Das Wiener Logenbild. Tjeu van den Berk

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Название Das Wiener Logenbild
Автор произведения Tjeu van den Berk
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783962851088



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könnte. Die Entdeckung ist mehr als überraschend. Auf der Suche nach der Geschichte eines Gemäldes entdeckte ich ein Gemälde der Geschichte.

      Die beste Art und Weise um zu sehen, ob ein Schlüssel passt, ist meines Erachtens die Untersuchung der Konstruktion des Schlosses. Ich will den Leser darum zuerst in alle halben und ganzen Wahrheiten bezüglich dieses Gemäldes einführen, in all jene überdeutlichen Anomalien, in alle verborgenen und aufgeklärten Symbole.

      Zunächst muss ich meine Überzeugung vorausschicken, dass wir es auf diesem Gemälde vermutlich nicht mit einer Gruppe von Verrückten zu tun haben, sondern mit einer Gruppe von Männern, die die Absicht hatten, ihre Zusammenkunft im Bild festhalten zu lassen. Ich denke auch nicht, dass der Maler unwissend oder uneingeweiht war.

      Vor allem der freimaurerisch wenig gebildete Leser kann sich kaum in dem Labyrinth von Ritualen, Symbolen und Graden, die unterschiedliche Fragestellungen aufwerfen, zurechtfinden und so schnell auf eine falsche Fährte geraten. Er könnte das Gefühl bekommen, dass das Bild Personen und Dinge darstellt, die nichts mit den tatsächlichen historischen Begebenheiten zu tun haben. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Am Ende des 18. Jahrhunderts treffen die Freimaurer auf das schlagende Herz der damaligen Zeit, auf die Französische Revolution. Auf dem Gemälde sehen wir eine Gruppe von Brüdern, die dabei sind „Geschichte zu schreiben“, und zwar im Zentrum des Habsburgerreiches. Kein Geringerer als der Kaiser residiert dort!

      1982: Das Gemälde wird „entdeckt“

      Dem großen Haydn- und Mozartkenner H. C. Robbins Landon (1926–2009) gebührt die Ehre, dieses Gemälde im Jahre 1982 „entdeckt“ zu haben. In seiner Studie Mozart and the Masons hat er hierzu eine bahnbrechende Untersuchung durchgeführt.1

      Durch seine Haydn-Studien war Landon sehr vertraut mit den Abbildungen der unterschiedlichen Esterházy-Fürsten. Als er eines Tages das betreffende Gemälde zum wiederholten Mal betrachtete, erkannte er das Gesicht von Nikolaus I. Joseph Prinz Esterházy de Galántha (1714–1790). Nikolaus war Feldmarschall in österreichischem Dienst und hatte sich in unterschiedlichen Kriegen hervorgetan. Dieser unglaublich reiche Mann ist heute aber vor allem der Musikwelt bekannt, weil er 1763 Joseph Haydn in seinen Dienst genommen hatte. In seinem Schloss zu Esterháza (heute Fertöd, Ungarn) ließ er einen Opernsaal einrichten. Nikolaus war selbst sehr musikalisch.

      Nach Landon sehen wir ihn auf dem Gemälde vorne in der Mitte, mit der rechten Hand einen Degen hebend, während er den Kandidaten mit der linken Hand einlädt, den Raum zu betreten (Abb. 2). Landon führt mehrere Porträts von Esterhazy zum Vergleich an (u. a. Abb. 3).

      Abbildung 2

      Abbildung 3

      Bisher meinte man, dass dieser Prinz nie in eine Loge eingetreten sei, denn es war hierfür kein historischer Beleg bekannt. Landons Frau entdeckte jedoch in den österreichischen Staatsarchiven eine Liste mit den Namen der Brüder der Wiener Loge Zur gekrönten Hoffnung, erstellt im Juni 1790. Unter der Nummer 19 steht als Meister erwähnt: Esterhazy Nik. Fürst.2

      Landon hatte jetzt keinen Zweifel mehr. Er meinte, damit zwei solide Ausgangspunkte zu haben: Er hatte den Fürsten identifiziert und die Loge gefunden.

      Mit der Namensliste dieser Loge ausgerüstet, meinte er sogar, auf dem Gemälde noch zwei weitere Esterházys zu entdecken. Hinten auf der Bühne in einem roten Kostüm, mit dem Hammer des Vorsitzenden in der Hand, steht seiner Meinung nach Johann Baptist Graf Esterházy de Galántha (1748–1800). Johann war im Jahre 1790 auch tatsächlich der Vorsitzende, der Meister vom Stuhl der Loge Zur gekrönten Hoffnung.3

      In einem Mann, der links vorne separat in einer etwas nachdenklichen Haltung steht, erkannte er Johann Nepomuk Graf Esterházy de Galántha (1754–1840) wieder.4

      Während er bei manchen seiner Entdeckungen Zweifel behielt, meinte Landon doch insgesamt 13 Männer auf dem Gemälde erkannt zu haben.5 Darunter sind auch vier Namen von Männern, die mit der Entstehung der Zauberflöte zu tun haben. Das ist an erster Stelle der vorne rechts sitzende Komponist Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) (Abb. 4). Auch hier führt Landon wieder einige Porträts zum Vergleich an (u. a. Abb. 5).

      Abbildung 4

Abbildung 5

      Abbildung 5

      Im Mann, der im roten Mantel neben Mozart sitzt, erkennt er den ersten Librettisten Emanuel Schikaneder (1751–1812).6 Ebenfalls sitzend, als zweiter von links auf der linken Seite, erkennt er Ignaz Alberti (1760–1794), den Herausgeber des Librettos, der zugleich zwei darin abgebildete Stiche anfertigte. Und zwei Plätze weiter seitlich erkennt er Karl Ludwig Giesecke (1761–1833), den (angeblichen) zweiten Librettisten der Oper.7

      Die Identifizierung von Gesichtern bleibt immer eine prekäre Angelegenheit. Legt man alle Publikationen zum Bild auf den Tisch, bleiben eigentlich nur zwei gesicherte Porträts übrig: das von Mozart und das von Nikolaus I. Esterházy. Wir sind jedenfalls gewarnt, wenn wir weiter neue Gesichter zu entdecken meinen.

      Nikolaus stirbt am 28. September 1790 in Wien.8 Da sein Name noch nicht in der Mitgliederliste von 1789 stand, ging Landon davon aus, dass das Gemälde wahrscheinlich im Frühjahr 1790 gefertigt wurde.

      Die Situation der Freimaurer in Wien um 1790

      Bevor wir mit unserer Untersuchung fortfahren, zuerst eine kurze Skizze der kritischen Situation, in der sich die Wiener Freimaurerei in dieser Zeit befand. Im Frühjahr 1790 war die Loge Zur gekrönten Hoffnung die einzige offizielle Loge in Wien. Im Jahre 1785 gab es noch acht. In jenem Jahr aber hatte Kaiser Joseph II. (1741–1790) in einem berüchtigten Handbillet angeordnet, dass in Wien die Anzahl aller bestehenden Logen auf höchstens zwei zu reduzieren war. Er misstraute der Freimaurerei als subversiver und schwärmerischer Bewegung und beschrieb die Brüder als „Gaukler“: „Die sogenannten Freymaurergesellschaften, deren Geheimnisse mir ebenso unbewusst sind, als ich deren Gauckeleyen zu erfahren vorwitzig jemals war.“1

      Viele Mitglieder verließen daraufhin die Logen. Zwei Bauhütten lösten sich ganz auf und verteilten ihre Besitzungen unter den Armen.2 Die sechs anderen vereinigten sich in zwei Sammellogen, die Ende Dezember 1785 ihre Türen öffneten: Zur Wahrheit und Zur neugekrönten Hoffnung.3 Mozart trat mit seiner Loge Zur Wohltätigkeit der Hoffnung bei. Im Jahre 1787 löste die Loge Zur Wahrheit sich schon wieder auf. Die Dynamik war gebrochen; es brachte kein besonderes Ansehen mehr mit sich, Freimaurer zu sein. Von dem Moment an gab es also nur noch eine Loge, die schnell das Wort „neu“ aus ihrem Namen strich und sich wieder Zur gekrönten Hoffnung nannte.

      Joseph II. starb unerwartet am 20. Februar 1790; sein jüngerer Bruder Leopold II. folgte ihm auf dem Thron (1747–1792). Unter ihm (er sollte nur zwei Jahre regieren) blühten die hermetischen Strömungen wieder auf. So wurde in den ersten Monaten seiner Regierung, am 13. Juli 1790, die alte Loge Zum heiligen Joseph wiedereröffnet,4 und am 5. Juni jenes Jahres baten zwei Mitglieder der Zur gekrönten Hoffnung darum, eine dritte Loge gründen zu dürfen, was ihnen im Februar 1791 zugestanden wurde. Bei der Einweihung jener dritten offiziellen Loge mit dem Namen Zur Liebe und Wahrheit, am 1. November 1791, dirigierte Mozart seine Kleine Freimaurerkantate (KV 623), seine letzte vollendete Arbeit. Drei Wochen später stirbt er.5

      Geht man von dem von Landon angenommenen Entstehungszeitpunkt des Gemäldes aus (Frühjahr 1790), fällt als Darstellungsobjekt die Loge Zur Liebe und Wahrheit definitiv