Traumzeit für Millionäre. Roman Sandgruber

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Название Traumzeit für Millionäre
Автор произведения Roman Sandgruber
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783990401842



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arbeitete durch mehr als 50 Jahre als äußerst angesehener Strafverteidiger. Er war verheiratet mit Jeanette Mandl, der Schwester von Max Mandl von Maldenau. Gelobt wurde er als Künstler unter den Verteidigern („Ich bin Musiker. Ich höre, was dem Angeklagten schadet.“). Berühmt wurde seine erfolgreiche Verteidigung für den Beleuchtungsinspektor Breithofer im Ringtheaterbrandprozess: „Wo alle den Kopf verloren, könne man nicht verlangen, dass ihn gerade einer aufbehalte.“ Auch Dr. Eduard Coumont, der die berühmte Kanzlei des Dr. Wilhelm Stammfest übernommen hatte, war bald einer der bekanntesten und meistbeschäftigten Anwälte auf zivilrechtlichem Gebiete. Mehr als zwei Jahrzehnte betreute er als Schriftleiter die Allgemeine Österreichische Gerichtszeitung, war Rechtsanwalt Kaiser Karls, der Nationalbank und vieler großer Industrieunternehmen.

      Wichtige und große Einzelklienten konnten einen Rechtsanwalt reich machen: Das galt für Dr. Adolf Gallia. Sein Einkommen stammte praktisch ausschließlich aus der Vertretung und Durchsetzung der Patentrechte für Auer von Welsbach. Der Hof- und Gerichtsadvokat Dr. Leopold Teltscher personifizierte die Verbindung der Niederösterreichischen Escompte-Gesellschaft zur Beleuchtungsindustrie. Er war sowohl Repräsentant der Imperial Continental Gas-Association wie auch Präsident der Vereinigten Elektrizitäts AG, einer Art Elektroholding. Dr. August Periz war Präsident der österreichischen Gasbeleuchtungs AG und Verwaltungsrat der Wiener Gasindustrie-Gesellschaft.

       Akademische Ausbildung

       Eigene Auszählung

       Ein Chirurg als Topverdiener: Anton Freiherr von Eiselsberg.

      Rechtsanwalt war auch Dr. Gustav Bloch, der sich seit 1917 Bloch-Bauer nannte. Er war mit Therese Bauer verheiratet, der Tochter des Direktors des Wiener Bankvereins Moritz Bauer. Maria Altmann, die von ihrer Tante Adele Bloch-Bauer die berühmten Klimt-Bilder erbte, ist eine Tochter des Ehepaars. Auch die beiden Kranz-Brüder, Dr. Sigmund und Dr. Josef Kranz, die Söhne des Kreisrabbiners von Auschwitz, waren Advokaten. Beide machten eine spektakuläre Karriere. Während Sigmund Kranz durch die Ehe mit Malwida (Malvine) Zwieback, der Tochter des Warenhausbesitzers Ludwig Zwieback, reich wurde, war das Leben seines Bruders Josef mehr als wild bewegt: Tätigkeit im Finanzministerium, Industriegründungen in Bosnien-Herzegowina, Übernahme der Präsidentschaft der Depositenbank, Führer des Spiritus-Kartells. Am 15. Juni 1916 adoptierte er Regina Wiener, verwitwete Zirner, die später unter dem Namen Gina Kaus bekannt wurde. Ihr Ehemann Josef Zirner, der Sohn des Juweliers Max Zirner und der Gisela Zwieback, war am 20. Juli 1915 gefallen. In Wahrheit war diese Adoption nur der Ersatz für eine Eheschließung, die Kranz, da formell nicht geschieden, wohl eine Anklage wegen Bigamie eingebracht hätte. Bekannt wurde Kranz durch den Prozess, der 1917 gegen ihn und Hans Reitzes wegen Preistreiberei geführt und in dem er zu neun Monaten Haft verurteilt wurde. Gina Kaus beschreibt ihn als Finanzgenie, der es von kleinsten Verhältnissen zum Millionär gebracht hatte.204

      Bis heute besteht die 1878 gegründete Anwaltskanzlei Weiss-Tessbach. Sie geht auf Dr. Adolf Weiss, ab 1886 Ritter von Tessbach, zurück. Aus bescheidenen Verhältnissen in Groß Ullersdorf (Velky Losiny)/​Mähren stammend, gründete er 1878 in Wien eine Rechtsanwaltskanzlei. Als Verwaltungsrat der Credit-Anstalt und Reichsrats- und Landtagsabgeordneter kam er zu großem Vermögen, das er in Immobilien investierte und das seinem gleichnamigen Sohn ein Leben als Gutsherr erlaubte. Die Anwaltstradition wurde aber in der nächsten Generation wieder weitergeführt.

      Die Anwaltskanzleien entwickelten sich danach, ob ihre Klientel aus der „besseren Gesellschaft“ oder von den „kleinen Leuten“ kam. Ein Titel oder ein „von“ konnte helfen, eine bestimmte Klientenschicht anzusprechen. Noch wichtiger war aber die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu, waren Bekanntschaften und Beziehungen aus dem familiären Umfeld oder aus Funktionen in der Wirtschaft, aus der Politik oder durch eine Vereinsmitgliedschaft. Letztere konnte die eines Sportvereines, eines Automobilklubs, des Alpenvereins, der Musikfreunde, einer Studentenverbindung oder der Freimaurer sein. Vielfach bestimmte sich bei einer Kanzleiübernahme die Klientel nach dem vom Kanzleivorgänger übernommenen Mandatsbestand.205 Von den 681 Wiener Anwälten im Jahr 1893 waren mehr als die Hälfte, insgesamt 395 Juden. Unter den anwaltschaftlichen Spitzenverdienern lag der jüdische Anteil mit 70 Prozent deutlich über dem Durchschnitt aller Anwälte.

      Nur zwei Notare findet man unter den Spitzenverdienern: Der angesehenste war Dr. Franz Mayrhofer. Der aus Aschbach in Niederösterreich gebürtige Mayrhofer war von 1899 bis 1917 Präsident der Niederösterreichischen Notariatskammer und des Österreichischen Notarenvereins. Dr. August Kolisko war Notar im 1. Bezirk und hatte entsprechend noble Kundschaft. Er kümmerte sich 1919 um die Verwaltung des Vermögens des abgedankten Kaisers Karl.

      Warum unter den 22 Apotheken, die 1910 im 1. Wiener Gemeindebezirk bestanden, gerade die von August Moll geführte Apotheke „Zum weißen Storch“ so ertragreich gewesen war, dass sie ihm ein Einkommen von mehr als 100.000 Kronen brachte, dürfte mit dessen Schritt in die Industrie zusammenhängen. Schon August Moll sen. begann sein Seidlitz-Pulver aggressiv zu vertreiben und zu bewerben: „Der zuverlässige Selbst-Arzt durch das neue Wunder-Heilmittel Franzbranntwein und Salz … eine Hilfe der leidenden Menschheit.“ August Moll lieferte auch photographische Bedarfsartikel für den Hof und gab die Photographischen Notizen heraus. Sein Cousin war der Maler Carl Moll. Die historische Einrichtung der Apotheke gehört bis heute zu den touristischen Sehenswürdigkeiten der Wiener Innenstadt.206

      Universitätsprofessoren waren hervorragend bezahlt, vor allem an der Wiener Universität. Das Jahresgehalt eines ordentlichen Professors lag zwischen 8.000 und 16.000 Kronen. Das war etwa das Zwölffache eines Industriearbeiters. Professoren, die gut besuchte Vorlesungen hatten, konnten ihr Einkommen noch zusätzlich durch die Kolleg- und Prüfungsgelder aufbessern. Auch die Diäten aus einer Dekans- oder Rektorsfunkion waren beträchtlich. Aber für ein Einkommen von mehr als 100.000 Kronen reichten diese Bezüge bei weitem nicht. Es musste ein zusätzliches Einkommen dazukommen: aus einer Privatpraxis als Arzt, aus Gutachtertätigkeiten, einer vorteilhaften Heirat oder aus ererbten Wertpapieren und Unternehmensbeteiligungen.

      Es sind mit wenigen Ausnahmen Professoren der Medizinischen Fakultät, die die Hunderttausendergrenze überspringen konnten. Unter den 38 Angehörigen des Professorenkollegiums der Medizinischen Fakultät der Wiener Universität im Jahr 1909/​10 befanden sich dreizehn Millionäre. Der Titel „Professor“ war eine Lizenz zum Geldverdienen; ein Inhaber dieses Titels konnte automatisch seine Honorarsätze verdrei- oder vervierfachen.207

      Spitzenverdiener waren die beiden Ordinarien für Chirurgie Dr. Anton Frh. v. Eiselsberg und Dr. Julius Hochenegg. Eiselsberg, von 1901 bis 1931 Vorstand an der I. Chirurgischen Universitätsklinik Wien, war von adeliger, aber nicht wirklich wohlhabender Herkunft. „Es wäre ein Irrtum zu glauben, schreibt der Medizinhistoriker Leopold Schönbauer, dass Eiselsberg ein reicher Mann war und reich gestorben ist.“208 Schönbauer irrt, zumindest was die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg betraf. 1910 war Eiselsberg unter den Spitzenverdienern. Eiselsbergs Pendant an der II. Chirurgischen Klinik, Julius Hochenegg, hatte eine ganz ähnliche Karriere: Er stammte aus einer Tiroler Familie. 1914 wurde er in den Adelsstand erhoben. Verheiratet war er mit Julie, geb. v. Mauthner. Diese reiche Heirat war wohl auch der Grund dafür, dass er um über 100.000 Kronen mehr Einkommen hatte als der ohnehin auch exzellent verdienende Eiselsberg.

       Als Ordinarius für Chirurgie zum Spitzenverdiener: Julius Hochenegg.

      Der Internist und Diabetologe Dr. Karl von Noorden erhielt 1906 den Ruf an die Wiener Universität, um dort die Nachfolge Hermann Nothnagels als Ordinarius für innere Medizin und Leiter der Ersten Medizinischen Klinik anzutreten. Hier baute er ein Zentrum für Diabetiker auf. Der Pathologe Ernst von Strümpell, der so berühmt war,