Jesus findet Muslime. Christiane Ratz

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Название Jesus findet Muslime
Автор произведения Christiane Ratz
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783961400102



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wollen: Sie rauchten und tranken – von allem nur das Feinste –, und Naid unterhielt sie mit seinen Geschichten. Jeder hing an seinen Lippen.

      Erst vor wenigen Wochen hatte er sein Studium abgeschlossen, und schon war er so erfolgreich. Er entwickelte Webseiten für Kunden mit hohen Ansprüchen und einem dicken Geldbeutel. Er war quasi über Nacht reich geworden. Das Geld floss durch Naids Hände, genauso wie der Champagner an diesem Abend, mit dem sie seinen Erfolg begossen. Seiner jungen Frau Niki imponierte das. Sie liebte das Leben an Naids Seite.

      Am Horizont dämmerte es bereits, während sie von der Lounge hinabfuhren und in das funkelnde Häusermeer eintauchten. Sie genossen den Blick auf einen der höchsten Fernsehtürme der Erde, von ihrem gläsernen Fahrstuhl aus bot sich ihnen ein fantastischer Blick über die 18-Millionen-Stadt. Ihr Taxi wartete bereits; kurz darauf tauchten sie in den nie zur Ruhe kommenden Verkehr ein und fuhren nach Hause.

      Trotz der durchfeierten Nacht stand Naid früh auf und fuhr ins Büro. Während der Fahrt dachte er über ein Projekt nach, an dem er gerade arbeitete. Internet und Computer boomten, und jeder wollte eine Homepage oder einen Imagefilm, um sich im Netz zu präsentieren. Seine Dienste waren gefragt. Inzwischen hatte er sogar fast dreißig Angestellte. Manchmal konnte er es selbst kaum glauben, wie schnell es ihm gelungen war, in der Branche zu landen und so viel Geld zu verdienen. Er musste lächeln, als er an den Drink gestern Abend dachte. Wer Geld hatte, machte sich eben keine Gedanken mehr darüber, ob ein Champagner 50 oder 5000 Euro kostete.

      Am späten Vormittag klingelte das Telefon, und seine Bank bat um einen Termin. Naid sagte ohne zu zögern zu. Sicherlich wollten sie ihm Vorschläge zur Vermögensverwaltung machen.

      Die beiden nadelgestreiften Herren lächelten nicht. Vielleicht steckte ihm doch noch ein wenig der Kater vom gestrigen Abend in den Knochen? Oder war es dieser unerfreuliche Besuch des Pastors, der ihm mit seiner angeblichen Botschaft von Gott die Laune verdorben hatte? Er versuchte sein Bestes, um sein Unbehagen abzuschütteln. Die Berater saßen ihm steif gegenüber. Auch durch Naids lockere Sprüche ließen sie sich nicht aus der Reserve locken. Kühl und distanziert legten sie ihm seine finanzielle Situation dar, sprachen von Schulden und überzogenen Konten, von ungeduldigen Gläubigern und seinem Bankrott.

      Was redeten sie da? Er hatte Geld, viel Geld. Und nun sollten seine geschäftlichen Transaktionen seine Konten überstrapaziert haben? Seine Welt waren Computer; von Finanzen, und wie man sie zusammenhielt, hatte er wenig Ahnung. Offensichtlich zahlten einige seiner Kunden nicht wie vereinbart, und die Gläubiger wollten ihr Geld sehen.

      Naid gab es zwar nicht zu, aber er hatte wohl finanziell über die Stränge geschlagen.

      Die nächsten drei Tage tat er alles, um die Misere aufzuhalten. Er versuchte, ausstehendes Geld einzutreiben, das er schon längst ausgegeben hatte. Bequasselte Gläubiger und Freunde, doch sie wandten sich alle von ihm ab.

      Am Freitag war er gezwungen, seine Angestellten zu entlassen. Seine Wohnung, sein Büro und seine Autos musste er an die Bank verpfänden. Es war das Aus.

      „Maraya, überlass der Musik in dir die Führung. Warum kannst du nicht improvisieren? Was hemmt dich?“

      Zum wiederholten Male forderte sie ihr Lehrer auf, sich der Musik hinzugeben, loszulassen, ihrer inneren Stimme den Weg zu öffnen. Es ging nicht. Starr sah sie auf den Boden.

      „Maraya?“

      Es war, als hätte er eine innere Schleuse bei ihr geöffnet. „Meine Gedanken sind nicht hier. Ständig muss ich an so vieles denken. Dieses Land zwingt mich dazu, alles und jeden und vor allem mich selbst zu kontrollieren. Könnte ich nur weggehen. Ich weiß, so mit dir zu sprechen ist gefährlich, aber was hier passiert, kann doch nicht sein!“

      Ein Wort gab das andere. Irgendwann landeten sie bei Gott. War er mit seinen Vorschriften nicht an allem schuld? Ihr Lehrer riet Maraya, einmal in eine Kirche zu gehen. „Sieh dir einmal etwas anderes an als das, was du schon immer kennst. Ich habe davon gehört, dass Menschen dort Gott getroffen hätten. Im Übrigen ist die Musik dort ein echter Genuss.“

      Maraya überlegte hin und her. Sollte sie wirklich einen christlichen Gottesdienst besuchen?! Ihre Freundinnen würden ihr unbedingt davon abraten. Und das sagte sie ihrem Lehrer ein paar Tage später dann auch knallhart: „Was hast du dir eigentlich gedacht, mich in eine Kirche zu locken? Das ist unverschämt und gefährlich. Sprich nie wieder davon!“

      Maraya machte sich nun auf ebenso barsche Worte gefasst, doch die blieben aus. Stattdessen gab ihr der Lehrer die Noten für ein neues Lied.

      Im Rückspiegel verschwand das elegante Bürogebäude, in dem Naid seine einzigartige Erfolgsgeschichte erlebt hatte. „Drei Tage hast du Zeit, um dich für oder gegen mich zu entscheiden.“

      Diese Worte des Pastors hörte er wieder und wieder in sich. Hätte er sie abschalten können, indem er sich die Ohren zuhielt, er hätte das sofort getan. Doch so gibt er Gas und fährt los, hinein in den Großstadtverkehr, der Tag und Nacht nicht zur Ruhe kommt.

      Wie in einem Film laufen die letzten Tage und Stunden noch einmal vor ihm ab.

      Die nadelgestreiften Herren waren wiedergekommen. Sie hatten den Gerichtsvollzieher mitgebracht und ihm alles genommen, was er hatte. Selbst die exklusiven Abendkleider und Schuhe seiner Frau. Als er den Wohnungsschlüssel abgab, verabschiedete sich auch Niki von ihm. Sie ging zu ihren Eltern zurück, er hatte ihr nichts mehr zu bieten.

      Eigentlich gehörte auch sein alter Wagen der Bank, aber einem verzweifelten Impuls folgend hatte er seine letzten Habseligkeiten auf den Rücksitz geworfen und war einfach losgefahren.

      Es war schon weit nach Mitternacht, als er auf dem Parkplatz eines Kebab-Ladens anhielt. Der Besitzer putzte gerade den Grill. Naid bat ihn um Essen und einen Schlafplatz. Etwas widerwillig half ihm der Mann. Am nächsten Morgen sammelte Naid im Gegenzug dazu den Müll auf dem Parkplatz auf und brachte ihn weg. Das Ganze war ihm so peinlich, dass er sich schwor, es nie wieder so weit kommen zu lassen.

      In den folgenden Monaten bot der einst gefeierte Computercrack wildfremden Menschen seine Dienste als Taxifahrer an.

      Damit verdiente er genug Geld, um nicht hungern zu müssen. Außerdem war er auf der Flucht vor der Polizei, denn sein Wagen gehörte ja nicht mehr ihm, sondern der Bank. Das ständige Unterwegssein war sein bestes Versteck.

      Es war Nacht. Triste Fassaden, hohe Mauern und endlose Zäune zogen an Naid vorbei, ab und zu unterbrochen von zerkratzten Metalltoren. Suchend tasteten seine Augen die Gegend ab. Er brauchte dringend ein paar Stunden ungestörten Schlaf, seine Uhr zeigte mittlerweile zwei.

      Täuschte er sich oder machte sich da tatsächlich jemand an einem Stahlgittertor zu schaffen? Er hatte seinen Wagen gerade abgestellt, als er den gut angezogenen Herrn bei seinem seltsamen Tun beobachtete. Jetzt ging der zu dem Auto, das direkt vor Naid parkte. Was machte der hier, mitten in der Nacht, und noch dazu so elegant angezogen? Jetzt stieg er wieder aus dem Wagen aus, öffnete die Motorhaube und starrte ratlos hinein.

      Naid hatte nicht vor, ihn zu erschrecken, deshalb kletterte er mit möglichst viel Getöse aus seinem Auto und sprach den Mann an. Er zuckte trotzdem zusammen.

      „Ich bin von einer Sicherheitsfirma und hatte einen Alarm auf meinem Handy, es ist an das Überwachungssystem des Hauses hier gekoppelt. Und nun springt mein Wagen nicht mehr an. Wie soll ich bloß zurückkommen?“

      Suchend sah er sich um, es war nutzlos. Um diese Uhrzeit gab es hier weder Busse noch Taxis.

      Naid bot ihm seine Fahrdienste an. Während sie zurück in die Stadt fuhren, sprachen sie über Politik. Kann sein, dass Naid inzwischen besonders sensibel dafür war. Aber wenn er sich nicht täuschte, war dieser Mann Christ. Sein „Slang“ verriet ihn. Das ließ Naid keine Ruhe, er musste es wissen. Lachend wehrte der Mann ab: „Nein, Christ bin ich nicht, aber ich habe eine gute Freundin, die Christin ist, sie heißt Nachme.“

      „Nachme?“ entfährt es Naid erstaunt. So hieß seine Schwester! „Weißt du, wer ich bin?“

      Der Mann blickte ihn forschend an. Sie waren inzwischen im Stadtzentrum, und hier