New Cage. Johannes Fischler

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Название New Cage
Автор произведения Johannes Fischler
Жанр Зарубежная психология
Серия
Издательство Зарубежная психология
Год выпуска 0
isbn 9783990402122



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handeln spirituell – der Markt als Schauplatz des Religiösen

      Beobachten wir uns einmal selber im Kaufhaus: Auch ganz ohne meditative Innenschau kann jeder an sich selbst wahrnehmen, welchen Einfluss die wohlarrangierten sinnlichen Reize auf unsere Befindlichkeit ausüben. Auch wenn es sich vielleicht nur um die Ausschüttung neurochemischer Botenstoffe handelt, Lifestyle-Shopping, gelebte Markenkulte und das Mitwirken in User-Communitys gehen uns wortwörtlich unter die Haut. Denn sie provozieren spürbare innere Sensationen.

      Nicht von ungefähr wird hier vom Shopping-Erlebnis gesprochen. „Marketing spüren“ [60] lautet folgerichtig ein Buchtitel des Wiener Marketing-Insiders Christian Mikunda. Der „Vordenker der Erlebniswirtschaft und Begründer der Strategischen Dramaturgie“ bringt nahe, „warum wir uns Gefühle kaufen“ [61]. Kaum zufällig erfahren bei Mikunda die Sieben Todsünden des Christentums eine erlösende Sublimierung. Hochmut wird zu „Glory“, aus Wollust erwächst „Intensity“ – beide auch Zielobjekte der spirituellen Sinnsuche. Der Autor spricht definitiv von leiblich-energetischen Phänomenen.

      Ob wir nun wollen oder nicht, wir frönen vielleicht dem Materialismus, aber dennoch leben wir in einer durch und durch „verspiritualisierten“ Welt. Das Universum des Kapitalismus ist der Markt, man tanzt um den Warenfetisch, der Kaufrausch fungiert als Ekstaseritus der Postmoderne. Der „Markt“ dient dabei nicht als bloßer Religionsersatz. Er entpuppt sich bei näherer Betrachtung vielmehr als Projekt unserer „Wieder-Anbindung“ (von lateinisch: re-ligare). Er offenbart sich als Schauplatz einer Art fühl- und lebbaren Religiosität.

      Konsum goes Spirit – vom Prosumer-Movement zur Klientenreligion

      Ob nun bewusst inszeniert oder nicht: Das spirituelle Feeling wohnt modernen Warenkulten bereits inne. Labels wie Apple und Co. mögen dem kritischen Beobachter vielleicht schon ein wenig pseudoreligiös und zu abgehoben erscheinen. Doch eines sei an dieser Stelle festgehalten: Hier präsentiert sich diese geistige Ebene von Zugehörigkeit und Energietransfer immer noch in Verbindung mit einem Referenzobjekt: einem konkreten Ding, einem Produkt oder einer Dienstleistung mit einem vielleicht fragwürdigen, aber dennoch konkreten Nutzen in dieser Welt.

      Doch was passiert, wenn wir dieses Geistige komplett von jeder materiellen Verwendbarkeit entkoppeln? Was erwartet uns, wenn nicht mehr das Produkt in unseren Händen, sondern Spiritualität selbst, ganz ohne diesseitigen Sinn und Zweck, zum alleinigen Verbrauchsartikel mutiert? Was geschieht, wenn wir die Ballonschnur durchschneiden? Dann steigen wir auf in die Dimension des frei schwebenden spirituellen Mehrwerts. Genau hier tummeln sich haufenweise Anbieter, die es hervorragend verstehen, aus purem Nichts bares Geld zu machen. Das Prosumer-Movement transformiert sich zu dem, was Hartmut Zinser [62] passend als „Publikums- oder Klientenreligionen“ identifiziert. Spiritualität wird zum bloßen Konsumgut, das Unsichtbare zur käuflichen Ware für die Massen. Und so erleben wir die logische Weiterentwicklung eines Zeitgeistes, in dem immer mehr Geld für immer weniger ausgegeben wird.

      „If less is more, maybe nothing is everything“ (Rem Koolhaas) [63]. Es ergeht uns wie Manuel, bis letztendlich nichts mehr übrig bleibt. „Money for nothing.“

      info

      Das in modernen Warenwelten bewusst provozierte, quasireligiöse Empfinden erfährt am Markt des Spirituellen eine Art Loslösung von allem Irdischen. Bar jeden Nutzens im Diesseits zählt hier rein der spirituelle Mehrwert. Ohne materielle Grundlage ist dieser beliebig potenzierbar. Und so wird mit gar nichts sehr viel Geld gemacht.

      „Die Betreiber dieser Schule kassieren vielleicht mal an diesem Nachmittag … nur Pi mal Daumen … an die 400.000 Euro“, beteuert der Aussteller.

      Seine Augen leuchten dabei wie die eines Kindes vorm Christbaum. Er wirkt aufgeputscht, angereichert mit zu viel Business und Hochgefühl. So viel, dass sein Mitteilungsbedürfnis mit ihm durchgeht. So high, dass er den Audiorekorder in meinen Händen nicht bemerkt.

      „400.000 Euro … habe ich mich verhört? Ich verstehe nicht – wie soll das gehen?“, hake ich kopfschüttelnd nach.

      „Das ist Esoterik, mein Freund (…). Kein Akademiker, der ein bisschen Vernunft im Kopf hat, kann das verstehen!“

      Abheben im Business der Esoterik 2.0

      Wenn wir verstehen wollen, was Manuel dazu bewog, Unsummen gegen Energie zu tauschen, kommen wir nicht umhin, die Geschäftsmodelle moderner Spiritualität genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn mittlerweile stehen dem esoterischen Anbieter schier unbegrenzte Möglichkeiten der Einkommensmaximierung zur Verfügung. Wer sich selbst einmal als Channelmedium oder Abfüller von Schwingungsessenzen versuchen möchte, dem seien die nun folgenden Schritte ans Herz gelegt. Wer hingegen doch noch so etwas wie Moral in sich verspürt, der sehe die kommenden Ausführungen als Versuch, das Unverständliche verständlicher zu machen.

      Wundern Sie sich dabei nicht über den wenig sparsamen Einsatz von blumigen Spitzfindigkeiten. Diese sollen keinesfalls über den offensichtlichen Wahnsinn hinwegtäuschen, doch erträglicher machen sie ihn allemal. Denn – das sei hier schon einmal vorweggenommen – den Humus für die hier dargestellten esoterischen Stilblüten liefert eine ganze Gesellschaft, also wir selbst. Dabei zählt weniger der Fingerzeig auf andere, als vielmehr der schonungslose Blick in den Spiegel.

      Bevor wir abheben, noch einige Anmerkungen

      Der Einfachheit halber orientieren wir uns an einem simplen Stufenprogramm. Nicht von ungefähr nehmen wir damit Anleihe bei landläufigen Bewusstseins- und Aufstiegsakademien. Doch wo die Rosenheimer Kryonschule ihr Himmelreich erst nach gezählten 48 Schritten offenbart, genügen uns lediglich zehn Stationen zur totalen Erfüllung. Ob nun finanziell oder spirituell soll jeder für sich entscheiden. Eines jedoch gilt da wie dort: Der Erfolg gibt wie immer Recht.

       En gros erwarten uns folgende Inhalte

      Zuallererst geht es darum, eine passende Fantasy-Welt zu installieren. Analog zu erfolgreichen Onlinespielwelten taufen wir diese kurzerhand „World of Soulcraft“ (WoS). In dieser finden sich spirituell Berufene, hier „User“ genannt, als Helden eines mitreißenden Filmdrehbuches wieder. Über die Konsumation der passenden Produkte kann sich das zahlende Publikum selbst in das Geschehen einklinken. Angetrieben von allerlei Sehnsüchten und eingewickelt von geschickter Dramaturgie werden die User von diesem inszenierten Phantasma immer abhängiger. Je tiefer sie in die Geschichte hineinschlittern, desto auserwählter fühlen sie sich. Und je augenscheinlicher ihre Manipulation zutage tritt, desto massiver ihre Nachfrage nach energetischen Palliativen. In der Hoffnung, das Unwahrscheinliche dennoch Wirklichkeit werden zu lassen, bemühen sich die Protagonisten, immer weitere User mit ins Boot zu holen. Sie agieren nun selbst als freiberufliche Vertreter für das Unsichtbare und übernehmen frohen Mutes den Vertrieb. Der Regisseur des Ganzen kann sich getrost zurücklehnen und hemmungslos abkassieren. Denn er verdient an allem ordentlich mit, tut aber die ganze Zeit so, als wäre er nur einer von ihnen.

       Zu den Zitaten

      Sämtliche Wortmeldungen irdischer und überirdischer Meister wurden originalgetreu übernommen. Sollte die darin gewählte Sprache auf Sie da und dort etwas langatmig, schwerfällig und kaum verständlich wirken, dann geht es Ihnen gleich wie mir. Darum lassen Sie sich nicht allzu sehr vom Inhalt spiritueller Durchsagen beirren. Schließlich verhilft doch gerade auch das Wie dieser Sprache zu ihrer magnetischen Anziehungskraft. Im Bemühen, auch die darin gebotene Rechtschreibung sowie grammatikalische Besonderheiten urheberrechtlich korrekt wiederzugeben, wurde auf die Berichtigung allfälliger Fehler in den Originalzitaten – wenn möglich – verzichtet. In Härtefällen jedoch war ein korrigierendes Eingreifen aus Verständnisgründen unumgänglich.

       Für