Warum ich zum ›Ägypter‹ wurde. Uli Keyl

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Название Warum ich zum ›Ägypter‹ wurde
Автор произведения Uli Keyl
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783957449962



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entgangen bin. Dass junge Werftarbeiter zum gerade ankommenden Bus über die Hauptstraße ›sprinten‹, um nach Feierabend unbedingt einen Platz im Bus zu erwischen, wer kann es ihnen übelnehmen? Sie gefährden allenfalls sich selbst. So vor zwei Wochen in Suez persönlich erlebt; nun ja, eine Vollbremsung meinerseits wäre auch problematisch gewesen.

      Wie viele Psychotherapeuten im Westen müssen ihre Klienten zu mehr Gelassenheit bringen?! Warum gibt es dort überhaupt so viele Therapeuten?! Auch hier in Ägypten gibt es natürlich welche, vor allem in Kairo und den anderen großen Städten, wo es weniger ›Langsamkeit‹ gibt. Aber alles in allem: Bei meinem nächsten Urlaub, ach was, bei meiner irgendwann notwendigen Reise zwecks Haushaltauflösung in Deutschland, werde ich nach diesem Buch fragen; auch ist kein Preisschock zu befürchten, wie etwa bei Benzin oder anderem, denn gute Bücher sind selbst hier teuer.

      LUXOR ist durch seine großartige Tempelanlage in der Stadt und weiter draußen in ›Karnak‹ schon die Reise wert. Der für uns zuständige Reiseführer stellte sich stimmgewaltig vor – in einem entzückenden Deutsch: Er war studierter Historiker, was er natürlich nicht unerwähnt ließ, und seine engagierte Art, uns die imposante Tempel-Anlage zu erklären, gefiel uns allen so gut, sodass er gar nicht um Trinkgeld bitten musste – es wurde spontan und reichlich gegeben!

      Jeder meiner Leser mag einmal selbst herkommen und/​oder die entsprechenden Bücher lesen, sodass ich mich hier nicht mit Fachwissen ›profilieren‹ muss; ich machte sehr viele Fotos und genoss trotzdem die Einmaligkeit der verschiedenen Teile der Riesenanlage. Erst Jahre später wurde mein Wissen darüber vermehrt, als ich einem Privatschüler aus sehr guten Büchern auf Tonträger vorlas, weil er das für seine angestrebte Eignungsprüfung zum Reiseführer verwenden wollte. Heute ist sein Deutsch dank großen persönlichen Fleißes noch viel besser geworden. Und ein guter Freund ist er obendrein, der auch in den übelsten Situationen hinreißend über alles lachen kann. Aber davon möchte ich nichts ausplaudern.

      Die obligate Ton- und Licht-Schau fand ich seinerzeit viel zu kitschig und hege meine Zweifel, dass sie es heute nicht mehr ist!

      Luxor ist neben seiner einmaligen Hinterlassenschaft aus der Pharaonenzeit seit ein paar Jahren aber auch als Stadt schöner geworden: Gepflegte Sauberkeit, Grünanlagen, die schönste Nil-Promenade ganz Ägyptens – immerhin kenne ich inzwischen auch die von Kena und El Minya. Ein einladender Bazar sowie die nostalgischen Pferde-Kaleschen schaffen eine angenehme urbane Atmosphäre.

      Manche meiner hiesigen Bekannten sagen, die von Luxor seien schlechte Menschen! Ich gebe nichts darauf, das ist lokaler Patriotismus gepaart mit Konkurrenzdenken – wie überall auf der Welt. Nur eins ist klar: Viele Souvenirhändler in Luxor sind besonders gerissen; das musste angesichts der Schätze im Tal der Könige und der grundsätzlichen Geschäftstüchtigkeit der Ägypter ja so kommen!

      Bekannt ist in der ganzen Welt eine bestimmte ›Grabräuber-Familie‹; wer ein wenig über die Ausgrabungsgeschichte gelesen hat, weiß bescheid!

      Hier liegt am Nilufer auch der größte Teil aller Hotel-Schiffe für die beliebten ›Kreuzfahrten‹. Wegen Hotelproblemen wurden wir sogar für unseren dortigen Aufenthalt auf einem von ihnen für zwei Tage einquartiert – eine schöne Abwechslung! Später mehr über eine ›Kreuzfahrt‹.

      Nach diesen zwei Tagen ging es per Bahn weiter nach Assuan, wo die schwarzgrauen Felsen im Fluss das Nilwasser brechen und aufschäumen lassen – herrlich, das ›Old Cataract‹-Hotel, von einer Feluke aus zu bewundern! Tja, die Engländer wussten eben auch, wo es schön ist.

      Heute gibt es oberhalb davon das neue ›Nubische Museum‹, dessen Besuch sich lohnt; ebenfalls ein Muss ist der Botanische Garten.

      Für damals etwa 130 D-Mark konnten wir einen Flug-Abstecher nach Abu Simbel machen, was ich natürlich nutzte. Ich gestehe aber auch, dass ich, trotz ehrlicher Bewunderung, auf dieser Reise allmählich tempelmüde wurde, denn wir wurden durch allzu viele davon ›geschleust‹. Heute würde ich gern mit dem Auto nach Abydos und Dendera fahren, aber wegen der noch immer nicht wieder gefassten paar Tausend ›schweren Jungs‹, die die verbrecherische Polizei des Mubarak-Regimes im Zuge der Januar-Wirren freigelassen hatte, um Chaos im Land zu säen, muss ich das noch aufschieben.

      Bei den vielen Flügen während dieser Reise – 15 Minuten (einmal ›rauf und runter‹) nach Abu Simbel – verlor ich jegliche Flugangst. Und auf der letzten Etappe von Frankfurt nach Köln, im kleinen Lufthansa-Jet, genoss ich das rauhe Wetter des Januar geradezu, zumal der Pilot noch nicht einmal den Vorhang vor dem Cockpit zugezogen hatte und seine Passagiere mit launigen Sprüchen unterhielt. Das waren noch Zeiten damals!

      Zurück nach Kairo ging es ebenfalls per Flug und zwar genau zum Jahreswechsel. Jemand aus der Reisegesellschaft spendierte sogar Sekt!

      Die letzten beiden Tage wohnten wir in einem Hotel in ›Down-Town‹, also unweit des TAHRIR, hatten viel Zeit für Eigeninitiative, und ich genoss noch einmal die milde Luft, das ägyptische ›Flair‹ und die besondere Atmosphäre Kairos, das seinerzeit längst nicht so chaotisch war wie heute.

      Weil sich zwischenzeitlich meine Beziehungen nach Italien intensiviert hatten und ich fast alle Ferien in der Toskana oder auf Ischia verbrachte, rückte Ägypten etwas aus meinem Blickfeld. Bis eines Tages eine Bekannte von einer Nil-Kreuzfahrt zurückkehrte, wo sie sich auf einen Ägypter ›eingelassen‹ hatte, den Manager eines Nil-Dampfers. Der war der beste Freund von K., dem Eigentümer des GEISUM. Diese beiden besuchten sogar besagte Freundin in Bonn und luden uns nach Hurghada ein. Im November 1986 oder 1987 traten wir zu viert die nächste Ägyptenreise an und wohnten natürlich in K.s Hotel. Zum ersten Mal machte ich Bekanntschaft mit dem Roten Meer und all seinen zuvor beschriebenen Wundern, dazu genossen wir die Meeresfrüchte und andere Köstlichkeiten der hiesigen Küche mit den dazu passenden einheimischen Weinen – weiß, rosé und rot – die lediglich den besseren ›Europäern‹ nachstehen. Wir wurden selbstverständlich ›Opfer‹ mehrerer Bazar-Händler, lernten aber auch bald, nach folgendem Prinzip zu ›handeln‹: Maximal 55 % vom verlangten Preis zahlen! Kleine Statuen, Skarabäen, Alabaster-Pyramiden und ähnliches, aber auch Schals, Schuhe und Kleidungsstücke erwarben wir sehr günstig. Immer stand eine Einladung zum Tee zu Beginn des Verkaufsgesprächs, das aus einem bunten Gemisch aus Englisch, Deutsch und Körpersprache geführt wurde; die penetrantesten ›Typen lernten wir stehenzulassen – Wie das mitunter nervte! – oder auf dem Rückweg ins Hotel nochmals zur Kenntnis zu nehmen. Unseren Damen hatten es natürlich vor allem die Parfüm-Verkäufer angetan, die wortgewaltig und Proben tupfend meist Erfolg hatten – sie haben ja auch vorwiegend Schönes zu bieten!

      Als ich später einmal bei einem ›Alleingang‹ in einen solchen Salon genötigt wurde, endete die Begegnung sehr obszön, denn ich bekam zu hören: »Habe dicken langen Schwanz!« Da blieb natürlich nur sofortige Flucht.

      Von den einheimischen Restaurants bekamen wir als Halbpensionsgäste noch nichts mit; die Hotel-Küche war einfach und schmackhaft – ägyptisch; leider nur mit Nescafé zum Frühstück, aber immer gab es am Abend Fleisch, Fisch, Gemüse und Salate – und natürlich leckeres Süßes!

      Inzwischen kenne ich diese ägyptische Vorliebe: Unsere ›El Zahraan‹ Konditorei-Kette nimmt es mit den deutschen locker auf – allenfalls schmeckte man heraus, dass hier kein Alkohol in den Torten war. Was aber etwas ganz Wunderbares war: Wir erlebten den November, diesen Inbegriff von Trübnis in Deutschland, der fast allen aufs Gemüt schlägt, zum ersten Mal als lauen, selbstverständlich pausenlos sonnigen Monat – einen der schönsten im Jahr, wie ich heute weiß. Das einzig ›Novemberhafte‹ war, dass es genauso früh dunkelte wie daheim, etwa gegen 17 : 00 Uhr Ortszeit.

      Als im Raum Köln/​Bonn die inzwischen berüchtigten ›Herz-Kreise‹ in Mode waren, tat sich in meiner Umgebung eine Frau hervor, die besonders durchtrieben war. Diese Frau hatte ich über Freunde kennengelernt und war auf sie hereingefallen, weil sie so gut lügen konnte. Aber auch sie war eine Hurghada-Freundin und so bildete sich eine Gruppe, die über Weihnachten/​Neujahr