Tokyo - eine Biografie. Till Weber

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Название Tokyo - eine Biografie
Автор произведения Till Weber
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783945751701



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Heinrich Klaproth in Paris ein Destillat, das, zuletzt als Secret Memoirs of the Shōguns auf Englisch herausgegeben, interessante und einmalige biographische Angaben bis hin zum elften Shōgun Ienari enthält.

      Auf die übermächtige, schließlich definierte Dynastiegründergestalt Tokugawa Ieyasu folgte, wie bereits erwähnt, sein dritter Sohn Hidetada (1605 – 1623). Hidetadas Regentschaft wurde vom dauernden Einfluss seines übermächtigen Vaters überschattet, dessen Vertrauen in den Sohn angeschlagen war, seit dieser zur Entscheidungsschlacht von Sekigahara 1600 zu spät erschienen war. Andererseits konnte Ieyasu als noch lebender Ex-Shōgun und sogar als Verstorbener zur Sicherung seiner Dynastie beitragen. In Hidetadas Regentschaft fällt der weitere konsequente Ausbau von Edo. Auch Hidetada (gestorben 1632) dankte vorzeitig ab, um seinem neunzehnjährigen Sohn Iemitsu (1623 – 1651) als Ōgosho (Ehemaliger Shōgun) den Rücken zu stärken. Dessen Regierungsjahre fallen zusammen mit der Beschränkung der europäischen Präsenz auf die Holländer in Nagasaki (Sakoku-Edikte) sowie einer drakonischen Christenverfolgung im ganzen Land. In Edo wurde ein kirishitan yashiki (etwa: Christen-Residenz) genanntes Gefängnis errichtet für insgesamt zehn Missionare, die trotz der Verbote noch in Japan waren oder neu kamen. Die Lebensverhältnisse in diesem Gefängnis müssen erträglich gewesen sein, Pater Giuseppe Chiara etwa lebte dort von 1646 bis 1685 und Giovanni Battista Sidotti (1668 – 1715) war dort Gesprächspartner des berühmten Gelehrten und Staatsmanns Arai Hakuseki (s. Der Historiker Arai Hakuseki, S. 82). 1792 wurde das Gefängnis aufgelöst, heute erinnern ein Straßenname und eine Gedenktafel in Kohinata im Bezirk Bunkyo-ku an die Einrichtung.

      Weniger glimpflich kamen die japanischen Konvertiten von Edo davon. Schon zu Amtsantritt von Iemitsu wurden 50 Christen öffentlich verbrannt. Spitzel des Shōgunats forschten Samurai und Bürger aus, und alle Stadtbewohner mussten sich in die Gläubigenregister der buddhistischen Tempel eintragen. Blieb ein Verdacht, wurden sie gezwungen, auf Christus- oder Marienbilder, die meistens aus Metall waren und in ihrem abgetretenen Zustand heute noch zu den Sammlungen einiger japanischer Museen gehören, herumtrampeln. Diese Praxis nannte man fumie. Wer sich weigerte, wurde, oft unter der Aufsicht ehemaliger Christen, Verhören und äußerst grausamen Folterungen unterworfen. Zahlreiche Gläubige wurden hingerichtet.

      Die Ausrottung des Christentums war so drastisch, dass der amerikanische Historiker George Elison 1973 das Wort »Endlösung« (final solution) als Überschrift für das sie betreffende Kapitel in seinem Buch Deus Destroyed wählte.

      Der vierte Shōgun Ietsuna (1651 – 1680) folgte seinem Vater als Zehnjähriger auf den Thron. Obwohl insgesamt fünf Regenten die Staatsgeschicke lenkten, kam die Tokugawa-Dynastie in Bedrängnis. In Edo hatte sich ein Problem mit herrenlosen Samurai, den rōnin, entwickelt. Die häufigen Machtwechsel und Enteignungen in den Fürstenhäusern hatten jedes Mal Hunderte, wenn nicht Tausende von stellungslosen Samurai produziert, von denen viele in der Hauptstadt ihr Glück suchten, und dies keineswegs immer auf gewaltlose Art. Zu Beginn von Ietsunas Amtszeit verdichteten sich die Unruhen zum sog. Keian-Aufstand, auch als Tosa-Verschwörung bekannt. Eine Gruppe von Rōnin unter Führung von Marubashi Chūya und Yui Shosetsu plante, die Stadt Edo anzuzünden, um in der folgenden Konfusion in die Burg des Shōgun einzudringen und diesen zu ermorden. Neben der Not der Rōnin war auch eine alte Rachegeschichte, die einen ehemaligen Fürsten der Provinz Tosa betraf, mit im Spiel. Stümperhafte Ausführung und Verrat erlaubten den Machthabern, den Plan zu entdecken und die Beteiligten hinrichten zu lassen.

      Wenige Jahre später brannte Edo aber wirklich. Im ersten Monat des Jahres 1657, als Trockenheit und Wind den Funkenflug begünstigten, verwüstete die als Meireki-Feuer bekannte Katastrophe die Stadt des Shōgun. Zerstört wurden weite Teile der Burg, 160 fürstliche Residenzen, 770 Residenzen von hochrangigen Samurai der Tokugawa (Hatamoto), 350 Tempel und Schreine sowie rund 50.000 Bürgerhäuser – mehr als die Hälfte der Stadt, deren Einwohnerzahl gleichzeitig um 108.000 Brandopfer sank. Erstaunlicherweise konnte Sh-Ōgun Ietsuna nur zwei Jahre später schon einer Zeremonie zur Einweihung des Stadtneubaus beiwohnen. Diese kurze Spanne erklärt sich auch aus dem Übergang von der reichhaltig im Momoyama-Stil verzierten, eleganten Stadt des Tokugawa Ieyasu zu preiswerterem und weniger prunkvollem Bauen.

      Die Straßen Edos waren nun von den dunklen Farbtönen nicht-bemalten Holzes, dem Weiß und Beige von Verputz sowie dem Graublau der Dachziegel geprägt. Auf den kostspieligen Wiederaufbau des Bergfrieds der Burg verzichtete man ganz, dessen steinerner Sockel bis heute leer steht. Während Fürsten und Samurai ihre Vasallen und Diener zur Wiederaufbauhilfe heranziehen konnten, hatten wohlhabendere Bürger ihren wichtigsten Besitz und ihr Vermögen als Startkapital in der Regel in feuerresistenten Lagerhäusern hinter ihrem Wohnhaus gesichert, den sogenannten kura, von denen heute noch viele in ganz Japan zu sehen sind. Da in Edo ohnehin jede Generation damit rechnen musste, dass ihr Viertel einmal abbrannte, war man vorbereitet und investierte nicht in Architektur, die für eine Ewigkeit gedacht war. Edo war eben, so der Historiker Nishiyama Matsunosuke, der Doyen der Edo-Forschung, »eine Stadt von Kriegern, Bürgern, Feuern und erzwungenen Umzügen«.

      Der Pastorensohn Engelbert Kaempfer (1651 – 1716) stammte aus dem westfälischen Lemgo und war auf verschlungenen Wegen in den Privataudienzsaal des Shōgun Tokugawa Tsunayoshi (Regierungszeit 1680 – 1709) gelangt. Zur Schule und Universität war er in Lüneburg, Lübeck, Danzig, Krakau, Königsberg und Uppsala gegangen und hatte Philosophie, Sprachen, Geschichte, Naturgeschichte und Arzneikunde (Medizin) belegt. Diese umfassende Bildung war die Grundlage für sein vielfältiges, ja universales Interesse, das es ihm ermöglichten sollte, Autor des bis ins 19. Jh. unbestritten bedeutendsten westlichen Standardwerks über das geheimnisvolle Japan zu werden. Nachdem Kaempfer in schwedischen, russischen und persischen Diensten gewesen war, trat er 1690 die Stelle als Faktoreiarzt bei den Niederländern in Nagasaki auf der künstlichen Insel Deshima an. 1691 und 1692 reiste er zweimal mit dem Leiter der Faktorei nach Edo, um dem Shōgun die Aufwartung zu machen. Kaempfer verdanken wir einen sehr raren Einblick in den Palast des Shōgun. Zunächst wurde der Faktoreileiter Hendrik van Buijtenhem hereingerufen.

      Kaempfer berichtet: »Kaum wahr er verschienen, alß man überlaut rieffe: Hollanda Capitain! zu einem Zeichen, daß er herbeÿ treten und die Reverentz des Homagii ablegen sollte; worauf er zwischen den Ort der rangierten Geschencke und dem hohen Sitzplatz seiner Majestät, so weit man ihme anwiese, auf händen und Knieen herbeÿ kroche, und auf dem Knie liegende, das haupt auf den boden neigte, und in selbiger positur wie ein Krebß, ohne die geringste wortwechselung wieder zurück kroche … Nicht anders geht es zu mit der jährlichen Audientz grosser landesherren, welche ebenfalles nach abgeruffen ihren Nahmen, mit stillschweigen einen gleichen reverentz zu bezeugung Ihrer demut und gehorsams ablegen, und wieder rücklings davon kriechen müssen.«

      Damit endete die formelle Audienz, ohne des Shōguns Gesicht gesehen oder seine Stimme gehört zu haben. Anschließend wurden die Holländer aber ungewöhnlicherweise zu einer zweiten, privaten Audienz geführt, wo sie auch dem »kaiserlichen frauen Zimmer« (Kaempfer schreibt aus Unkenntnis der Machtverteilung im Lande wie andere Europäer auch »Kaiser«) und »curieusen Printzessinnen kaiserlichen Geblüets« »zur Speculation und ergötzlichkeit« vorgestellt wurden. Shōgun, Frauen und Staatsräte saßen leicht erhöht und waren durch eine Jalousie verdeckt, während die Holländer zwei Stunden lang Fragen beantworten, singen, Tänze vorführen und sogar »trunken Mann spielen« mussten (Kaempfers Kommentar: »Affenstreiche«). Hier nun erheischt Kaempfer zweimal einen Blick auf die Gemahlin des Shōgun, »dero Gesicht ich beÿ krümmung der Matten 2 mahl erblickte, als ich auf des Kaÿsers begehren dänzete, und beÿ Ihr eine braunliche runde schöne Gestalt mit Europæischen schwartzen Augen, voller feuer und vigeur wahrgenommen, und nach proportionen ihres haupts eine grosse Dame von etwa 36 Jahren zuseÿyn gemuhtmasset.« Von dieser Dame werden wir am Ende des Lebens von Shōgun Tsunayoshi noch einmal hören! Über den Shōgun selbst kann Kaempfer nur berichten, dass er »mit gelinder Stimme hervor brachte, alß wolle Er nicht über laut gehöret seÿn.«

      Tokugawa