Traumzeit für Millionäre. Roman Sandgruber

Читать онлайн.
Название Traumzeit für Millionäre
Автор произведения Roman Sandgruber
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783990401842



Скачать книгу

geb. Brodsky, war die Witwe von Prof. Ludwig Mauthner, dem berühmten Augenarzt, der 1894 zum Ordinarius an der Universität Wien ernannt worden war, aber am Tag seiner Angelobung verstarb. Rebekka Brodsky-Mauthner war eine der reichsten Frauen Russlands.

      Zwei Ärzte, die nicht an Universitäten tätig waren, hatten als Freiberufler oder Unselbständige die Grenze von 100.000 Kronen überschritten, allerdings in keinem Falle deswegen, weil sie eine derart gut gehende Praxis hatten, sondern weil sie aus eigenem Vermögen oder dem ihrer Gattin entsprechende Einkommen lukrieren konnten. Das Jahreseinkommen des Arztes Dr. Max Gnesda stieg durch die Heirat mit Auguste Urban, einer Tochter des Großindustriellen Anton Urban, von 16.546 Kronen 1909 auf 115.618 Kronen 1910. Über sein Leben ist wenig bekannt. 1932 wurde er zum Leiter des nicht wirklich bedeutenden St. Rochus Spitals im 14. Wiener Gemeindebezirk ernannt, an welchem er seit 1903 tätig gewesen war. Auch der blinde Arzt Dr. Ferdinand Mandl wird trotz der ihm zugeschriebenen magisch heilenden Kräfte sein hohes Einkommen von 138.000 Kronen nicht aus der Arztpraxis, sondern aus seinen Firmenanteilen und Wertpapieren bezogen haben.

      „Der Künstler beherrschte die Epoche; alle Rang- und Standesunterschiede durchbrechend, trat er, wenn ihn der Erfolg beglaubigte, mit einem Schlage aus dem Nichts ins All“, schwärmte Raoul Auernheimer über das Wien der Jahrhundertwende.223 Das Wiener Fin de Siècle ist berühmt für sein heute Millionenwerte repräsentierendes Kunstschaffen. Doch keiner der Kulturschaffenden, der Maler, Architekten, Designer oder auch Literaten konnte in den Einkommensolymp von mehr als 100.000 vorstoßen. Nur in der leichten Muse war das möglich. 1910 hatte Wien die weltweite Führung im Operettenschaffen übernommen. Fast über Nacht waren die drei bekanntesten Komponisten der silbernen Operette zu Millionären geworden: Franz Lehár, Leo Fall und Oscar Straus. 1910 standen sie am Höhepunkt ihres Erfolgs. Die Lustige Witwe, Der Fidele Bauer und Ein Walzertraum wurden die meistgespielten Operetten nicht nur ihrer Zeit. Auch der routinierteste Librettoschreiber der Zeit, Victor Léon, schnitt mit ihnen mit. 1910 versteuerte Leo Fall 121.810 Kronen, Oskar Straus 186.365, Franz Lehár 193.187 und ihr Librettist Viktor Léon 108.305 Kronen.

      Leo Fall war 1907 bis 1908 mit drei Operetten, dem Fidelen Bauern, der Dollarprinzessin und der Geschiedenen Frau innerhalb kürzester Zeit zum weltweit bekannten Erfolgskomponisten geworden. 1910 war er auf den drei wichtigsten Wiener Operettenbühnen mit drei Uraufführungen (Puppenmädel, Die schöne Risette und Die Sirene) präsent, was außer ihm nur Franz Lehár mit Fürstenkind, Graf von Luxemburg und Zigeunerliebe in der vorhergehenden Spielzeit gelungen war. Victor Léon schrieb nach dem Sensationserfolg des Fidelen Bauern: „Fall‘s Brieftasche ist zu klein. Kauft sich große. Geht fortwährend mit von Banknoten geschwellter Brust herum.“224 Die Dollarprinzessin machte Leo Fall reich. Mit dem plötzlichen Reichtum wurde die „Villa Dollarprinzessin“ in der Lainzerstraße erworben und fürstlich ausgestattet. „Fall, der in seinem Äußeren eher wie ein Börsenspekulant als ein Künstler“225 wirkte, verstand vom Geschäft recht wenig. Er war ein Verschwender. Der haushälterisch veranlagte Franz Lehár warnte ihn. So wie Oscar Straus dem Glückspiel und den Pokerkarten verfallen war, wo er immer wieder beträchtliche Summen verlor, gaben Fall und seine Frau das Geld in vollen Zügen aus: z. B. 78.350 Kronen im Dezember 1910 für ein Perlencollier vom Juwelier Moritz Kraus oder einige zehntausend für den Renault-Wagen. 48.709,80 Mark kostete die noble Inneneinrichtung der neu erworbenen Villa, 50.586 Kronen hatten die Umbaukosten betragen.226 Der Krieg wirkte sich auf die Einnahmen des Komponisten sehr nachteilig aus. Leo Falls Finanzlage wurde immer bedrohlicher, der „60-HP-Wagen“ der Fa. Benz, die Schulden beim Tischler, die Hypothek auf dem Haus … Im Dezember 1918 schrieb ihm das Steueramt Hietzing eine Kriegsgewinn- und Einkommenssteuer in Höhe von 135.000 Kronen vor …227 Doch das Ehepaar lebte weiter weit über die Verhältnisse. Leo Falls früher Krebstod beendete alle Chancen. Die Villa musste verkauft werden. 1934 beging Falls Witwe, 53-jährig, völlig verarmt, Selbstmord.

      Franz Lehárs musikalische Karriere als Orchestermusiker und Kapellmeister hatte über Barmen-Elberfeld, Pola, Triest und Budapest nach Wien geführt. Schon mit seinen beiden Erstlingswerken Wiener Frauen und Der Rastelbinder galt er als der kommende Mann der Operette. Mit dem Welterfolg der Lustigen Witwe (1905) setzte er sich endgültig an die Spitze der damaligen Operettenkomponisten. Franz Lehárs Erstlingswerke waren von Josef Weinberger, dem Nestor der Wiener Musikverleger, betreut worden. Weinberger habe den Aussagen Lehárs zufolge für den Rastelbinder 2.000 Kronen bezahlt und 160.000 Kronen daran verdient. 1904 hatte Lehár daher das Verlagsrecht für seine nächsten Operetten der Fa. Doblinger überlassen.228 Der dritte der Könige der Silbernen Operette, Oscar Straus, Sohn des jüdischen Bankiers Leopold Straus, trat um die Jahrhundertwende mit mehreren Operetten hervor. Am bekanntesten und finanziell erfolgreichsten wurde Ein Walzertraum von 1907. Straus deklarierte ein deutlich höheres Einkommen als Fall, was wohl mit seiner deutlich reicheren Herkunft und einem ererbten Vermögen zu erklären sein dürfte. Sein Umgang mit Geld dürfte allerdings dem von Fall recht ähnlich gewesen sein.

       Gab sein Geld in vollen Zügen aus. Komponist Leo Fall.

       Viktor Léon wirkte mit seinen Operettenlibrettos an den Erfolgen mit: Im Jahre 1897 war ihm mit dem Textbuch zu Richard Heubergers Musikstück Der Opernball der Durchbruch gelungen. Wirklich gut verdiente er mit Wiener Blut und der Lustigen Witwe. Insgesamt verfasste er die Libretti für 75 Operetten. Die Tantiemen wurden mit den Komponisten meist eins zu eins geteilt. In zahlreichen Fällen erhielt er als Librettist sogar mehr als der Komponist, etwa beim Fidelen Bauern, wo 55 Prozent auf Léon und 45 Prozent auf Fall entfielen. Auch wenn die Texte noch so banal anmuten mögen, trugen sie doch maßgeblich zu den Bühnenerfolgen bei. Doch ein Teil der Einkünfte Léons könnte auch aus Kapitalerträgen gestammt haben. Léon hatte zwar keine Vermögen geerbt. Aber er hatte reich geheiratet.

      Ein anderer Komponist der leichten Muse, Gustav Pick, der durch das Fiakerlied schlagartig bekannt geworden war – die Schrammeln formten es zur heimlichen Hymne Wiens –, eilte sein ganzes Leben vergeblich dem großen finanziellen Erfolg hinterher. Arthur Schnitzler schrieb, Pick habe sich noch als Achtziger, nicht zu Unrecht, immer wieder bitter beklagt, dass er keinerlei Tantiemen für seine Schöpfung, hingegen der geschickte Verleger Hunderttausende daran verdient habe.229 Am 10. 11. 1907 notierte Schnitzler in sein Tagebuch: „Gustav Pick, jetzt 75 … der alte Mann, der nun Carrière machen und Geld verdienen will!“ und am 12. 6. 1918: „Gustav Pick kommt, der 86jährige – immer noch auf der Suche nach einem, der seine ,Operette‘ theaterfertig macht.“ Pick war aber durchaus wohlhabend. Er war mit einer Tochter Salomon Weikersheims verheiratet. In Wien wechselte er oft die Anschrift und führte ein großes Haus, etwa in der Kantgasse 2 mit großem Marmorsaal und türkischem Zimmer. Einflussreiche Leute verkehrten dort. Schnitzler beschrieb Pick als „im ganzen sehr aristokratisch und dazu ein ganz klein wenig wie ein jüdischer Patriarch“. Er nahm ihn als das Urbild des alten Eissler in Der Weg ins Freie.

       „Der fidele Bauer“: Librettist Viktor Léon erhielt mehr Tantiemen als Komponist Leo Fall.

      Ernste Musik konnte da nicht mithalten. Man kann nur von Komponisten berichten, die ihrem finanziellen Erfolg hinterherliefen. Arnold Schönberg war, um über die Runden zu kommen, auf wohlhabende Mäzene und Mäzeninnen angewiesen. Auch Hugo Wolf brauchte Geldgeber. Nicht auf Sponsoren angewiesen war Gustav Mahler. Er verdiente als Operndirektor in Wien etwa 28.000 Kronen im Jahr. Wie viel aus Tantiemen für seine Kompositionen und aus Sonderverträgen noch dazukam, ist ungewiss. 1907 hatte er genervt die Operndirektion für ein Engagement in New York aufgegeben, gelockt durch das höchste Gehalt, das die Metropolitan Opera jemals einem Dirigenten zahlte, 15.000 $ oder 75.000 Kronen, mehr als das Doppelte dessen, was Mahler in Wien erhalten hatte. Als er 1910 nach Europa zurückkehrte, war er bereits todkrank.

      Mehr als doppelt so viel wie Lehár, Straus oder Fall verdiente der größte Musikverleger