Название | Zwei Freunde |
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Автор произведения | Liselotte Welskopf-Henrich |
Жанр | Историческая литература |
Серия | |
Издательство | Историческая литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783957840127 |
Wichmann betrachtete seine Finger auf der runden Tischplatte.
»Gilt er dafür?«
»Man sagt es, beklagt es, aber das müssen Sie ja als sein Untergebener am besten wissen. Ich habe kaum etwas mit Grevenhagen zu tun. Sie haben ihn doch nicht irgendwie gereizt?«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Es ist den Herren manchmal schwer, Persönliches und Dienstliches auseinanderzuhalten. Die Mannesnatur ist so kompliziert – leicht verletzbar – als Sekretärin weiß ich davon leider mehr als genug zu erzählen.«
»Liebe Frau Lundheimer, es ist mir bekannt, daß Sie Ihre Schweigeverpflichtungen auf das peinlichste einhalten. Ich möchte Sie auch gewiß nicht verführen, in bezug auf meine Person irgendeine Ausnahme zu machen. Aber Sie begreifen, daß es mir darum zu tun ist zu erfahren, was denn nun eigentlich gespielt wird. Können Sie mir nicht – aus menschlichem Gefühl – irgendeine Andeutung machen?«
Frau Lundheimer kräuselte die Stirn und summte eine Tangomelodie: »Gelbe Rosen …«
Der Assessor zog die Finger, die auf der Tischplatte gelegen hatten, zur Faust zusammen.
»Tja, Herr Doktor, ich wüßte nicht, was ich weiter sagen sollte.«
»Ich danke Ihnen.«
Die Sekretärin begann wieder zu tippen, aber ein Anruf unterbrach sie.
»Ja … ja … jawohl, Herr Ministerialdirektor …«
Das Telefongespräch war rasch beendet.
»Das ist ja dumm, Herr Doktor! Der Ministerialdirektor kommt heute gar nicht mehr hierher. Er hat noch eine Besprechung im Staatsministerium und tritt heute abend schon die geplante Dienstreise an. Er wird wohl eine Woche wegbleiben.«
»Dann ist nichts zu machen. Ich danke Ihnen jedenfalls.«
»Vielleicht … in der Personalabteilung direkt haben Sie keine Beziehungen?«
»Dort bin ich persönlich ganz unbekannt.«
»Dann hat es auch keinen Zweck, daß Sie hingehen, gar keinen. Haben Sie mit Grevenhagen schon gesprochen?«
»Ja.«
»Wie ’n Krebs im Gehäuse, nicht? An die Weichteile kommt man bei ihm nicht ’ran. Und dann doch wieder gleich gekränkt. Ein sehr schwieriger Charakter.«
Assessor Wichmann saß wieder in seinem Dienstzimmer und arbeitete unter dem Stachel der Überzeugung, ungerecht behandelt worden zu sein. Wenn eine gröbere Natur dieser Lage vielleicht zum Anlaß genommen hätte, nachlässig oder aufsässig zu werden, so sonnte er sich im Gegenteil in dem Gefühl, untadelig zu handeln. Ja, die dienstlich unberechtigte und kalte Abweisung; die er von Grevenhagen erhalten zu haben glaubte, brachte ihn in eine neue Empfindungsgemeinschaft mit Marion, die unter demselben Manne litt. Er glaubte es ihr, seiner Liebe und sich selbst schuldig zu sein, daß er in einer unangreifbar edlen Haltung blieb, die die erfahrene Ungerechtigkeit um so schwärzer färbte. Nur so würde es ihm möglich sein, die Enttäuschung seines Ehrgeizes, den Spott der Kollegen zu ertragen und um so inniger an die geliebte Frau zu denken. Ihre Gestalt wandelte sich in seiner Phantasie immer mehr und wurde aus einer rätselhaften Schönen zu der Unglücklichen, seiner Hilfe Bedürftigen, für die er der Retter sein durfte, ohne die Gesetze der Ehre und Pflicht zu durchbrechen. Es war ein Reiz besonders feiner Art, der ihn jetzt mit ihr verband.
Den Ministerialrat unterrichtete er nicht davon, daß Boschhofer vorläufig nicht zu sprechen sei. Er war zu stolz, um von Grevenhagen nochmals in der Rolle des Bittstellers zu erscheinen. Er hatte Qualen durchgemacht, um sich von Marion innerlich zu lösen und das Recht des andern zu achten, aber dieser andere scheute sich nicht, eine erbärmliche Rache zu nehmen, wo er seinen Besitz begehrt glaubte. Die Scham, die Oskar Wichmann vor den hellblauen Augen empfunden hatte, war verflogen.
Seine Rolle bei der Tafelrunde um die Mittagszeit fiel ihm jedoch schwerer, als er geglaubt hatte. Das Gerücht von seinem Mißerfolg schien bereits durch alle Türen und Ritzen gedrungen zu sein. Erst sprachen die mitleidig-neugierigen Augen der Kollegen davon, dann die Andeutungen, endlich die offenen Worte. Fräulein Hüsch machte aus ihrem Mitempfinden kein Hehl, aber es war Wichmann unerträglich, von einem Weib bemitleidet zu werden. Er antwortete gereizt. Von allen, die sprachen, war Korts noch derjenige, dessen Meinung man am ehesten Geschmack abgewinnen konnte. Er sagte geradeheraus, daß es sich bei der Karriere um einen Kampf mit Wechselfällen handle. Wichmann habe jetzt Pech gehabt. Der Assessor müsse sehen, wie er die Scharte später einmal auswetze. Casparius blieb, entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, ganz still.
Erst auf dem Nachhauseweg begann Wichmann, den vollen Grad seiner eigenen Wut zu bemerken. Als ihn seine Bude vor aller Neugier barg, warf er die Aktentasche mit Heftigkeit auf den Schreibtisch und ließ sich auf den steifen Lehnstuhl fallen. Unfähig sich zu fassen, stierte er nach der grünen Tapete und fühlte die Welle des Zornes in sich steigen wie aufkochendes Wasser. Ausgerechnet Grevenhagen. Er war es wert, daß man ihn hatte schonen wollen! Arme Marion!
Es war finster im Zimmer, als der Assessor sich immer noch nicht gerührt hatte. Martha klopfte vorsichtig. Ob dem Herrn Doktor etwas fehle? Ob er noch eine Tasse Tee wünsche? Oder etwas zu essen?
Nein, danke, er wollte nicht essen. Aber einen Tee – ja, einen Tee bitte.
Martha brachte entgegen der Anweisung auch Eier und Brötchen zu dem Getränk. Der seelisch Verwundete ließ sich diese Pflege stillschweigend gefallen und aß. Als das Geschirr und Martha wieder aus seinem Zimmer verschwunden waren, begab er sich in den Klubsessel, rückte die Stehlampe heran und zog die Brieftasche.
»Boston nach der Pause. M. G.«
»… zwanzigtausend Mark erhalten zu haben …« – »Konto der … Gutsverwaltung …«
Das waren ihre Schriftzüge. Wer litt stärker? Sie? Er selbst? Es war alles zu ertragen im Bewußtsein der Gemeinschaft mit ihr. Aber die Erfahrung Grevenhagen schmerzte noch.
Mit der Oper war es jetzt aus, Oskar Wichmann mußte sich nun auch ein billigeres Zimmer suchen. Er mußte Schluß machen mit der Kreuderstraße. Ach, Marion! Du bleibst bei dem Mann, der dein Haar mit Diademen schmückt und deinen Bruder sterben läßt.
Wichmann glaubte verrückt zu werden, wenn er sich nicht ablenkte. Er mußte seinen Verstand beschäftigen. Womit? Der Inhalt der Zeitung war lächerlich, die Bücher wirkten alle schal, ihre Philosophie war nichts als Papier.
»Boston nach der Pause. – M. G.«
Wie? Wußte er immer noch nicht, wer diese Worte geschrieben hatte?
Es war das einzige Rätsel, das ihn anzog. Er wollte es jetzt lösen. Er befahl sich selbst, die Ernennungsliste aus seinen Gedanken fortzuräumen.
»Boston …«
Nein. Zuerst das Papier. Wer konnte einen solchen Zettel in Besitz gehabt haben? Marion. Wer sonst? Ihr Gatte. Der schied aus anderen Gründen aus. Wichmann lachte leise. Wer sonst? Jemand, der aus Zufall das gleiche englische Notizbuch besaß. Unwahrscheinlich. Wer sonst? Jemand, der sich von Marion einen solchen Zettel erbeten hatte. Möglich? Ja, möglich! Wer konnte sich einen solchen Zettel von Marion erbitten, an dem Abend, in der Stunde, in der er ihn zu seinem Bubenstreich brauchte? Nur jemand, der Marion kannte, vielleicht mit ihr tanzte – oder der mit ihr am Tisch saß. Am Tisch saß? Ja. Hier war weiter zu grübeln. Wer hatte am Tisch dieser Loge gesessen? Grevenhagen – schied aus – Boschhofer … Boschhofer? Nein, Boschhofer schied aus. Von Linck? Unmöglich. Die Silvia? Zu dumm und zu anständig, eine Schrift nachzuahmen. Der Staatssekretär? Phantasielos. Wer noch? Nischan … Nischan … Der Lauscher an der Tür? Nischan? Möglich. Wirklich? Fähig zu einer solchen Albernheit? Nicht ganz wahrscheinlich – doch möglich. Aber wie sollte man ihm auf die Sprünge kommen? Hätte sich Wichmann nicht mit Nathan derart gründlich entzweit, so hätte er den beauftragt, es zu erschnüffeln.