ist seine Landwirtschaft für einen bis heute viel zu großen Teil des BIP verantwortlich. Das aber ist ein grundsätzliches Problem: In der Landwirtschaft gab es sehr viel geringere Produktivitätsfortschritte als in der Industrie, so dass sie den Wohlstand sehr viel weniger steigern konnte..

      Eigenständig hat sich neben der Bekleidungsindustrie aus dem Tourismus heraus nur eine auch im europäischen Vergleich starke Bauindustrie entwickelt, der relativ starke, auch in Lateinamerika erfolgreiche Banken zur Seite standen. Als Spaniens Beitritt zum Euro Kredite für Spanier wesentlich verbilligte, führte das im Verein mit billigem Baugrund zu einem extremen Bauboom. Viele Spanier meinten, voran Andalusien würde zum Florida Europas und seine Küsten wurden aufs Grässlichste verbaut. Jeder zweite Spanier glaubte, reich zu werden, indem er in Ferienwohnungen investierte.

      Es entstand – anders als in den USA, aber ähnlich gefährlich – eine Immobilienblase, die dafür sorgte, dass die bis dahin hohe Arbeitslosigkeit massiv zurückging und die Löhne sich über Gebühr erhöhten: Sie stiegen – freilich von einem niedrigen Niveau ausgehend – bis 2007 fünf Mal stärker als die Produktivität.

      Das Platzen dieser Immobilienblase, das mit der „Finanzkrise“ eher zufällig einherging, musste daher für Spanien zu einem gewaltigen Problem werden: Allein die Beschäftigung sank um eine Million Arbeitskräfte.

      Allerdings – und das ist bei der Beurteilung der Ausgangslage des Landes mit zu bedenken – war es, im Gegensatz zu Nord-, West- und Mitteleuropa, kaum von den direkten Auswirkungen der Finanzkrise betroffen: Seine Banken hatten fast keine der toxischen US-Wertpapiere in ihren Tresoren, die deutsche, englische, französische oder österreichische Banken so sehr in Schwierigkeiten brachten, dass sie „gerettet“ werden mussten.

       Die platzende Immobilienblase

      Dennoch: Ein sehr großer Teil der spanischen Bankmisere war hausgemacht. Wenn auch einmal mehr mit gewaltiger deutscher Unterstützung: Nicht zuletzt deutsche Banken liehen, ähnlich wie in Griechenland, spanischen Banken Geld für deren viel zu leichtfertig vergebene Kredite. Und die spanische Bevölkerung investierte nicht nur in viel zu viel Beton, sondern sie verschuldete sich auch viel zu hoch, um voran deutsche Autos zu kaufen.

      Als die Finanzkrise die Zinsen steigen ließ, vermochten die privat viel zu hoch verschuldeten Spanier ihre Hypothekarkredite nicht mehr zu bedienen; die Immobilienblase platzte und viele Banken gerieten nun wie in den USA massiv ins Wanken, so dass sie trotz des Fehlens toxischer Wertpapiere gerettet werden mussten.

      Wie sieht es nun mit der Erholung Spaniens durch „Sparen“ und „Strukturreformen“ aus?

       Spaniens Entwicklung als grafisches Schaubild

      Quelle: The World Bank

       Spaniens reales BIP pro Kopf, das 2007 dank des unnatürlichen Baubooms bei 34.329 US-Dollar