Название | Perlen ohne Glanz |
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Автор произведения | Gerd Willms |
Жанр | Современная зарубежная литература |
Серия | |
Издательство | Современная зарубежная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783957444370 |
Als ein Besucher Bauer Erwin fragte, was er eigentlich mit dem Pony mache, erzählte er, wie Lia zu ihm gekommen war. So als wollte er sich entschuldigen, dass er überhaupt ein so nutzloses Pferd auf seinem Hof hielt. »Ja«, sagte er und kratzte sich am Kopf, »das kleine Pferde-Schweinchen habe ich aus Mitleid gekauft. Ein Bauer aus dem Nachbardorf wollte Lia nach Frankreich verkaufen. Da tat sie mir leid, und ohne zu überlegen, bot ich ein bisschen mehr Geld als der Mann aus Frankreich. Lia lebt nun schon ein ganzes Jahr bei mir.« Er schaute auf den Boden und machte ein trauriges Gesicht. »Ich weiß das so genau, weil meine Frau vor einem Jahr starb.« Ohne dass der Besucher weiter fragte, erklärte er: »Sie tut ja keinem was, und das bisschen Futter habe ich schon noch übrig für sie. Ach ja«, lenkte er die Aufmerksamkeit schnell wieder auf seine beiden anderen Pferde, »Sina kann auch hoch springen, und Boo – auf dem kann man auch reiten.«
Bauer Erwin behandelte Lia gut, aber stolz war er nicht auf sie. Stolz war er nur auf Boo und auf Sina. Sie waren seine Lieblinge.
MIT DEM HERZEN GESEHEN
Bauer Erwin war vor Kurzem sechzig Jahre geworden. Seine Frau hatte ihn »verlassen«. So hatte es sich angefühlt, als sie starb. Weil er keine Kinder hatte, lebte er allein auf dem Bauernhof und musste viel arbeiten. Wenn er in den Spiegel schaute, sah er einen Mann, der sich in den letzten Monaten verändert hatte. Seine kurz geschnittenen Haare waren grauer geworden, seine Nase länger und seine hellbraunen Augen trüber. Seine Stirn schien ihm runzliger und seine Falten im Gesicht tiefer.
Eines Tages setzte er sich in sein Auto und fuhr ins Dorf. Er sah nicht glücklich aus. Zuerst ging er in einen Holzladen und kaufte ein großes Brett. Dann schlenderte er in ein Farbengeschäft und kaufte verschiedene Farben und zwei Pinsel. Alles packte er in sein Auto und fuhr nach Hause. Das Brett, die Farbe und die beiden Pinsel brachte er in sein Arbeitszimmer und legte alles in eine Ecke. Er räumte seinen Arbeitstisch frei, legte das Brett darauf und setzte sich auf den Stuhl. Dabei stieß er laut die Luft aus, als hätte er etwas Schweres abgelegt, und saß erst mal ein paar Sekunden mit gekrümmtem Rücken da. Dann richtete er sich auf, holte tief Luft und kramte in der Schublade herum. Endlich fand er, was er suchte: ein Lineal. Er nahm einen Bleistift und fing an zu zeichnen.
Zuerst zog er mehrere gerade Linien über das Brett, dann malte er Buchstaben über die Linien. Zuerst ein »P«, dann ein »f«, ein »e«, ein »r«, ein »d« und wieder ein »e«: Pferde. Als er den Rest schrieb, wurde er etwas ruhiger. Aber die Buchstaben ließen erkennen, dass seine Hand gezitterte hatte. Und die Tropfen auf dem Brett zeigten, wie traurig er war. Er fummelte ein dreckiges Taschentuch aus seiner rechten Hosentasche hervor und wischte die Tränen vom Brett.
Nach einer halben Stunde stand er auf. Er hustete und hustete. Davon wurde er sehr müde und musste sich erst einmal ausruhen. Er ging in die Küche, füllte ein Glas mit Wasser, steckte eine große Tablette in den Mund und trank das Glas leer. Dann schlurfte er ins Wohnzimmer und legte sich auf die Couch. »Ach ja, ich bin alt geworden«, sagte er und schlief ein.
Nach einer Stunde wurde Bauer Erwin wieder wach. Er streckte sich, setzte sich grade hin und machte einen geraden Rücken. Dann ließ er die Arme kreisen, einmal rückwärts, einmal vorwärts, und wackelte ein bisschen mit dem Kopf hin und her. Er atmete schwer und stand langsam auf. »Na, siehst, es geht ja wieder!«, sagte er zu sich selbst.
Dann holte er die Farben und die Pinsel, setzte sich an den Tisch und malte die Buchstaben aus. Als er fertig war, bohrte er an jedem Ende des Brettes ein Loch und zog eine dicke Schnur durch. Vorsichtig nahm er das Brett, ging zur Straße und band es ans Tor. Dann schleppte er sich mit schweren Schritten auf die andere Straßenseite und schaute zurück. Ja, es war gelungen, alle Leute, die vorbeikamen, konnten lesen:
PFERDE ZU VERKAUFEN
Gebückt tippelte er mit kurzen Schritten wieder zurück. »Es ist besser so«, sagte er leise und zog seine Hose hoch.
Schon zwei Tage später kam der erste Käufer: ein dicker Mann aus dem Nachbardorf, den Erwin gut kannte. Er hieß Klaus. »Ich brauche ein starkes Pferd«, sagte er. »Ich arbeite im Wald und manchmal komme ich mit meinen Maschinen nicht nah genug an die gefällten Baumstämme ran. Ein starkes Pferd würde mir helfen, die Stämme aus dem Gebüsch zu ziehen. Ich weiß, dein Boo ist nicht mehr der Jüngste, aber er muss ja auch nicht jeden Tag arbeiten. Ich werde ihn gut behandeln.«
Bauer Erwin dachte: Vielleicht kommt noch ein besseres Angebot, ich warte noch ein bisschen, bevor ich zusage.
»Vielen Dank«, sagte er freundlich, »ich werde mich in den nächsten Tagen bei dir melden.« Er schrieb die Telefonnummer auf und verabschiedete den dicken Klaus.
Zwei Tage später stöckelte eine freundliche Frau auf hohen Absätzen auf den Hof von Bauer Erwin. »Ich heiße Sandra Heilmann«, stellte sie sich vor. »Sie werden sicher schon von mir gehört haben, ich gewann vor zwei Jahren den ersten Preis im Kunstreiten.« Bevor Bauer Erwin eine Frage stellen konnte, erklärte sie: »Ich will das Pferd dem Kinderheim schenken.« Dann machte sie ein mitleidvolles Gesicht und sprach mit weinerlicher Stimme: »Die armen Kinder im Heim tun mir so leid, ich will ihnen eine Freude bereiten.« Sie wartete ab, wie Bauer Erwin reagierte.
Der war ganz erstaunt und sagte: »Das ist aber sehr lieb von Ihnen, so viel Geld für die Kinder auszugeben.« Er zeigte ihr Sina, denn nur die kam infrage, dachte er sich.
Sandra Heilmann stellte befriedigt fest, dass Bauer Erwin ihr die Geschichte glaubte. »Ich werde den Kindern natürlich auch Reitunterricht geben«, fügte sie noch an, um Bauer Erwin zu überzeugen, dass sie die richtige Käuferin für die schöne und schnelle Sina war.
Bauer Erwin war froh, wenn sein schnelles Pferd Sina in ihrem Alter noch ein gutes Werk tun konnte und beschloss im Stillen, sie an Sandra Heilmann zu verkaufen. Aber er wollte noch ein paar Tage abwarten. Wer weiß, sagte er sich, vielleicht kommt jemand, dem ich meine Renn-Maus noch lieber gebe.
Weil Frau Heilmann von armen Kindern gesprochen hatte, fiel ihm eine alte hässliche Geschichte ein, die er vor Jahren im Radio gehört hatte. Es ging um einen Unfall mit einem Pferd und einem Kind. Er hatte sich aber nie genauer damit beschäftigt.
Der Namen Sandra Heilmann sagte ihm nichts, aber er wollte der Frau gegenüber auch nicht unhöflich sein. Es würde ihm sicher später einfallen, um welche Kunstreiterin es sich handelte.
Nun blieb nur noch sein Pferde-Schweinchen übrig, für das sich niemand interessierte. Bauer Erwin sagte sich: Ich verstehe die Leute. Wer will schon so ein kleines nutzloses Pferd haben? Wenn es wenigstens ein bisschen schöner aussehen würde! Aber so, na ja, ich würde das Pony auch nicht kaufen. Aber ich werd es schon los, der Schlachter nimmt es gern.
Er ging zur Koppel und rief seine Gäule zu sich. Wie immer kümmerte er sich vor allem um den starken Boo und die schnelle Sina. So schöne Pferde, dachte er und gab ihnen etwas Hafer und streichelte sie am Kopf. Lia bekam auch etwas hingeworfen, aber sie liebevoll zu streicheln oder ihr einen Klaps zu geben – auf die Idee war er noch nicht gekommen.
Bauer Erwin hatte Lia eigentlich noch nie richtig angeschaut. Sie war einfach da, fast wie eine Sache, die man eben hat. Immer hatte er nur Augen für seine beiden anderen Pferde gehabt. Heute änderte sich das.
Lia schaute ihn von der Seite an. Er sah ihre runden braunen Augen, die so treuherzig dreinschauten. Fast könnte man meinen, sie sei traurig. Meist waren ihre Augen von ihren Stirnfransen verdeckt. Dann bemerkte er auch ihre kleinen süßen Ohren, die sie ihm entgegenstreckte, als wollte sie hören, was er ihr zu sagen hatte. Hatte sie ihn schon immer so angeschaut?
Warum