Название | Rundgang nur mit Korb |
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Автор произведения | Peter Schmidt |
Жанр | Историческая литература |
Серия | |
Издательство | Историческая литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783957446480 |
Auf dem Betriebsparkplatz war bereits gähnende Leere. Am Freitag war die sozialistische Produktion eher erledigt als in der Woche. Und er, das Schlüsselstück? Wurde er hier wirklich gebraucht wie die Milch im Kaffee? Scheinbar konnte man hier auch ohne ihn und seine sensible Schlüsselstelle Feierabend machen.
Der Fahrtwind tat gut und wehte ihm die Sorgen der lauten und staubigen Produktionshalle aus seinen Gedanken. ›Man muss sich erst einmal dran gewöhnen‹.
Er musste ein paar Schlaglöchern ausweichen, als er in die Gustav-Adolf-Straße bog. Zu Beginn der Woche hatte er sich hier einmal verfahren. ›Umwege erhöhen die Ortskenntnis‹ hatte er zu sich gesagt. Jetzt fuhr er noch schnell an der Kaufhalle vorbei. Keine Schlange vor dem Eingang. Dann gab es auch nichts Besonderes. Darauf konnte er sich verlassen. Keine Menschenansammlung, keine Sonderangebote. Wenigstens das war so wie in Neubrandenburg. Wenn man höflich fragte, wann es Kasslerbraten oder frischen Hering gab, bekam er zur Antwort: »Das wüssten wir selber gern.« In Neubrandenburg kannten sie diesen und jenen und so purzelten wertvolle Informationen über den Ladentisch, die hin und wieder die Anstehzeit verkürzten. Hier kannten sie noch niemanden und auf freundliches Grüßen reagierten die Verkäuferinnen anders, als man in den Wald hineinrief. Man muss sich erst einmal dran gewöhnen.
Sein Blick fiel auf das Fahrradschloss unterhalb des Lenkers. Dort hatte sich Heiko festgehalten, als er ihn in Neubrandenburg in den Kindergarten gebracht hatte. Ein Sicherheitsgriff. Seine Erfindung. Er setzte den Blinker und fuhr in die Schmiedeberger Straße ein. Gleichmäßig leuchtete am Ende des Lenkers ein orangefarbenes Licht auf und ging wieder aus.
Auf dem Fußweg spazierte eine Familie. In weiße Wochenendklamotten geschlüpft lief der Kombinatsleiter Liedke mit seiner Frau und seinen Kinder über die staubigen Gehwegplatten. Genosse Liedke hatte am Freitag für gewöhnlich Außentermine. Das war im Kombinat bekannt. Ein Treffen mit dem Bürgermeister. Empfänge in den anderen sozialistischen Kombinatsleitern in der näheren und ferneren Umgebung. Auftritte zum Tag der NVA. Konferenzen. Parteitage. Immer freitags. Freitag haben wir sturmfrei. So wurde er von den neuen Kollegen begrüßt. ›Und der Kombinatsleiter hat sturmfrei von seiner Belegschaft‹ dachte er.
Auf Höhe des Kombinatsleiters drückte er auf die Hupe. Ein klägliches, gedrücktes und unnatürliches Geräusch löste sich irgendwo im Innern der Simson, schwappte aus und ergriff die Ohren des Kombinatsleiters Liedke. Der blickte sich um, hob zuerst mechanisch seine Hand zum Gruß. Er wurde wahrscheinlich viel gegrüßt, denn der Genosse Liedke war ja ein Jemand. Dann erkannte er den neuen Brigadeleiter Weber und sein unverbindlicher Gruß wurde durch ein erfreutes Lächeln persönlich.
Es tat gut zu zeigen, dass man bis Feierabend gearbeitet hat. Er hatte das Gefühl, einen guten Eindruck gemacht zu haben. Und der Kombinatsleiter? Hatte er nicht das Ziel vorgegeben, die Arbeitszeit voll auszunutzen? Zur Verteidigung des Sozialismus gegen die westlichen Imperialisten? ›Der schnellste Mann der Welt‹ dachte Axel. ›Um 16 Uhr Feierabend und um 15 Uhr schon zu Hause‹. Irgendwie läuft hier so einiges ganz anders. War seine Beförderung tatsächlich ein Aufstieg oder nur eine Umbuchung? Oder muss man sich vielleicht erst einmal dran gewöhnen?
*
Er fuhr in die Wohnsiedlung ein. Drei Blöcke. Baujahr 1975. Jeweils fünf Eingänge. Pro Aufgang zehn Familien. Zwischen den Wohnblöcken ein Kinderspielplatz mit Klettergerüst, Sandkasten, Schaukel und ein Platz zum Wäschetrocknen.
Er dachte an die Begrüßung des Kombinatsleiters. »Herzlich Willkommen Genosse Weber. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Gute Leute sind bei uns immer willkommen«. Waren die guten Leute deswegen willkommen, weil er sich dann von der Sonne des Erfolges bescheinen lassen konnte? Er, der Neue, lebte nach den Regeln, die der Leiter ausgab, aber selber nicht einhielt? Wie ein Bienenschwarm summten die Gedanken um seinen Kopf. ›Wasser predigen und Wein trinken‹. ›Wenn zwei Leute das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe.‹ Er verschluckte seine Gedanken, denn es war Wochenende. Er steuerte in eine Mopedparklücke vor dem Haus und drehte den Zündschlüssel zurück. Die Simson beruhigte sich, die gebogene Plastikfrontscheibe hörte auf zu vibrieren und der Motorenlärm verschwand in der azurblauen Atmosphäre des Nachmittags.
Sein Blick wanderte den Wohnblock hinauf. Fünfter Stock rechts. Ein kleines Vogelnest. Nicht gerade gemütlich, aber mit Fernheizung, Küche, eigenem Bad und Aussicht auf ein Telefon. »Wichtig ist, was man draus macht.« Hatte seine Frau Gerda gesagt, als sie sich die Wohnung gemeinsam anschauten.
An der überdachten Eingangstür hing eine Lampe: 13 c. Das war die Hausnummer. Immer wenn jemand nachts nach der Nummer 13 c suchte, brauchte er dazu keine Taschenlampe. Die Haustür stand weit offen. Er putzte sich die Schuhe am Stahlrost ab, das in den Türsockel eingelassen war. Er wollte keinen unnötigen Straßendreck in das Treppenhaus schleppen. Ordnung muss sein. Und wenn alle mitmachen, geht es allen besser. Eine Errungenschaft des Sozialismus. Alle ziehen am gleichen Strang. Er schloss die Tür hinter sich, denn auch das bedeutete Ordnung. Flüchtig überlas er das Schild am Informationsbrett. »Tür bitte nicht offen stehen lassen. Ab 20 Uhr bitte abschließen!« Er nickte zu sich selbst. Richtig gemacht. Ordnung muss nun mal sein. Das gefiel ihm.
Der Hausflur war von der Decke bis zur Höhe des Treppengeländers weiß gestrichen. Darunter hellblau mit weißer Wickeltechnik. In Neubrandenburg hatte er gesehen, wie die Wickeltechnik angewandt wurde. Man taucht einen Waschlappen in weiße Farbe wickelt ihn zusammen und rollt ihn von unten nach oben aus. So entstanden die Schönwetterwolken auf einem stahlblauen Frühlingshimmel. Im ersten Stock las er die Namensschilder. »Lange«; »Heinrich«. Nüchtern und anonym verrieten sie nicht, was sich dahinter verbarg. Aber man wird sich kennenlernen. Der Hausvertrauensmann stellt sie in der nächsten Woche allen Bewohnern vor.
Er musste schmunzeln, als er daran dachte, wie sie zu der Wohnung gekommen waren. Umständlich aber erfolgreich. Die Anfrage beim städtischen Wohnungsamt lief ins Leere. »Wir haben keine freien Wohnungen. Sie können aber gern jederzeit wieder nachfragen«. Die Telefonstimme der Dame war ihm damals abwesend und scheinfreundlich vorgekommen. Das Werkzeugmaschinenkombinat hatte keine Beziehungen und niemand kannte jemanden, der von einer freien Wohnung wusste. ›Scheinbar traf sich der Kombinatsleiter Liedke freitags eher selten mit den Vorsitzenden des Wohnungsamtes‹, dachte er öfter.
Er und seine Frau Gerda setzten eine Annonce in die Leipziger Zeitung. »Wir suchen eine Neubauwohnung. Mindestens zwei Zimmer, Küche, Bad. Wir bieten eine Einraumwohung in Neubrandenburg. Küche, kleines Bad.« Über zwei Monate gab es keine Resonanz. Dann kam der Brief. Frau Heller, eine ältere Dame mit einer vornehmen Handschrift, wollte zu ihren Kindern ziehen. Sie las die Anzeige in der Leipziger Zeitung im Zugabteil auf dem Weg nach Neubrandenburg. Auf dem Hauptbahnhof in Berlin hatte sie 35 Minuten Aufenthalt, bis der Zug nach Stralsund einfuhr und in der Vier-Tore-Stadt haltmachte. Sie wickelte ihre Brote aus, die sie in Zeitungspapier gepackt hatte. Dann kam der Zug und sie aß während der Fahrt weiter. Halb interessiert überflog sie die Gesuche. »Wir suchen eine Neubauwohnung. Mindestens zwei Zimmer, Küche, Bad. Wir bieten eine Einraumwohnung in Neubrandenburg. Küche, kleines Bad«, stach es ihr in die Augen.
Alles das schrieb sie in einem Brief und verschickte ihn an die Familie Axel Weber. »Ich habe eine Zweizimmerwohnung nach ihren Wünschen zum Tausch gegen eine Einzimmerwohnung in der Oststadt. Familie Weber wohnte aber nicht in der Oststadt, sondern auf dem Datzeberg. Dies war der erste Kontakt zu Frau Heller. Ein Teilerfolg. Daran musste festgehalten werden.
In der zweiten Etage las er interessiert »Pietsch«; »Müller«. Müller ist der Hausvertrauensmann. So viel wusste er schon.
Sie schrieben Frau Heller zurück an ihre jetzige Adresse. Sie würden sich um eine Wohnung in der Oststadt bemühen und einen Tauschpartner für eine Wohnung auf dem Datzeberg finden. Sie gaben eine Anzeige in der Neubrandenburger