Lena Halberg: London '05. Ernest Nyborg

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Название Lena Halberg: London '05
Автор произведения Ernest Nyborg
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783868411317



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       Epilog

       Facts

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      Diffuses Licht fiel aus den grünlichen Mattscheiben der Notbeleuchtung auf den dunklen Bahnsteig. Tom stand regungslos und keuchte schwer, sein Puls raste. Schwarzer Rauch schlug ihm entgegen, die Luft war drückend heiß. Er hatte plötzlich keinen trockenen Faden mehr am Körper und presste sein Taschentuch vor Nase und Mund.

      Ein Zusammenstoß, dachte er und versuchte etwas zu erkennen, zwei Züge müssen frontal aufeinandergeprallt sein.

      Nur Sekunden nach Abfahrt des Zuges, die letzten Lichter der U-Bahn waren eben in der schwarzen Röhre verschwunden, drang ein schweres, ohrenbetäubendes Geräusch auf die Plattform. Das massive Dröhnen wurde unmittelbar von einem dumpfen Schlag begleitet, der den Bahnsteig erschütterte und sich an den Betonwänden in einem erstickten Ton brach. Alle Wartenden zuckten erschrocken zusammen und duckten sich instinktiv. Augenblicklich war es auch stockdunkel, die Rolltreppen stoppten. Normale Störungen, Stromausfälle oder seltsame Geräusche war man in der überalterten Anlage gewohnt, nur dieser grobe Laut war anders gewesen – etwas Ungeheures musste geschehen sein.

      Nach der gespenstischen Stille entlud sich der Schock der Menschen in einem Gewirr an Stimmen und Geräuschen – Männer riefen nach ihrer Partnerin, Kinder begannen leise zu weinen, jeder versuchte sich zu orientieren, hielt sich unbewusst am Nachbarn fest, eine Lautsprecherdurchsage mahnte zur Ruhe.

      Tom lehnte sich fest gegen eine Wand, suchte an einem Mauervorsprung Halt. Zwei Leute streiften ihn unsanft, einer davon trat ihm mit voller Wucht auf die Füße. Tom stöhnte auf, der andere murmelte etwas und drängte weiter. Eine Frau rief einen Namen, jemand rannte im Dunkeln, suchte nach dem Ausgang, stürzte. Wieder eine Durchsage mit der Aufforderung ruhig zu bleiben.

      Endlose Minuten später flackerten die Neonröhren und das Licht ging an. Die Menschen blickten verstört um sich, verließen panisch die Station nach draußen, fuhren mit den Rolltreppen, die mit einem Signal wieder anliefen, nach oben. Nur weg aus dieser Unsicherheit! Viele wollten hastig telefonieren und versuchten, ein Netz zu finden. Einige Männer standen vorgebeugt am Rand des Tunnels. Sie starrten in die Finsternis, aus der das donnernde Geräusch gekommen war, versuchten zu erkennen, was geschehen sein könnte, gestikulierten heftig.

      Wenn es ein Unglück gegeben hatte, woran kein Zweifel bestand, musste man versuchen zu helfen. Bis Rettungskräfte von draußen kamen oder die Feuerwehr zur Stelle war, würde es für Schwerverletzte zu spät sein.

      Er ließ die schützende Plakatwand los, kämpfte sich gegen den Strom der flüchtenden Menge nach vorn zur Bahnsteigkante. Kurz verständigte er sich über einen Zuruf mit den Männern auf der Plattform, sprang hinunter auf die Gleise und lief in den Tunnel hinein. Zwei aus der kleinen Gruppe folgten ihm. Es gab gerade genügend Licht, um nicht zu stolpern. Hinter ihm in der Station sprang ein Alarm an, der pulsierend bis in sein Gehirn schrillte.

      Bereits nach wenigen Metern begann es nach verbranntem Gummi oder ähnlichen Stoffen zu riechen – unangenehm, scharf, beißend. Im Halbdunkel tauchten undeutlich die Umrisse eines Waggons auf. Er stand leicht seitlich geneigt auf den Schienen, die Scheiben waren geborsten.

      Personen torkelten aus den Rauchschwaden auf Tom zu. Ein Mann trug einen Feuerlöscher in den Händen, damit hatte er die hintere Scheibe des Wagens eingeschlagen, um aus dem Zug zu kommen. Die Frau dahinter blutete aus einer klaffenden Kopfwunde, sie stöhnte, während sie an Tom vorbeilief. Ein junger Bursche, der am ganzen Körper zitterte, packte Tom an den Schultern.

      »Weg, weg!«, schrie er dabei mit vor Angst überschnappender Stimme. »Eine Explosion, es war eine Explosion, vorn sind alle tot!«

      Tom schob ihn zur Seite und hastete weiter bis zum Zug. Die Männer aus der Station, die Augenblicke zuvor noch hinter ihm waren, sah er nicht mehr. Vielleicht halfen sie den Entgegenkommenden oder sie waren aus Furcht, es könnte weitere Detonationen geben, umgekehrt. Er sah in den letzten Wagen hinein. Die Menschen dort schlugen mit verschiedenen Gegenständen die restlichen Scheibensplitter aus dem Fensterrahmen, um einigermaßen unverletzt hinausklettern zu können.

      Die helfen sich schon selbst, dachte Tom und lief weiter. Durch den Geruch war ihm ziemlich übel, er hustete in das Taschentuch und presste es noch fester vor den Mund. Nicht schlappmachen, trieb er sich an, die Leute brauchen Hilfe.

      Am vorderen Ende des Zugs sah es verheerend aus. Eine andere U-Bahn war nicht in Sicht, es war also kein Zusammenstoß gewesen. So wie die aufgerissene Längsseite des ersten Waggons aussah, musste es tatsächlich eine Explosion gegeben haben. Tom schlitterte über zerbrochenes Sicherheitsglas, das den öligen Betonboden wie feuchter Rollsplitt bedeckte. Er konnte nur mit knapper Mühe einen Sturz abfangen. Dabei trat er auf ein scharfes Metallstück, das in die Höhe schnellte, sich durch die Hose in sein Schienbein bohrte. Er schrie auf, riss das Teil heraus, schmiss es zur Seite und humpelte weiter.

      Das Loch an der Seite des Wagens war riesig. Ganze Teile der Wand fehlten, die Aluminiumplatten der Verkleidung hingen zerknittert in den verbogenen Metallverstrebungen, so als wären sie aus dünner Folie. Stücke der Inneneinrichtung lagen herum, ein bunter Plastiksitz ragte aus einem der Fenster, eine halbe Handtasche baumelte daran. Tom schaute über die abgerissene Schiebetür ins Innere des Zugs und prallte zurück. Direkt vor ihm lag ein Mann verdreht am Boden. Die Augen starrten Tom aufgerissen an, ein Arm fehlte. Das Blut hatte eine große Lache gebildet, rann unter dem Körper weg, tropfte aus den Resten der Türverankerung auf die Gleise. Tom schob den Toten ein Stück zur Seite, atmete schwer durch und kletterte in den Wagen hinein.

      Vorne hatten einige der nur leicht Verletzten die Tür zur Führerkabine aufgebrochen und sprangen angsterfüllt über die Armaturentafel hinaus in den Tunnel. Von dort liefen sie entsetzt über das Erlebte zur nächsten Station am Russel Square. Manche schüttelte es wie in Weinkrämpfen, andere wieder tasteten sich stumm vor Schrecken die Tunnelwand entlang.

      Denen, die unmittelbar rund um das zerrissene Wagenteil lagen, war nicht mehr zu helfen. Tom sah sich um, es ekelte ihn fürchterlich – überall Leichenteile, zerstörte Körper, Schuhe, Taschen, angesengte Kleidungsstücke. Die massiven Stahlplatten des Bodens waren nach unten gebogen, so als hätte eine zornige Riesenfaust hineingeschlagen. Überall war Blut. Von irgendwoher kam ein Laut wie ein unterdrücktes Weinen. Tom sah sich um – es war nicht festzustellen woher, nichts rührte sich. Er taumelte einige Schritte, wie über ein Schlachtfeld, durch den Waggon zur zweiten Tür, oder was davon übrig war. Waren die leisen Töne von dort gekommen, lebte abseits der größten Zerstörung noch jemand?

      Neben der hinteren Türöffnung lag eine Frau, das war an weißen Jeans und einer am Fuß steckenden Sandale zu erkennen. Ihr Bauch war aufgerissen, es sah aus, als wäre er von innen heraus explodiert, der Darm hing in Fetzen aus dem offenen Fleisch, es stank fürchterlich. Tom schlug sich die Hand vor den Mund, als er an dem Körper hochsah – die Hälfte des Gesichtes fehlte, aber über der Brust erkannte er die blutigen Reste eines hellgelben Sommertops.

      Das war die Frau mit dem Mädchen an der Hand gewesen. Sie erschraken, als sich die Türen schlossen und Tom – der gelaufen kam und nicht mehr stoppen konnte – gegen die Scheibe prallte. Dann sahen sie sein verdutztes Gesicht und winkten ihm lachend. Vor Tom blitzten für eine Sekunde die heiteren Augen der Frau auf, die ihm zugelächelt hatten. Wäre er nur zehn Sekunden früher dran gewesen und hätte die U-Bahn noch erreicht, läge er jetzt neben der Frau. Tom traf der Gedanke wie ein Schlag in die