Traumdealer am Abstellgleis. Selina Haritz

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Название Traumdealer am Abstellgleis
Автор произведения Selina Haritz
Жанр Современная зарубежная литература
Серия
Издательство Современная зарубежная литература
Год выпуска 0
isbn 9783944180908



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wieder und färbte alles in Bernstein. Ich setze das Porzellan an meine Lippen und trank bedächtig einen Schluck. Der Trunk umgarnte meine Zunge. Ich konnte den Geschmack der wilden Blumen schmecken, als naschte ich selbst daran. Langsam glitt mir der Honig den Gaumen hinab. Erst jetzt entfaltete er sein volles Aroma. Was für ein Abgang! Und zum krönenden Schluss breitete sich wohlige Wärme in meinen Bauch aus. Glückseligkeit.

      Ich lehnte mich in den Sessel zurück, die Beine ruhten auf einem gepolsterten Hocker. Die Blumenwiese zu meiner Rechten erstreckte sich über die sanften Hügel bis zum wolkenlosen blauen Horizont. Ein kleines Wäldchen umrahmte sie im Norden, einige Rehe grasten darauf. Zu meiner Linken wuchs eine Gruppe violetter Ahornbäume und hielten Hängematten zwischen ihren Stämmen. Sie schaukelten im Wind hin und her wie Federn. Etwas weiter hinten floss der Honig träge in Richtung des Milchsees.

      Ein breites Grinsen schob sich auf mein Gesicht. Die Welt war schön und jedes bittere Ende meilenweit entfernt. Ich steckte die Pfote in die Tasse, um auch die letzten Tropfen herauszubekommen. Während ich sie gedankenverloren abschleckte, beobachtete ich den Rehbock, der sich langsam seinem Rudel näherte – mit dem Stolz und der Anmut eines Königs. Die Rehe blickten zu ihm auf, trabten eines nach dem anderen zu ihm hin, um ihn zu begrüßen. Er senkte huldvoll den prächtigen Kopf. Meine Aufmerksamkeit wurde von zwei Meisen eingefordert, die sich zu mir auf den Tisch setzten und begannen ein kleines Stück von Mozart zu trällern. Ich wippte dazu im Takt mit der Pfote und brummte die Melodie mit. Es war ein wohliges Brummen, das zwar nicht immer den Ton traf, doch von Herzen kam. Die Vögel dankten es mir, indem sie einfach fortfuhren.

      Unbewusst sang ich lauter mit, während ich hinab zum Flussufer ging. Das Zuckerwatteschilf leuchtete in allen Regenbogenfarben. Ich hockte mich ans Ufer, an eine von der Sonne besonders kraftvoll beschienene Stelle und wartete. Kleine Blasen deuteten an, dass hier der Honig heiß genug war. Flussaufwärts trieb gerade eine Languste direkt in die brodelnde Masse. Kurz darauf fischte ich sie mit einem Stöckchen heraus. Frittiertes Krustentier in Honig. Hmmmmm. Mit beiden Pfoten brach ich sie in der Mitte durch. Das Wasser lief mir in der Schnauze zusammen. Das Fleisch war weiß und duftete nach Meer und Abenteuer. Ich schälte sie aus der Hülle und wollte hineinbeißen, als mich eine Ladung Flüssigkeit im Gesicht traf. Ich versuchte es zu ignorieren, doch das Zeug floss bereits in Richtung meines Auges. Seufzend senkte ich die Languste wieder und griff mit der anderen Pfote hinauf.

      Besser, ich hätte es gelassen. Die Sonne verdunkelte sich zum dumpfen Flackern einer Feuersauerkrautdose. Der Duft frisch gerösteter Schalentiere versank in dem verschmorten Plastiks. Panther hatte wieder vergessen, die Hülle von seiner Zigschachtel zu entfernen, ehe er sie ins Feuer geworfen hatte.

      KAPITEL DREI

      »Durch Frauen werden die Höhepunkte des Lebens bereichert und die Tiefpunkte vermehrt.« (Nietzsche)

      Ich hing zwischen der tristen Realität und dem langsam welkenden Grün meines wunderschönen Traums. Weder gelang es mir einen klaren Gedanken zu fassen, noch die Bilder meines kleinen Hauses am Honigsee festzuhalten. Ich hasste diesen Zwischenzustand. Ganz oder gar nicht war meine Devise. Also begann ich eine schmerzhafte Realitätsanalyse. Zunächst einmal hatte ich da diese nasse Pfote des Braunen im Gesicht. Ich drückte sie weg. Ich betrachtete den fragenden Ausdruck meines Leidensgenossen für einige rauchige Atemzüge. Wie immer war sein Bärengesicht von bitterer Ironie verzogen. Diese Mimik hatte er einfach drauf.

      »Geht‘s?«, knurrte er. So viel Hilfsbereitschaft rührte mich.

      »Muss.« Ich nickte und versuchte, mich weiter zu orientieren, denn ehrlich gesagt wusste ich noch immer nicht, was denn genau ‚gehen‘ sollte. Körperlich schien ich so weit vollfellig zu sein. Ich spürte meine beiden Ohren an den richtigen Stellen, konnte alle vier Pfoten bewegen und mein lachhaftes Stummelschwänzchen war auch noch da, wo es der Schöpfer vergessen hatte.

      Vorsichtig wischte ich mir über die Nase; sie war nass. Als hätte jemand Wasser …

      »Du … Du hast mich mit Zitronenlimonade übergossen«, schlussfolgerte ich aus Geschmack und Geruch. Ich wusste nicht, was mich mehr empörte. Die Tatsache, dass ich die Limonade jetzt nicht mehr trinken konnte, oder dass mein Fell klebte – noch mehr als vorher.

      »Im Krieg gibt es Verletzte«, knurrte der Braune und wischte seine Pfote an meinem Fell trocken. Ich lachte innerlich, als ich entdeckte, dass er sich damit ebenfalls Ostereierschokolade ins Fell gerieben hatte. Gerechtigkeit war ein Fuchs.

      Als er ein wenig zurücktrat, erweiterte sich mein Gesichtsfeld zusehends. Eine kleine Grubenlampe verteilte ihr schummriges Licht mit äußerster Präzision in jene Ecken, in denen sich die Konservendosen stapelten und sich der Dreck zu einem Haufen aufgetürmt hatte.

      Panthers Husten ließ mich auch in seine Richtung sehen. Sein ausgemergelter Körper war mit grün-schwarzem Moos überwuchert. Wie ein Parasit hatte es sich von seinen Pfoten hinauf fast über sein ganzes Rückenfell gezogen. Es war feucht und, wie es bei Moos üblich war: modrig. Lange würde er nicht mehr an diesem tristen Fleck Welt hausen müssen. Ich war mir jeden Tag sicherer, dass er bald eine einfache, letzte Fahrkarte kaufen würde.

      »Wo hast du dieses Mädchen her?«, knurrte der Braune und fuchtelte mit seinem verbliebenen Arm vor meiner Nase herum. Ich stemmte mich hoch, damit er nicht mehr so auf mich herabsehen konnte. Das ‚Mädchen‘ saß in eine Decke gehüllt bei Panther und schien auf das Ende des Hustenkrampfes zu warten. Neben ihr auf dem Boden lag die alberne Glocke, die ihr der Braune sicherlich gleich als Erstes abgenommen hatte. Wer bitte trug eine Glocke um den Hals ohne dabei aus Schokolade zu sein? Wir waren hier ja nicht beim Almabtrieb.

      »Also?« der Braune boxte mich in die Seite.

      »Die Frau«, betonte ich, »lag zwischen den Gleisen.«

      »Eine Aussteigerin?« So nannten wir die, die es hier herunter in die Schächte verschlug. Vornehmlich Freidenker und Künstler, die hier im Schutz menschenleerer U-Bahn-Stationen ein neues, vermeintlich besseres Leben anzufangen versuchten. Der Braune, Panther und ich gehörten zu den Aussteigern. Wie waren schon in jungen Jahren aus den Zwängen der Konsumgesellschaft geflohen.

      »Weiß nicht, sah eher nach einem Unfall aus.«

      »Schwarzgefahren …«, brummte der Braune und schüttelte seinen Kopf. Schwarzfahrer hatten es hier unten noch schwerer. Sie sehnten sich nach der Welt dort oben, zwischen Spielzeugregal und Kinderbetten. Doch es gab kein zurück. Wer zu sehr von Heimweh zerfressen wurde, löste sich irgendwann ein einfaches Ticket.

      »Also, und nur ihr drei lebt hier unten?« Ihre Frage bohrte sich unangenehm in meine Lethargie. Als rührte jemand mit einem Schneebesen durch einen Pudding, der sich gerade mit einer schönen glatten Haut zur Ruhe gesetzte hatte. Ich flüsterte dem Braunen zu: »Man hat dann bei jedem Bissen Haut auf dem Löffel, schrecklich.« Erst einen Moment später wurde mir klar, wie unsinnig sich das angehört haben musste und ich fügte schnell hinzu: »Wenn man vorher drin rumrührt, meine ich. Schrecklich« Der Braune nickte.

      »Nein, …« Panther übernahm die Rolle des Erklärbären. »Es gibt noch eine kleine Stadtkolonie in einer unbenutzten Station der Felllosen, da leben auch ein paar.«

      »Wie, unbenutzt?«

      »Keine Ahnung, scheint nicht mehr gebraucht zu werden.«

      »Was für eine Verschwendung.« Sie schüttelte ihren Kopf und ihre kleinen Ohren sausten dabei um sie wie die Rotorblätter eines Hubschraubers. »Und ihr macht hier so ‘ne Art Campingurlaub?«

      Panther schaute kurz zu uns hinüber, damit wir ihm aus dieser Misere heraushelfen konnten und ich überlegte schnell, ob mir irgendetwas von den großen Alten dazu einfiel.

      »Wer von seinem Tag nicht zwei Drittel für sich selbst hat, ist ein Sklave. Klammer auf Nietzsche, Klammer zu«, übernahm der Braune das dringend notwendige Zitat und ich ergänzte: »Das andere Drittel wird geschlafen.« Der große Alte, er hatte immer etwas Wertvolles