Название | Der arme Trillionär |
---|---|
Автор произведения | Georg Ransmayr |
Жанр | Биографии и Мемуары |
Серия | |
Издательство | Биографии и Мемуары |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783990404263 |
Die Geldentwertung war freilich schon mit der Mobilmachung im August 1914 losgetreten worden. Stolz und blindwütig war die Monarchie in einen Waffengang gestolpert, für den sie weder militärisch noch finanziell vorgesorgt hatte. Als sich der schnelle Sieg als eine grauenhafte Illusion erwiesen hatte und die Kriegskosten explodierten, brachte das Kaiserreich eine Reihe von Kriegsanleihen unters Volk. Mit dem Geld, das dadurch hereinkam, konnte die Finanzverwaltung immerhin 60 Prozent der Kriegskosten bis 1918 decken. Die restlichen 40 Prozent „bezahlte“ der Staat, indem er sich immer größere Kredite bei der k. u. k. Notenbank genehmigte, die für die notwendige Geldschwemme sorgte. Für das viele Papiergeld gab es im Lauf des Krieges aber immer weniger zu kaufen. Für die verbliebenen Waren und Lebensmittel sind die Preise daher in den Himmel geschossen. Im November 1918 musste man für einen typischen Einkaufskorb 16-mal so viel zahlen wie im Juli 1914.11
Nach der kriegsbedingten Inflation wurde Österreich Ende 1918 von einer Nachkriegsinflation erfasst, die sich an den Versorgungsengpässen in vielen Bereichen der Wirtschaft entzündete. Ab September 1919 verschärften sich die Preissteigerungen, weil der Friedensvertrag von Saint-Germain für Österreich herbe Enttäuschungen brachte. Die Teuerung fing an zu galoppieren, bevor sie im Herbst 1921 komplett ausuferte und den Staat bis Oktober 1922 durch einen hyperinflationären Würgegriff beinahe in den Ruin trieb. Darüber hinaus war der Wechselkurs der österreichischen Krone nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie in den Keller gerasselt. Dadurch explodierten die Importpreise für Kohle, Rohstoffe und Lebensmittel, was die Inflation zusätzlich anheizte. Die Erste Republik kam budgetär nur über die Runden, indem sie auf Teufel komm‘ raus das benötigte Geld ungeniert drucken ließ. Oder wie der Kaffeehaus-Literat Anton Kuh ironisch gemeint hat: „Der Staat lebte nur noch vom Banknotenfälschen.“12
Der Glaube ans Geld wurde vom Glauben ans Glück abgelöst. Um den erlösenden Tipp für die Flucht aus dem Alltag zu erheischen, boomte das Geschäft mit der Hellseherei. Aus der „Alles ist hin“-Stimmung wurde die „Alles oder nichts“-Stimmung, die zu einer Spielleidenschaft führte, die breite Schichten wie eine Epidemie erfasste.13
Der Mittelstand war auch demoralisiert genug, um leichtlebigen Verdrängungsmechanismen zu verfallen. Viele hatten ihre Ersparnisse in festverzinslichen Kriegsanleihen angelegt, die wertlos geworden waren. Vor allem die Beamten und ehemaligen Offiziere konnten von ihrem früheren Leben nur mehr träumen. Viele mussten den Familienschmuck ins Pfandhaus tragen. Andere halfen sich damit, dass Untermieter aufgenommen oder private Spielsalons mit Bewirtung aufgezogen wurden oder – Ehefrauen und Töchter der Prostitution nachgingen, um das karge Haushaltsbudget aufzubessern. Nicht umsonst wird in den „Inflationsromanen“ der Zwischenkriegszeit häufig die Armutsgefährdung thematisiert, die viele Frauen schichtenübergreifend dazu gezwungen habe, sich zu verkaufen.14
Aber auch dort, wo die Finanznöte nicht so dramatische Auswirkungen hatten, war der Mittelstand von Abstiegsängsten geplagt. Einfache Industriearbeiter kamen nämlich mit ihren Löhnen, die periodisch an die Geldentwertung angepasst wurden, immer näher an das Einkommensniveau der bürgerlichen Mittelschichten heran. Schwer angeknackst war das Selbstwertgefühl des Beamtenbürgertums durch das Erscheinen wirtschaftskundiger Newcomer mit kleinbürgerlichem Hintergrund. Ihr Erfolg ließ standesbewusste Inflationsverlierer als Versager dastehen. Die wirren Nachkriegsjahre waren eben eine Zeit, in der sich talentierte Aufsteiger und erfolgshungrige Zuwanderer durchschlängeln und hinaufarbeiten konnten.15
Man darf auch nicht glauben, dass die Geldentwertung damals ganz Österreich in ein ruinöses Flimmerlicht tauchte und überall nur Jammerstimmung geherrscht hat. Im Gegenteil: 1921 gab es eine kurze Hochkonjunktur mit Vollbeschäftigung. Die Baubranche erlebte durch den Siegeszug der E-Wirtschaft einen Aufschwung. In bestimmten Branchen konnten innovationsfreudige Firmen dem üblen Wirtschaftsklima durchaus Paroli bieten.16
Die Tricks der Inflationsgewinnler
Die Inflation, die ganz Wien elektrisiert hat, war für Sigmund Bosel keine Tragödie. Der junge Kommerzialrat kann sich 1920 glücklich schätzen, dass er zu Kriegszeiten seine Gewinne teilweise ins Ausland transferiert hat. Während die inländischen Sparguthaben durch die Geldentwertung ausradiert werden, hat Bosel Fremdwährungen in der Hinterhand. Damit entwickelt der Millionär, der sich inflationsbedingt schnell zum Milliardär mausert, eine gewaltige Kaufkraft.
Überhaupt sind damals all jene fein heraus gewesen, denen der Wunderglaube gefehlt hat, dass die Monarchie den Krieg gewinnt und überlebt. Manche haben schon vor 1918 ihr Vermögen in die Schweiz und andere neutrale Staaten verfrachtet. Als im Frühjahr 1919 die Angst umgeht, dass mit dem ungarischen Kommunisten Béla Kun der Funke der Revolution auf Wien überspringt, nimmt die Kapitalflucht aus Österreich enorme Dimensionen an. Der Wert der „Krone“ stürzt in den Keller. In Wien und anderswo wollen auf einmal alle ihre Kronen-Banknoten loswerden, so als würden die Scheine einen schädlichen Virus übertragen. Der ständige Währungsverfall wird zu einer Begleiterscheinung der Inflation.17
Der ökonomische Hausverstand sagt damals, dass man durchs Schuldenmachen reich werden kann. Indem man vorzugsweise auf Pump Wertpapiere oder Wertsachen kauft und sich mit den Kreditraten Zeit lässt. Bis 1922 ist dieses Geschäftsprinzip mit etwas Glück und Nervenstärke deppensicher gewesen. Man hat nur jemanden finden müssen, der einem Geld borgt. Denn wegen der horrenden Inflation rechnet sich praktisch jede Investition. Während die ausgeborgte Darlehenssumme gleich bleibt, steigen die erzielbaren Erlöse wie das Amen im Gebet. Damit wird jede Kredit-Rückzahlung ein Kinderspiel. Der 1999 verstorbene Börsen-Guru André Kostolany hat das Wesen der Nachkriegsinflation daher so umrissen: „Die Inflation ist die Hölle der Gläubiger und das Paradies der Schuldner.“18
Zu den Tricks der Inflationsgewinnler gehört auch eine andere Methode – nämlich Rechnungen, die auf einen fixen Kronen-Betrag lauten, so spät wie möglich zu begleichen. Einkäufer mit einer laxen Zahlungsmoral haben mit dieser Masche de facto Zusatzrabatte einstreichen können. Irgendwann hat wohl auch Sigmund Bosel damit angefangen, seine Zahlungsfristen zu strecken. Gleichzeitig nimmt sich der Finanzjongleur bei seinen Hausbanken in großem Stil Kredite, mit denen er neben Aktien und Schmuck auch Immobilien und Firmenübernahmen finanziert. „Bosel verstand am frühesten von allen die Melodie der Zeit, die einfach wie ein Gassenhauer war: Kronen schuldig bleiben und Sachwerte auftürmen. Da er diese Parole am zügigsten aufgriff, galt er eben als genial.“19
In den Geschäften der Luxuswarenhersteller und Schmuckhändler sind die neureichen Inflationsgewinnler gerne gesehen.
Sigmund Bosel ist damals nicht mehr der Bittsteller von einst, der die Hinterstiegen hinaufeilt,