Warum ich zum ›Ägypter‹ wurde. Uli Keyl

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Название Warum ich zum ›Ägypter‹ wurde
Автор произведения Uli Keyl
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783957449962



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war, ohne lange zu überlegen. Hinauf war das auch gar kein großes Problem, denn ich hatte ja ständig den Stein etwa einen Meter vor Augen. Aber als ich mich, oben angelangt, herumdrehte und in die weite Ebene von Gizeh schaute, da bekam ich es doch ganz schön mit der Angst zu tun. Und der Abstieg brauchte viel mehr Zeit und Konzentration, weil die Pyramiden-Wand, nach über 3500 Jahren Sonnen- und Wind-Einwirkung, ganz zerklüftet und die Stufen voller kleiner Steinchen waren, einem Rollsplitt ähnlich. Hatte ich beim Aufstieg wirklich geschwitzt, so kam mir jetzt beim Abstieg regelrecht der Angstschweiß. Aber es ging alles gut! Von der Besichtigung der ältesten Pyramiden weiter nördlich, war ich nicht so sehr beeindruckt.

      Danach absolvierten wir natürlich das ›Standard-Programm KAIRO‹. Zuerst das National-Museum mit dem überwältigenden ›Tut Ankh Amun‹-Grabfund, vor dem alles andere verblasst! Neben den Goldsärgen bewunderte ich vor allem den Thronsessel des jungen Königs mit der lebendigen Darstellung des jungen Herrscher-Paares: Ich werde bald mal wieder dorthin gehen, es war zu schön!

      EILMELDUNG: Wie ich heute erfuhr, ist der Chef-Ägyptologe des Landes unter richterliche Untersuchung gestellt worden – wegen Verdacht des Diebstahls am ägyptischen Volk in X Fällen! Und wie hat sich dieser selbsternannte ›Pharao‹ der Archäologie Ägyptens mit seinen Leistungen weltweit gebrüstet! Gegen einen jungen deutschen, begeisterten Ägypten-Freund hat er unberechtigterweise eine ›Schmutz-Kampagne‹ gestartet, weil der ihm verdächtig erschien, im Tal der ›goldenen Mumien‹, bei der Oase Baharia, unlautere Absichten zu hegen. Dieser junge Deutsche wollte aber nur seinen Traum verwirklichen: Ein Hotel in der Wüste! Jetzt ist dieser Mann dem Anschein nach auch nichts weiter als ein kleiner »Mubarak«, ein weiterer Gauner in der Riege der Totengräber des Landes. Hamdullillah – die Revolution schläft nicht!

      Überwältigt war ich sodann vom Kairoer Verkehr: Damals gab es noch keine der vielen Hoch-Brücken, ohne die dort alles zusammenbräche, und noch nicht so viele Automobile; die Männer hingen dafür wie die Bienen an Straßenbahnen und Bussen- ein abenteuerlicher Anblick für mich ordnungsgewohnten Mitteleuropäer.

      Persönlich erbaute ich mich am Flair in den Straßen, vor allem am Abend, wenn die Männer (Natürlich nur diese!) in ihren traditionellen ›Kostümen‹ mit umwickelten Köpfen bei ihren Wasserpfeifen saßen. Und das bei Temperaturen um 25 Grad – Ende Dezember! Ich erinnere mich, noch eigens nach Mitternacht aus dem Hotel gegangen zu sein, um dieses Ambiente zu genießen. Wann ich selbst meine erste Shisha rauchte? Eben in jenen Tagen.

      Einmal, bei der Begehung der Kairoer Altstadt, bekam ich gegen Mittag Hunger und nutzte die Gelegenheit zu einem Imbiss an einem fahrbaren Karren. Es gab ›Falafel‹ mit etwas Salat in einer Brottasche, das mir gut schmeckte. Aber ich hatte nicht mit ›Pharaos Rache‹ gerechnet. Und als wir anderntags im Zug nach Luxor fuhren, hatte ich wiederholt eiligst die Toilette aufzusuchen.

      Während dieser Fahrt am Nil entlang, fühlten wir uns um Jahrtausende in der Zeit zurückversetzt: Ziehbrunnen und sogar noch ›Archimedische Schrauben‹ sahen wir in Gebrauch – heute leisten Pumpen diese Arbeit, fast überall auf den Feldern.

      Im herrlichen, alten, englischen Hotel in Luxor war ich so töricht, in den kalten Swimmingpool zu springen. Der Durchfall wurde noch unerträglicher, ich litt schlimm und wachte erst am nächsten Mittag wieder auf.

      Meine Reisegruppe – unangenehmer weise mehr als 50 Personen – war bereits über den Nil gesetzt und auf Besichtigungs-Tour auf der ›West Bank‹. Es war mir keineswegs unangenehm; ich zog eine neu erworbene (himmelblaue) ›Djellaba‹ an und machte mich ganz allein auf – herrlich! In Sonne und Wind ohne die Gruppe loszuziehen und einfach zu entdecken: Den einmalig schönen Tempel der Hatschepsut und die Gräber der ›Edlen‹ wie das des ›Naght‹ mit den drei musizierenden jungen Frauen, einfach unvergesslich!

      Auch in Kairo war ich nicht nur einmal zu Fuß auf Entdeckungstour: Irgendwo kaufte ich einen kleinen Teppich, den ich auf dem Rückflug unter meinen Füssen transportierte, und ließ mich von jungen Leuten ›abschleppen‹, die mich in ein Haus brachten, in dem zahlreiche Ägypter mit der Herstellung von wenig geschmackvollen Blechvasen – verziert mit bunten Glasstückchen – beschäftigt waren; ich musste Tee trinken, kleine Kinder auf den Arm nehmen, mich fotografieren lassen und versprechen wiederzukommen. Das war meine erste nähere Begegnung mit den einfachen, freundlichen und sympathischen Menschen dieses Landes.

      Gerade erinnere ich mich an den Umstand, dass ich auf einem der gemachten Fotos eine meiner Pfeifen im Mund hatte und einen Bart trug; heute, als endgültig Eingewanderter, habe ich zwar keinen Bart mehr und meine Pfeifen ruhen irgendwo in meinem in Bonn eingelagerten Mobiliar, aber ich habe hier in meiner ›Villa‹ sieben(!) Wasserpfeifen – eine schöner als die andere: Neben den ›normalen‹ verschiedener Farbe und Größe, eine aus gehämmertem Kupfer und – als jüngstes Mitbringsel aus Kairo – eine aus Porzellan mit altägyptischen Motiven.

      Seitdem mein Elektro-Rasierer kaputt ist, lass ich mich auch schon mal außer Haus rasieren; die ägyptischen ›Figaros‹ arbeiten jeden Tag bis spät in die Nacht, um ihre penibel auf ihr Äußeres bedachten ›Herren‹ zu bedienen. Was ich zum ersten Mal sah: Am Ende der Behandlung griffen die Barbiere zu einem langen Faden, den sie mit Fingern und Zähnen hielten. Dann bewegten sie den Kopf auf und ab, ließen den Faden geschickt über die Wangen-Partien ihrer ›Opfer‹ gleiten und rissen mit einem Drill-Effekt die feinsten Härchen aus; oh, wie das ziept! Einmal und nie wieder! Bleibt anzumerken, dass ein Haarschnitt um einen Euro kostet, in nicht europäisch aufgemachten kleinen Ein-Mann-Salons und heute. Die Preise von damals weiß ich nicht mehr.

      Wie gesagt, wir fuhren mit der Eisenbahn weiter nach Süden, nach Assuan, weshalb wir die Nil-Landschaft mit ihren Dörfern, den auf ihren Feldern arbeitenden Fellachen, den Tieren und der einmaligen Vegetation ein weiteres Mal genießen konnten. Gibt es nicht ein Buch »Lob der Langsamkeit«? Bei solch einer Fahrt konnte man die Langsamkeit schätzen lernen; ein rasender Schnellzug würde den Genuss derartigen Reisens zunichte machen; zwischen Koblenz und Mainz fahren die deutschen Züge ja auch relativ gemütlich, wie ich auf meiner letzten Anreise zum Frankfurter Flughafen erfreut registrierte; aber ob sie nicht auch in ICE-Manier dahinrasen würden, wenn der Rhein dort nicht derart kurvenreich und tunnelgesäumt flösse? Beim Tempo der deutschen Industrie-Gesellschaft hege ich meine Zweifel. Wie war das doch? »Lob der Langsamkeit«?! Geht es den Deutschen wirklich so gut?

      Ein weiterer Denkanstoß sei hier angemerkt, einige Gedanken zu den ›Raststätten‹: Sie illustrieren recht gut den Unterschied zwischen Ägypten und Deutschland.

      In Deutschland ist fast alles ›automatisiert‹; Personal ist teuer! Aber was für Formen hat das deswegen schon angenommen! –›Muss man mal‹, kann man nicht einfach zur Toilette gehen, nein, erst einmal braucht es das passende ›Kleingeld‹ (aktuell 70 Cent?), um eine Sperre passieren zu können! Was machen da eigentlich Ausländer ohne Sprach-Kenntnisse, die die Anweisungen nicht verstehen – in ›die Hose‹? Ist die Sperre überwunden, vergisst man womöglich, den automatisch ausgegebenen Bon an sich zu nehmen und zahlt noch mehr für den Kaffe ›danach‹. Überhaupt ist im Rasthaus alles überteuert, aber der Reisende ist ja in einer Zwangssituation!

      Hier hingegen herrscht kein Mangel an Personal, im Gegenteil: Einer heißt die ankommenden Gäste willkommen, der zweite bittet zu einem Tisch, dann kommt ein Kellner, der nach den Wünschen fragt und die Getränke und so weiter bringt und der ›Zahl-Kellner‹ kassiert am Ende; die Nummer ›fünf‹ ist dann eventuell der Shisha-Boy!

      Berufskleidung? Hier überflüssig – die gibt’s nur in den modernen Einkaufszentren europäisch-amerikanischen Zuschnitts, die dann ihrerseits wieder viel zu teuer sind! Ich persönlich finde diese schrecklich!

      Ich frage Sie: Wo geht es menschlicher zu? Im christlichen Abendland oder hier unter lauter Moslems? Ich weiß die Antwort, denn ich kenne schließlich beide Systeme!

      In Ägypten geschieht eigentlich alles langsamer, gemächlicher, was bei Europäern oft hochmütiges Kopfschütteln hervorruft und ein: ›Was sind die