Kanada – Ontario. Stephan Brünjes

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Название Kanada – Ontario
Автор произведения Stephan Brünjes
Жанр Книги о Путешествиях
Серия
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783948097295



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Sandalen etwa, von denen nur die Bastsohle übrig ist. Sie könnten das Unterteil moderner Espadrilles sein könnte. Oder der spitze Metallstiefel mittelalterlicher Ritter: Genaugenommen nicht zur Fortbewegung geeignet, sondern um den gesellschaftlichen Status des schwer bewehrten Edelmanns deutlich zu machen. Aus der Neuzeit stehen brokatbesetzte Schuhe aus den 1920er-Jahren da, manche erstmals in den Absätzen mit Brillanten verziert. Abenteuerlich hohe Stilettos – etwa von Marilyn Monroe – gibt es und Plateaustiefel, die nicht nur Orthopäden an kompliziert verknackste Knöchel und gerissene Sehnen denken lassen. Apropos: auch die Kuh kann nicht ohne Schuh – jedenfalls nach einer Bein-Operation. Dann streift ihr der Tierarzt einen – ebenfalls ausgestellten – Lederschuh über, der dafür sorgen soll, dass die Wunde schneller heilt. Insgesamt etwa 13.000 Schuhe lagern im Bata Shoe Museum, die meisten davon in Regalen im Keller. Nur ein Bruchteil ist in der permanenten Ausstellung „All about shoes“ und in zeitlich befristeten Sonderausstellungen zu sehen.

      Elton John

      Marilyn Monroe

      Zu verdanken hat Toronto dieses einmalige Museum einer Frau namens Sonja Bata. Schuhmacher sei ihr Mann gewesen, hat sie zeitlebens gerne gesagt. Dabei war Tomas J Bata ein Nachfahre der Familie mit gleichnamiger Schuhfabrik, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg Niederlassungen in vielen europäischen Ländern hatte. Nach 1945 verstaatlichten die Tschechen den Hauptsitz der Firma. Tomas und Sonja gingen ins Ausland, bauten sich eine neue Existenz auf – unter anderem in Toronto. Seit den 1940er-Jahren habe sie Schuhe gesammelt, vor allem während vieler Reisen auf alle Kontinente, erzählte die im Februar 2018 verstorbene Sonja Bata gern, wenn sie Besucher durch ihr Museum führte. Entstanden ist es in den frühen 1990er-Jahren, der Grund wird vielen Frauen einleuchten: Sonja Bata hatte einfach zu viele Schuhe gesammelt und brauchte einen Ort, um sie unterzubringen. Und weil sie wusste, dass voluminöse Behältnisse nötig sind, um Schuh-Armeen zu transportieren, ist auch ein Louis-Vuitton-Koffer mit 30 Einzelfächern und einem für Stiefel zu sehen.

      Dalai Lama

      Viele Besucher im Museum bestaunen vor allem die von Prominenten überlassenen Exemplare: Björn Borgs ausgetretenen Tennis- und Pierce Brosnans Bond-Schuhe, die Flipflops des Dalai Lama, Justin Biebers Sneakers, Napoleons seidene Socken, Queen Victorias Hochzeits-Ballerinas oder Elton Johns silberne Stiefel aus seinem schrillen Bühnen-Outfit. All diese Ausstellungsstücke sind aufwendig gesichert, denn im Jahr 2016 fehlte plötzlich ein Paar, und zwar ein sehr wertvolles: Die mit Gold, Diamanten und Rubinen besetzten Schuhe eines indischen Prinzen aus dem 19. Jahrhundert. 25.000 Dollar Belohnung setzte die Bata-Familie aus, um sie zurückzubekommen. Offenbar um sie zum Verkauf anzubieten, ließen die Diebe Bilder der Schuhe in einem Fotokopierladen drucken, sodass ihnen die Polizei auf die Spur kam und die Täter festnehmen konnte.

      Altägyptische Sandalen

      Über das dauernde Sammeln von Schuhen hinaus hat die Bata Foundation auch viele internationale Forschungsprojekte initiiert und finanziert – vor allem in Kulturen und Regionen der Erde, die nicht im Fokus stehen: Die Traditionen der Fußbekleidung bei den Inuit etwa, den Einwohnern Sibiriens oder nordamerikanischen Indianerstämmen: Navajos trugen offenbar vorzugsweise Mokassins ohne Verzierungen, die Apachen welche mit Perlen in Regenbogen-Farben und die Cheyenne verzierten sogar ihre Sohlen. Was aber ist mit Schuhen der Firma Bata? Immerhin trägt das Museum ja den Namen dieses bis heute weltweit operierenden Herstellers? Nicht einmal zehn Paare stehen in Torontos Schuhkarton-Ausstellung. Nein, man wolle kein Marken-Museum sein – das war immer Sonja Batas Credo. Sehr angenehm!

      So, zum Schluss noch einmal in der Promi-Abteilung vorbeischauen. Die Menschentrauben mit ihren Smartphone-Kameras sind weg, und damit ist die Sicht frei auf Robert Redfords ausgelatschte Stiefel, die er im Film „Jenseits von Afrika“ trug und auf einen von John Lennons Chelsea Boots – einer dieser schwarzen, knöchelhohen Stiefel, die der Beatle Anfang der 1960er-Jahre kaufte und in der Hamburger Zeit trug, als die Band noch ihr Lederjacken-Image pflegte – mit aufmüpfiger Tolle statt Pilzkopf.

       Info

      Lage: 327 Bloor Street, Toronto ON M5S 1W7, in einem fünfstöckigen Gebäude

      Anfahrt: Mit der U-Bahn-Linie 1 zur Station St George Street fahren, dort zum südlichen Ausgang, nach einer knappen Minute Fußmarsch ist das Museum erreicht.

      Öffnungszeiten: 24/7, außer am Karfreitag und 1. Weihnachtstag, montags bis mittwochs und freitags sowie samstags 10 bis 17 Uhr. Donnerstags 10 bis 20 Uhr, sonntags 12 bis 17 Uhr

      Eintritt: Kinder (5-17 J.) 5 CAD, Erwachsene (ab 18 J.) 14 CAD. An jedem Donnerstagabend zwischen 17 und 20 Uhr gilt die sogenannte pay-what-you-can admission: Jeder Besucher zahlt, was er kann und möchte.

      Webseite: www.batashoemuseum.ca

       Durch Ontarios Millionenmetropole quietschen noch heute 40 Jahre alte Straßenbahnen. Darin zu fahren ist Sightseeing im Retro-Stil. Mit Glück sitzt Curt am Steuer, der bestgelaunte Fahrer der Stadt. Auf Wunsch singt er die Haltestellenansagen.

      Ja, die 504 lächelt heute. Ihre kleinen, runden Funzel-Scheinwerfer sind die Augen, der größere in der Mitte ist die Nase und darunter, dieser helle Bogen auf der Front, das ist der lächelnde Mund dieser 40 Jahre alten Dame. Sie hat schon alles gesehen in Toronto und rollt immer dennoch tapfer überall dort, wo die Verkehrsbetriebsplaner sie täglich einsetzen. Heute auf der Linie 504, einer Ost-West-Verbindung durch die City, und in diesem Moment an die Haltestelle auf der King Street East. Die vierteilige Falttür vorn öffnet. „Hello, good morning and welcome on board!“, begrüßt Fahrer Curt Richards jeden, der neu zusteigt. Und strahlt dabei mit seinem makellosen weißen Gebiss, als liefe gerade die Kamera für einen Zahnpasta-Spot. Wer keine Monats- oder Tageskarte vorzeigt, dem verkauft Richards einen Einzelfahrschein, den er von einem Brett abreißt. Touchpads für Kreditkarten? Oder Münzautomaten? Gibt es hier nicht.

      Unterwegs in der ganzen Stadt: die Red Rocket

      Ebenso wenig wie das (typisch deutsche) Schild über der Frontscheibe, dass man den Fahrer nicht ansprechen darf, während die Bahn rollt. Muss heute in der 504 auch keiner, denn Curt Richards plaudert von selbst mit seinen Fahrgästen. Zuerst über die auf der Frontscheibe ächzenden Scheibenwischer, das Schmuddelwetter und darüber, dass jeder trotzdem gute Laune behalten soll. So wie der 56-Jährige, der vor mehr als zehn Jahren vom TV-Moderator eines Lokalsenders zum Tram-Fahrer umschulte. „Ich steuere am liebsten diese alten Bahnen“, sagt er, „die neuen haben Fahrerkabinen, da drin fühle ich mich eingesperrt – ich brauche direkten Kontakt zu den Leuten.“ Dass er ihn weiter haben kann, verdankt Curt der Firma Bombardier. „Bei diesem kanadischen Hersteller haben unsere Verkehrsbetriebe etliche neue Bahnen bestellt, aber Bombardier hat Lieferprobleme“, erzählt Curt grinsend: „Darum müssen insgesamt mehr als 70 der alten Bahnen noch ein paar Jahre durchhalten.“ Auch sehr zur Freude vieler Torontonians, denn diese kirschroten Oldie-Trams gehören zum Inventar der Stadt, haben schon ewig den Spitznamen „Red Rocket“, sie prangen auf T-Shirts, Glückwunschkarten, Graffiti und Kaffeetassen.

      Curt stellt die Weiche manuell.

      Kurz vor der nächsten Kreuzung stoppt Curt Richards seine „rote Rakete“, schnappt sich einen etwa hüfthohen, olivgrünen Metallknüppel neben der Fahrertür und springt auf