Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 36/37. Thomas Jung

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Название Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 36/37
Автор произведения Thomas Jung
Жанр Афоризмы и цитаты
Серия
Издательство Афоризмы и цитаты
Год выпуска 0
isbn 9783866746640



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Prophet, die Salbung selbst Ausweis einer göttlichen Legitimation. Zum Verheißenen und Erwarteten wird der Messias erst unter dem Eindruck der politischen Katastrophen, denen die Nachfolgestaaten des Reichs Davids ausgesetzt waren. Ein restauratives Moment in den Verheißungen der Propheten wird darin deutlich, dass der Messias aus dem Hause Davids stammen soll.25 Dabei ist die Rolle eines Messias in den Verheißungen der Propheten keineswegs zentral. Was sich ankündigt, ist der Tag des Herrn, der vor allem ein Tag des Gerichts und der Strafe ist. Erst im zweiten und ersten Jahrhundert v. Chr., übrigens im Zusammenhang mit einer Ausweitung apokalyptischer Erwartung, gewinnt die Hoffnung auf den Messias als gottgesandten Menschensohn – sei er Priester, König oder Prophet – an Bedeutung. Wie die Resonanz der Taufpredigten Johannes des Täufers zeigt, hat die messianische Erwartung im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung einen hohen Grad der Erregung und Verbreitung erreicht.

      Die Vorstellung des Messias als einzelner Person ist einer Säkularisierung eigentlich nicht zugänglich. Wo sie aus ihrem theologischen Kontext gelöst und aufrechterhalten wird, verkommt sie zu einer irrationalen Führerideologie, die mit den unklaren Sehnsüchten der Massen spielt. Andererseits muss eine Kollektivierung der Messiasvorstellung nicht ohne weiteres ihre Verweltlichung bedeuten. Für Hermann Cohen ist – kantianisch, aber abweichend von der dem Judentum wenig gewogenen Bibellektüre Kants – der Messias das »Symbol« der zukünftigen, im Glauben an den einen Gott vereinten Menschheit: »[…] die Hoffnung auf die Zukunft der Menschheit, das ist der Inhalt der Messiasidee«26. Säkularisiert ist dieser Gedanke in Erich Fromms Interpretation der prophetischen Verheißung, der zufolge der Messias »ein Symbol der eigenen Anstrengung« ist.27

      Ebenfalls kollektiviert und säkularisiert ist die Messiasgestalt in Benjamins Vorstellung von der Praxis des revolutionären Proletariats oder allgemeiner: vom »Subjekt der Geschichte«, welches »die kämpfende unterdrückte Klasse in ihrer exponiertesten Situation« ist.28 Dem Proletariat sei eine »schwache messianische Kraft mitgegeben«29 – und ebenso dem Historiker, der das Bild der Vergangenheit festzuhalten und zu entfalten sucht, das im Augenblick der Gefahr und der revolutionären Aktion aufblitzt. Die Messianität des Subjekts der Geschichte – der geschichtlichen Tat sowohl wie der ihr zugehörigen Geschichtsschreibung – ist also zunächst definiert durch die Aufgabe, Vergangenes für das universale Eingedenken zu retten. Es gilt, ein unwiederbringliches Bild festzuhalten, »das mit jeder Gegenwart zu verschwinden droht, die sich nicht als in ihm gemeint erkannte.«30 Die Verwendung der religiösen Termini ist in Benjamins eigener Reflexion eine »Indienstnahme« der Theologie für die Praxis und Theorie der sozialen Revolution. »Dem Begriff der klassenlosen Gesellschaft muß sein echtes messianisches Gesicht wiedergegeben werden, und zwar im Interesse der revolutionären Politik des Proletariats selbst.«31 Die Selbstinterpretation in theologischen Begriffen – und deren Instrumentalisierung ist schon ihre Verweltlichung – kommt der revolutionären Sache in Benjamins Augen vor allem deshalb zugute, weil Hass und Opferwillen »sich an dem Bild der geknechteten Vorfahren, nicht am Bild der befreiten Enkel«32 nähren.

      Auch das Auftreten des Messias und seine Begleitumstände können ein säkulares Denken der Befreiung inspirieren. Da ist zunächst das Beieinander von Unheil und Heil wie noch in Hölderlins Patmos-Hymne: »wo aber Gefahr ist, wächst / das Rettende auch.« In der Bibel sind Gefahr und Rettung das Wirken Gottes. In einer säkularen Betrachtung gibt es für das Katastrophische zunächst zwei Möglichkeiten: Es ist entweder Manifestation der durch die Zivilisation unterdrückten finsteren Natur des Menschen oder eine Reaktion auf die Einschränkungen, die Zivilisation der menschlichen Natur überhaupt auferlegt, also eine innerhistorische Kraft, kein Ausbruch von unten. Möglicherweise können diese beiden Modelle auch ergänzt und kombiniert werden, wichtiger jedoch ist, dass es eine weitere Möglichkeit der Säkularisierung gibt, nämlich die strikte Veralltäglichung des Katastrophalen, wie sie von Walter Benjamin vollzogen wird: Dass es so weiter geht, ist die Katastrophe – natürlich nicht für die jeunesse doreé, sondern für die im Dunkeln.33 Angesichts dieser Alltäglichkeit des Katastrophischen, die im Ablauf der Zeit Trümmer auf Trümmer häuft, kann der wahre Fortschritt nur darin bestehen, »das Kontinuum der Geschichte aufzusprengen.«34 Diese Zeitvorstellung ist in der Tat »messianisch«, denn auch »der Tag des Herrn« setzt ein Ende, bricht eine historische Dauer ab, ist nicht das immanente Ziel einer Entwicklung. In der Metapher des Sprengens aber kommt die Immanenz der befreienden Kraft zum Ausdruck.

      Die Vorstellung, dass das Anwachsen und die Vollendung des Negativen das Heil, die Erlösung, fördert oder sein Nahen anzeigt oder zumindest sein Wesen verdeutlicht, gehört zu den unverkennbar messianischen Motiven auch in der Philosophie von Adorno und Horkheimer. Es ist dann auch nur konsequent, wenn eine wirkliche Veränderung nur noch von dem Augenblick erwartet wird, für den es keine Vorbereitung gibt, der also schon der nächste sein kann.35 Der Minima Moralia zufolge schließt »die vollendete Negativität, einmal ganz anders ins Auge gefaßt, zur Spiegelschrift ihres Gegenteils«36 zusammen. In der Dialektik der Aufklärung heißt es zur Ideologie des faschistischen Tickets: »Während es keine Wahrheit zuläßt, an der es gemessen werden könnte, tritt im Unmaß seines Widersinns die Wahrheit negativ zum Greifen nahe, von der die Urteilslosen einzig durch die volle Einbuße des Denkens getrennt zu halten sind.«37 Es ist eine original messianische Haltung, die Befreiung in jedem Moment zu erwarten, gerade weil die Last so drückend geworden ist, dass keine planende Vorbereitung mehr möglich scheint. Aber diese Haltung ist eine Schwundstufe revolutionärer Hoffnung auch da, wo sie sich so eindrucksvoll äußert wie in Horkheimers Worten von 1941:

      »So verstümmelt alle auch sind, in der Spanne eines Augenblicks könnten sie gewahr werden, daß die unter dem Zwang der Herrschaft durchrationalisierte Welt sie von der Selbsterhaltung entbinden könnte, die sie jetzt noch gegeneinander stellt. Der Terror, der der Vernunft nachhilft, ist zugleich das letzte Mittel, sie aufzuhalten, so nah ist die Wahrheit gekommen.«38

      3. Messianische Motive bei Adorno

       3.1 Motiv der Rettung; Auferstehungshoffnung und Transzendenz

      Das messianische Motiv, das im philosophischen Denken Adornos im Mittelpunkt steht, ist das Motiv der Rettung. Sie sei »der innerste Impuls jeglichen Geistes«.39 Erstaunlicherweise zieht Adorno die säkularisierte Version dieses Motivs, wie es sich bei Benjamin findet, nicht in Betracht. Für ihn ist nicht mehr und nicht weniger gemeint als »leibhafte Auferstehung«, die ihm als Inhalt christlicher Dogmatik vor Augen steht.40 Angesichts der oben erwähnten theologiekritischen Voraussetzungen kann Adornos Position nur in Paradoxa gipfeln: »Wer an Gott glaubt, kann deshalb an ihn nicht glauben. Die Möglichkeit, für welche der göttliche Name steht, wird festgehalten von dem, der nicht glaubt.«41 Das gleicht von ferne dem Leitmotiv der Bloch’schen Religionsphilosophie, nach der nur ein Atheist ein guter Christ sein kann, aber eben nur von ferne. Denn bei Bloch wird der Gegensatz von Erlösung und göttlicher Herrschaft betont, während sich Adorno für einen Abbruch der Reflexion einsetzt: »Hoffnung auch nur zu denken, frevelt an ihr und arbeitet ihr entgegen.«42 Aus welchem anderen Grund aber sollte ihre Reflexion der eschatologisch gefassten Hoffnung entgegenarbeiten, als dass sie deren Grundlosigkeit zu Tage fördern könnte? Eine Hoffnung, die nicht mehr gedacht werden kann, hat jedoch keinen Inhalt mehr und verdient diesen Namen nicht. Eschatologische Hoffnung verdankt sich der Verheißung oder wenigstens einem Vernunftschluss, der auf Transzendentes – ein Anderes als diese Welt – geht. Wird weder das eine noch das andere geglaubt, kann sich jene Hoffnung nicht erhalten. Sie zieht sich zurück auf ein unbestimmtes Sehnen: »Keine Transzendenz ist übrig als die von Sehnsucht.«43 Aber die Sehnsucht beweist nicht, dass es das Ersehnte gibt. Was bleibt, ist eine wehmütige Erinnerung, die von der stets sich erneuernden Sehnsucht wach gehalten wird. Für sie kann allerdings gelten, dass ihr Fehlen das Menschliche um eine wichtige Dimension ärmer macht.

      Das Denkverbot über die Hoffnung ist umso unverständlicher, als Adorno behauptet, dass Erkenntnis auf den Gedanken der Erlösung, Wahrheit auf den des Absoluten, Geist auf eschatologische Hoffnung angewiesen ist. Reklamiert wird »die Erfahrung, daß der Gedanke, der sich nicht enthauptet, in Transzendenz mündet, bis zur Idee einer Verfassung der Welt, in der nicht nur bestehendes Leid abgeschafft, sondern noch das unwiderruflich vergangene widerrufen wäre.«44 Adorno setzt die Erfahrung dem Argument entgegen, aber metaphysische Erfahrung selbst, in der das Moment des Dabeiseins