Nadelherz. Rose Zaddach

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Название Nadelherz
Автор произведения Rose Zaddach
Жанр Короткие любовные романы
Серия
Издательство Короткие любовные романы
Год выпуска 0
isbn 9783961456338



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mit einer Schülerin eingehen durfte. Am nächsten Morgen erbat ich mir dringlich eine Auszeit von meiner Anstellung als Praktikant. Ich wollte Bedenkzeit. Ich sprach mit solcher Dringlichkeit, dass mein Vater einwilligte, ohne eine Frage zu stellen. Wahrscheinlich hatte er verstanden, was in mir vorging, denn sein Blick ruhte länger auf mir als sonst. Hätte er doch nur Fragen gestellt! Aber er tat es nicht und im Innern war ich froh und erleichtert darüber. Ich hob mir ausreichend Geld von meinem Konto ab, nahm meine Papiere, schnürte heimlich meinen Rucksack und mein Zelt. Ich buchte einen Flug nach Andalusien. Ob ich zurückkehren würde, wusste ich nicht. Xavelia ging ich an diesem letzten Tag aus dem Weg und schrieb ihr in der Nacht vor meiner Abreise folgenden Brief:

      „Liebe Xavelia,

      Du musst jetzt stark und tapfer sein. Ich bin verreist und habe diese Entscheidung bei Nacht und Nebel getroffen. Ich tue es für uns beide. Du hast mir Deine Liebe erklärt und ich liebe Dich auch. Du wirst es sicherlich verstehen. Aber ich muss verreisen, um Zeit zum Nachdenken zu haben. Ich möchte nicht, dass Dir und mir ein Leid geschieht. Ich möchte, dass unsere Liebe eine wirkliche Chance hat. Diese Reise fällt mir schwer. Fern von Dir zu sein, ist ein unerträglicher Gedanke! Ich habe den großen Wunsch, dass Du mir glaubst, dass ich diese Entscheidung nur aus Liebe getroffen habe. Betreue unsere Tiere gut, so, als wäre ich da. Ich vertraue Dir Abraxis an, mein Pferd. Sorge gut für ihn. Es kann lange dauern, bis ich wieder zurück bin. Aber ich komme, wenn die Zeit dafür besser ist als jetzt,

      Dein Berret“

      Zwei Stunden später startete ich heimlich und leise. An der Straßenecke wartete mein Freund Paul mit seinem Auto. Paul fuhr mich zum Flughafen. Er war der Einzige, den ich in die Situation halbwegs einweihte. „Paul“, sagte ich zu ihm, „ich muss hier weg! Ich bin in eine Sache hineingeschliddert, aus der ich nicht mehr heraus komme. Gefühle, weißt du! Verbotene Gefühle! Heute Nacht geht mein Flug“.

      Er sah mich an, ohne zu fragen. „Verstehe“, antwortete er nur. „Ich bringe dich zum Flughafen“.

      „Danke“, sagte ich. „Ich weiß nicht, ob ich zurückkomme“

      Paul wartete pünktlich auf mich an der Straßenecke. Wir schwiegen während der ganzen Fahrt. Als wir uns am Flughafen verabschiedeten, klopfte er mir Mut machend auf die Schultern. „Alles Gute“, sagte er, aber es war so ernst gemeint, wie es ein Freund nur meinen kann.

      Ich war froh, dass er nichts gefragt hat und dass ich den Namen „Xavelia“ nicht aussprechen musste. Ich verließ Deutschland. Ich bewunderte die Leichtigkeit, mit der das Flugzeug von der Erde abhob, in mir sah es anders aus. Als das Flugzeug von der Erde abhob, erfasste mich ein nie gekannter Schmerz, so, als reiße er mich auseinander. Eine Hälfte blieb bei Xavelia auf der Erde, die andere floh vor einer unüberwindbaren Leidenschaft in dunkle Wolken davon. Vier Stunden später kam ich in Sevilla an. Dort schien die Sonne. Ich hatte vor, nach Cadiz weiterzureisen. In Cadiz hatte ich einmal das wilde Leben genossen und diese Stadt als Ort der Ablenkung und Zerstreuung tief im Gedächtnis behalten. Ich hätte also gleich nach Cadiz weiterreisen können. Aber irgendetwas in mir wollte noch Zeit gewinnen.

      In Cadiz hätte es herrliche Strände gegeben, der alte Stadtkern mitten auf einer Landzunge zwischen Wassern erbaut. Vom Hafen fahren Schiffe nach Afrika und den Kanarischen Inseln. Vielleicht sollte ich mich absetzen. Nie mehr zurückkehren. Der Gedanke schmerzte. Nadelstiche. Xavelia nähte eine Naht in mein Muskelgewebe, das sich Herz nannte. Mitten in meiner Brust klaffte, für andere unsichtbar, die ungelenk vernähte, weiter blutende Wunde.

      In die Tasche hatte ich Landkarten eingepackt. Vorsorglich. Vielleicht zöge ich auch gegen Norden. Ich hatte gehört von der Ruta de la Plata, der Silberstraße in die Einsamkeit. In das Bergland zur portugiesischen Grenze. Und dann immer der Grenze entlang. Eine Gratwanderung, vielleicht nach Santiago de Compostela. Wochenlang gehen, alleine gehen, den Absturz riskieren, die Gefahr spüren, Einsamkeit. Das wollte ich. Ich spürte es dunkel, noch ungeboren in mir: Ich, Berret Gardot, vierundzwanzig Jahre alt, sollte aufbrechen. Ich sollte meine Familie verlassen und mein geliebtes Zuhause, meine Tiere, mein Pferd, die Weite der Hochebene, den Blick auf die Alpen, um nie mehr zurückzukehren. Ich gehe, um erwachsen zu werden, auch wenn die Nadelstiche hundertfach mein Herz durchstechen.

      Wege der Einsamkeit sollte ich gehen, dessen war ich mir jedenfalls sicher, als das Flugzeug in Sevilla zur Landung ansetzte. Es war früher Morgen. Ich suchte mir ein Quartier. Am Abend auf den quirligen und belebten Straßen von Sevilla, wo das Leben pulsierte, auf der Plaza, auf der ich mich bis weit in die Nacht herumtrieb, kamen mir dann doch Zweifel.

      Die Musik der Flamencos und der Fandangos, die Tänze auf den Straßen versetzten mich in einen Rausch und verführten mich zu bleiben. Ich fand mich zu jung, um mich wirklich der Ernsthaftigkeit meiner Situation zu stellen. Ich erlag der Verführung und der Oberflächlichkeit. Ich war nicht mehr gewillt, meine Zukunft mit Nadelstichen im Herzen zu leben. Ich wollte vergessen! Statt in die Einsamkeit der Berge trieb es mich in die lebhafte Stadt. Dort, dachte ich, könnte ich am besten vergessen. Ich stürzte mich ins Nachtleben. Den einsamen Weg ins Gebirge, die Ruta de la Plata entlang der portugiesischen Grenze sollte ich Jahre später erst später gehen.

      Ich durchlebte die Nächte bei Festen und Feiern, wie sie im Sommer in Sevilla üblich sind. Ich tanzte mit den Frauen aus Sevilla Flamenco, sah bunt bemalten Fächer vor ihren schwarzen Augen wedeln und hörte das Klappern der Kastagnetten in ihrer Hand. Ich ließ alles hinter mir. Dann schloss ich mich einer Gruppe junger Leute an, die den Sommer am Meer verbringen wollten. So reiste ich doch noch nach Cadiz. Immer waren junge Menschen um mich, Mädchen, dunkle Schönheiten. Das Leben der Jugend Andalusiens war frei und ohne Tabus. Ich teilte es. Aber ich vergaß trotzdem nicht. Die Stiche im Herzen kehrten zurück. Sie kamen meistens in der Nacht. Irgendwann wusste ich, dass ich verlieren würde gegen das Erinnern.

      Eine Entscheidung musste getroffen werden: Rückkehr oder Weiterreise! Am Ende meiner Reisezeit stand ich am Kai von Cadiz und sah den Schiffen nach, die zu den Inseln oder nach Afrika aufbrachen. Ich trieb mich jetzt stundenlang dort herum. Ich schlief eine Nacht in der Bucht nahe am Hafen, eingewickelt in meinen Schlafsack, und hörte den Wogen des Wassers zu. Ich lag dort lange und dachte an Xavelia. Wenn man eine tiefe Verbindung eingegangen ist, wie Xavelia und ich es getan hatten, kann man sie nicht so leicht lösen. Ich nahm mir viel vor.

       UNBEIRRBAR

       (Xavelia)

      Berret fort. Einfach so! Ich fiel in ein tiefes Loch. Immer wieder las ich seinen Brief. Ich verstand zunächst nichts. Ich hatte mich nie geschert darum, was die Menschen von mir wollten. Gesellschaftliche Schranken waren mir unbekannt geblieben. Ich wollte noch nichts davon wissen. Ich wollte nur in das Abenteuer meines eigenen Lebens eintauchen. Es hatte gerade erst begonnen. Deshalb fühlte ich nur den Schmerz über die Trennung. Dieser Schmerz und die Enttäuschung machten mich den Menschen gegenüber wieder kalt und berechnend. Ich schuldete ihnen nichts!

      Als ich noch ein ganz kleines Kind war, ging ich in den Garten und verkroch mich im Gebüsch oder versteckte mich in dem wild wachsenden Weidenbaum am Bachufer. Ich saß dort oben in den Zweigen weit weg von der Welt, weit weg von hier träumte ich mich. In einem fernen Land, unter Lianen und Urwaldgewächsen roch es nach feuchter Erde und einer Echse gleich hing ich im Regen unterm Blättergrün. Niemand konnte mich finden. Ich aalte mich in der tropischen Hitze und suchte die gleißende Sonne auf einem freiliegenden Stein. Ich hörte dem Geschrei der Papageienvögel zu und dem Kreischen des Affenvolkes. Ich sah den Panther schleichen und verschwand raschelnd im Erdloch unter dem Gras. Ich war sicher in meinem Versteck. Jetzt aber, wo sollte ich hin?

      Fliehen vor dem Gestänker der Erzieherinnen, wenn ich nicht tat, was sie befahlen? Die Schule wieder schwänzen, wenn ich das Eingesperrtsein im engen Raum mit einer Meute Schülerinnen und Schülern nicht ertrug? Wenn die Lehrer Aufmerksamkeit verlangten für Dinge, die mich nicht interessierten?

      Ich hatte nur eine Wahl. Ich musste hinaus in die freie Natur. Ich musste zu den Tieren. Dort konnte ich atmen. Dort, bei meiner Stute Akira fühlte ich mich gebogen – sie sagte nichts und verlangte nach Äpfeln und Stroh. Sie wartete, dass ich mit ihr